Aus Liebe
Es gibt Fragen, die zu stellen fast schon ein Wagnis ist. Warum liebst du mich? (Darauf am besten nicht antworten, denn Beschreibung ist immer auch Dekonstruktion.) Und dann diese hier: Warum geht man eigentlich ins Museum? (Das ist einfach: Aus Liebe.) Warum liebt man das Museum? Das ließe sich ausdrücken.
Museen sind wunderbare und vielfältige Orte, denn sie bieten (im Idealfall) eine gesundmachende Mischung aus Bekannt und „Unbekannt“, Alt und Neu, Gefällt-mir und Gefällt-mir-nicht. Museen sind also Seelen- und Gehirntankstellen. Auf die Reihenfolge kommt es nicht an. Hauptsache ist, dass keines von beidem zu kurz kommt.
Großes Kino
Wenn Museen (vornehmlich in den Sommermonaten) ihre Sammlungen (meist ist es ja nur ein Teil derselben) präsentieren, ist das nicht wie die Sommerwiederholungsschwindsucht der Öffentlich-Rechtlichen. Ganz im Gegenteil: Es ist die willkommene und vollkommene Möglichkeiten, alte Bekannte zu treffen oder sich mit „alten Unbekannten“ noch einmal vertraut zu machen. Derzeit zeigt das Museum Kurhaus Kleve eine solche Sammlungspräsentation und was dort an den Wänden hängt, ist ganz großes Kino aus Malerei, Fotografie, Plastik, Zeichnung, Installation – alles, was Kunst zu bieten hat.
Man sollte sich Zeit nehmen und durchs Haus flanieren. Je weniger Hinsehkonkurrenten es gibt, umso intensiver gestaltet sich der Dialog mit den Werken. Das ist freilich ein unheiliger Wunsch: Man kann jedem Museum nur Besucherinvasionen wünschen, denn vielerorts geht es längst nicht mehr um Qualitäten – es gilt die Diktatur der Quantitäten. Besucher müssen her. Somit wird die Kunst zur Ware. Schade eigentlich.
Der Grund der Dinge
Die Präsentation im Kurhaus jedenfalls hat ein großes Echo verdient. Was sieht man wieder? Fotografien von Thomas Struth zum Beispiel oder die wunderbare Welt des Franz Gertsch, Werke von Jürgen Paatz, Ulrich Erben, Gerhard Richter, Charlotte Posenenske, Mario Merz, Lothar Baumgarten, Giuseppe Penone, Richard Long, Jannis Kounellis, Andreas Gursky, Mark Tansey, Richard Serra, Stephan Balkenhol, Stephan Prina, David Thorpe, Haim Steinbach, Katharina Fritsch, Andreas Schmitten, Christo, Pia Fries, Günther Uecker, Olaf Holzapfel, Barbara Nicholls, Alex Katz. Alte Bekannte und alte Unbekannte. Namen, das zeigt die Ausstellung, spielen keine Rolle. Und wer ob der vielen Künstlernamen (längst nicht alle sind genannt) an eine Art Kramladennotverordnung für die Optik denkt, der kennt das Kurhaus nicht, denn die phänomenale Architektur bietet – natürlich in Zusammenarbeit mit sensibler Kuratierung – unglaubliche Möglichkeiten des Dialogs. Kounellis neben Long, Richter zwischen Paatz und Erben und das Skulpturenzeichnungsgemisch eines Stephan Balkenhol als (Welt)Raumensemble – da passt irgendwie alles und man ist versucht zu zitieren:
„In einem guten Museum findet Leben statt. Wer auf der Suche nach den Toten ist, biegt an der Friedhofsmauer ab. Kunst ist eine Form des kreativen Widerstandes gegen das Vergessen. Gegen die Gedankenlosigkeit. Das Museum ist keine Entbindungsstation für künftige Säulenheilige – es ist ein Ort der kommunizierenden Röhren. Botox fürs Hirn. Wer all das möchte, sollte derzeit das Museum Kurhaus Kleve auf dem Plan haben. Da gibt es die Kunst zu sehen, die ohne Frischhaltefolie auskommt, weil sie lebt.“
Na bitte – da steht‘s doch: Schwarz auf Weiß. Und das Dolle ist: Man muss die Worte nicht woanders ausleihen – man hat‘s selber geschrieben – im November 2010. Es hat sich nichts geändert an der positiven Grundspannung. Museen sind ein Koordinatensystem – bahnbrechend und bahnbereitend. Und wenn Präsentationen sich davon lösen, ein Größerhöherweiter sein zu wollen, werden sie zu wunderbaren Reisen auf den Grund der Dinge.
Qualität macht süchtig
Man muss nicht antreten und beschreiben, was im Kurhaus an den Wänden hängt. Was dort zu sehen ist, wurde für die Augen entworfen, aber man kann, was die Augen aufnehmen, ans Gehirn weiterleiten und für Dialog sorgen. Das Kurhaus ist – lange schon – eine Art Qualitätslieferant. Perfekte Architektur ist das Eine – sie mit dem Hirn- und Denkelexier zu füllen (also den kuratorischen Aufgaben lebensbefördernd nachzukommen) das Andere. Um dergleichen zu erreichen, braucht es Haus und Haltung – Direktorenübergreifend. Genug gelobt? Eigentlich fast nicht. Es bleibt am Ende bei der Aufforderung: Unbedingt hingehen. Unbedingt ansehen. Aber Vorsicht: Qualität macht süchtig.
Zugabe
… und so ganz nebenbei kann man sich noch andere Herrlichkeiten anschauen: Die Kunst aus Mittelalter und Renaissance im Anna von Cleve Saal, Keramik aus der Zeit um 1930 in den alten Kurhausräumen und natürlich die Kunst Ewald Matarés [Wenn Kühe schweben]
Die Künstler der Ausstellung
- Stephan Balkenhol, *1957 Fritzlar
- Lothar Baumgarten, Rheinberg 1944-2018 Berlin
- Christo, *1935 Gabrowo (Bulgarien)
- Tacita Dean, *1965 Canterbury
- Ulrich Erben, *1940 Düsseldorf
- Robert Filliou, Sauve 1926-1987 Chanteloube
- Peter Fischli, *1952 Zürich
- Pia Fries, *1955 Beromünster
- Katharina Fritsch, *1956 Essen
- Isa Genzgen, *1948 Bad Oldesloe
- Franz Gertsch, *1930 Mörigen
- Gotthard Graubner, Erlbach 1930-2013 Neuss
- Denise Green, *1946 Melbourne
- Andreas Gursky, *1955 Leipzig
- Günther Haese, Kiele 1924-2016 Hannover
- Matthias Hoch, *1958 Radebeul
- Olaf Holzapfel, *1969 Görlitz
- Axel Hütte, *1951 Essen
- Alex Katz, *1927 Brooklyn
Alex Katz: Die Welt ist kein Ort
- Konrad Klapheck, *1935 Düsseldorf
- Ivey Klein, Nizza 1928-1962 Paris
- Jannis Kounellis, Piräus 1936-2017 Rom
Jannis Kounellis: Ein Liebender auf Reisen
- Richard Long, *1945 Bristol
- Heinz Mack, *1931 Lollar
- Robert Morris, Kansas City 1931-2018 Kingston, NY
- Reinhard Mucha, *1950 Düsseldorf
- Barbara Nicholls, *1963 Cheshire
- Giuseppe Penone, *1947 Ponte Graessio
- Jürgen Paatz, *1943 Wernigerode
- Stephen Prina, *1954 Galesburg
- Man Ray, Philadelphia 1890-1976 Paris
- Michael Reisch, *1964 Aachen
- Gerhard Richter, *1932 Dresden
- Tata Ronkholz, Krefeld 1940-1997 Köln
- Thomas Ruff, *1958 Zell a. H.
- Andreas Schmitten, *1980 Mönchengladbach
- Richard Serra, *1939 San Francisco
- Joel Shapiro, *1941 New York
- Dirk Skreber, *1961 Lübeck
- Haim Steinbach, *1944 Rechovot (Israel)
Das Besondere des Alltäglichen
- Thomas Struth, *1954 Geldern
- Mark Tansey, *1949 San José
- David Thorpe, *1972 London
- Wolfgang Tillmanns, *1968 Remscheid
- Richard Tuttle, *1941 Rahway
- Günther Uecker, *1930 Wendorf
- Johannes Wald, *1980 Sindelfingen
Basic Research: Die Ratte im Silber