Niederrheiner-Porträt
Wie Heiner Frost sich als Komponist durchs Leben spielt
13.11.2016 | 12:35 Uhr
Er schreibt. Texte und Musik. Ohne Rücksicht auf Genres. Ob er erfolgreich ist, hängt davon ab, ob man nach Geld oder nach Lebensglück fragt.
Sein Haus steht an den Ausläufern des großen finsteren Reichswaldes, gegenüber beginnen abgeerntete Maisfelder und etwas entfernt sorgt ein verbotenes Feuerchen für würzige Rauchwolken. Die dunklen Backsteine sind an einer Stelle bemalt: in allen Regenbogenfarben. Wie Kinder das mit Malkreiden schon mal tun. „Hat meine Tochter gemalt, vor vielen Jahren“, sagt Heiner Frost.
Mag sein, aber das Werk könnte auch von ihm sein: Denn hinter der leicht verfremdeten Bauernhausfassade geht es noch weitaus bunter zu: Ein Dschungel aus Büchern, Bildern, Kunstobjekten, Küchenzubehör und Bastelmaterial macht aus Heiner Frosts Heimstätte eine Art kreativ durchpulste Wohnhöhle. So wie ein Kinderzimmer, in dem die Eltern aufgegeben haben mit den Appellen, dass Ordnung das halbe Leben sei.
Der Rentenbescheid sagt. Du hast alles falsch gemacht
Hier lebt und liebt jemand die andere Hälfte, ein Mann, der mit allem etwas anfangen kann, in dem eine Geschichte oder eine Melodie schlummert. Denn Heiner Frost ist Komponist. „Und wenn ich mir meinem Rentenbescheid so angucke, habe ich alles falsch gemacht“, sagt er und lächelt zufrieden.
Der Niederrhein liegt immer irgendwie dazwischen – wie Heiner Frost
Und dann kommt das Aber: Aber Heiner Frost wäre nicht der Komponist, der er ist, wenn er nicht Niederrheiner wäre. Der Niederrhein liegt immer irgendwie dazwischen: zwischen Binnenland und Meer, zwischen Holland und Deutschland, zwischen Landwirtschaft und Industrie. Und nur hier, wo alles strömt, der Wind, der Rhein, der Verkehr, sitzt Heiner Frost zwischen allen Stühlen – das drückt zwar ab und an unangenehm, aber es ist die einzige Möglichkeit der Existenz, wenn man immer beides ist. Komponist und Schreiber. Alles und Nichts. Ein spielendes Kind in der Welt der Erwachsenen.
Redaktionsbetreuer bei de „Jaily News“ im Klever Gefängnis
„Ich kenne halt die Seite der Täter“, sagt er. Seit zehn Jahren bereits betreut er die Gefängniszeitung in der Klever JVA mit dem schönen Titel „Jaily News“. Das lehrt „Dankbarkeit für die eigene Biografie“, sagt er. Weil es für jeden Menschen Lebensumstände geben kann, die ihn zum Gesetzesbrecher machen. Auch die „Jaily News“ machen viel Arbeit für wenig Geld.
Wie das Komponieren. Heiner Frost sagt über sich selbst, er sei „für die Klassiker zu modern und für die moderne Musik zu klassisch.“ Was macht er also? Frost-Musik. „Fürs oberste Fach im Kühlschrank.“ Da möchte man fast widersprechen, wenn man einmal hört und sieht, wie Heiner Frost spielt: warm, melodiös, hingebungsvoll. Aber sei es drum: Die gut gesetzte Pointe im Spiel ist genauso wichtig wie die gut gesetzten Noten. Mit „Frost-Musik“ hat er sich den ersten Flügel erspielt, der bei „Tetsch & May“ in Emmerich schwarz glänzend, vier Meter lang und 12 000 Mark teuer im Fenster stand.
Spieluhren im Piano als Werk für einen US-Pianisten
Den wollte er haben und versprach: Ich liefere dafür den nächsten 100 Klavierkäufern bei euch jeweils eine eigene Komposition. Das Musikhaus ließ sich darauf ein – ironische Obertöne finden sich bei Frost eben immer. Einmal hat er Spieluhren ins Piano gelegt, so dass es von alleine spielte – eine Auftragsarbeit für einen Pianisten aus den USA.
Der Gärtner von Haus Aspel – das war sein Vater
Am Anfang jedoch stand die Gitarre des älteren Bruders. Sie stand eines Tages vor der Tür stand. 80 Kilometer war er durch die Nacht gefahren, um sie dort zu deponieren, nachdem Frost ihm etwas vorgespielt hatte. Neben der Gitarre lag ein Zettel: „Du hast sie mehr verdient als ich.“ Frost spielte nach Gehör, was im Radio lief, was ihm einfiel, wonach ihm war. Und eine Klosterschwester brachte ihm immerhin ein wenig Musiktheorie bei.
Die Musikschule des Kreises Kleve als kultureller Pilz
Doch selbst durch die Aufnahmeprüfungen der Musikschule bluffte er sich noch durch und spielte nach Gehör. Ein politischer Glücksfall brachte irgendwann die Musikschule des Kreises Kleve in Frosts Heimatdorf Haldern, dort war er Chorleiter und Musiklehrer. Ein kultureller Pilz, der in dem Dorf reichen Nährboden fand. Frosts Finger reichen kaum aus, um all die Chöre, Gitarrenensembles, Bläserkreise und Musikzirkel aufzuzählen.
„Das ist das Klima, in dem auch so etwas wie Haldern Pop entstehen konnte“, sagt er. Das mittlerweile mythenumrankte alljährliche Mini-Woodstock vom Niederrhein wurde im vergangenen Sommer mit Werken von Frost eröffnet. Seine Tochter, die längst studiert, hat sich voller Stolz ein Plakat gesichert. Und was kann ein spielender Mensch im Leben mehr erreichen als die Hochachtung seiner Kinder?
>>Leben und Werk von Heiner Frost, a presto
1957 in Rees geboren – studierte Heiner Frost von 1978 bis 1986 an der Robert Schumann Musikhochschule Düsseldorf bei Günther Becker. In Rees rief er eine Konzertreihe (Reeserviert) und einen Schreibpreis für Schüler (Tom Sawyer Preis) ins Leben.
In seinem Lieblingsdorf Haldern gründete er den Kammerchor, der 1997 eine US-Tour machte, genauso wie das Kammerorchester Opus M. Mit seinen Künstlern spielte er die Johannespassion.
Er schreibt für die Niederrhein Nachrichten, die Kunstzeitschrift „Paint“, bloggt und dichtet und romanciert. Wer mag, kann ihn auf der Seite seines Alter Egos „Lenzenhorst.de“ lesen. Und auf Youtube kann man Frost auch hören.