Whatsapp-Nachricht von Martina: „Du wolltest doch noch mal zu Besuch kommen.“ Stimmt, denke ich. Und dann denke ich: Die lebt noch. Es ist der Wahnsinn. „Wie wär‘s morgen um 14.15 Uhr?“ „Passt. Freu mich.“
Neulich
Ein Rückblick: Martina hat eingeladen: kleine Party. 30 Leute. Kaffee, Kuchen. Es gibt Sachen, die können sein und solche, die sein müssen. Martinas Feier ist eine Muss-Sache: ein Treffen unter ganz besonderen Bedingungen …Die Party: Eine Abschiedsparty, aber Martina zieht nicht in eine andere Stadt – sie geht auch nicht ins Ausland. Ihre Reise geht weiter: Martina wird sterben. Vermutlich schon bald. (Das war vor mehr als vier Wochen.) Martina war im Fernsehen – sie wurde im Sozius spazierengefahren … und … lebt noch. Und wie.
Jetzt
Hospiz Donsbrüggen: Martina sitzt mit ein paar Frauen draußen am Tisch: Hoodie, dunkle Sonnenbrille, Fläschchen Bier, Zigarette. „Hättze nicht gedacht, oder?“, lacht sie. „Nee, hätt ich nicht gedacht.“ „Ich muss dir was erzählen“, sagt Martina. Was sie erzählt, handelt von allem, was sich getan hat in den letzten Wochen – nach der Abschiedsparty.
„Ich habe jetzt Follower“, sagt Martina. 16.000 sind es. Und dann wären da noch … „Ist nicht wahr?“ „Doch, ist wahr.“
Da sitzt mir also eine Totgesagte gegenüber und strahlt vor Energie. Martina ist eine, die den ganzen Laden in Schwung hält. Dass „der Laden“ ein Hospiz ist, hat man schnell vergessen. „Demnächst werden sie für dich Vergnügungssteuer zahlen müssen“, sage ich. „Kann passieren“, sagt Martina.
Demnächst
Und: „Ich habe ein neues Ziel: Demnächst habe ich Geburtstag.“ „Wann ist demnächst?“, frage ich. „5. Juli. Trag dir das mal ein. Es gibt Freibier und Würstchen.“ „Im Ernst?“ „Jo. Echt.“ Da sitzt Martina, auf deren Leben kaum noch jemand gesetzt hätte. Krebs im Endstadium. Dann kam das Fernsehen. Presse kam auch. Geschichten über eine, die – irgendwie den Tod vor Augen – das Leben feiert. Dann: die Follower. Martina als eine, die Eindruck hinterließ. „Freut mich, dass es dir wieder besser geht“, sagt sie und ich denke: War ja nur eine Erkältung. Stimme weg. Und sie sitzt da: Alleinunterhalterin. Wenn sie erzählt, wird positive Energie frei. Es darfkannsollmuss gelacht werden.
Mindestens ein Lächeln
„Weißt du“, sagt sie – und für einen Moment kehrt ein Hauch von Trauer ein – „weißt du: Seit ich hier bin, sind einige gegangen. Eine junge Frau– keine 40.“ Wenn Martina „gegangen“ sagt, ist „gestorben“ gemeint. Das muss man sich immer wieder klar machen. „Das hier ist meine Familie“, sagt Martina. Menschen, die sich auf ihre Abreise vorbereiten und andere, die ihnen zur Seite stehen. Die Währung an diesem Ort: Mindestens ein Lächeln.
Das hier, denke ich, ist doch eigentlich ein Ort des Abschieds. Und dann sitzt da Martina und genießt es, dass Menschen sie zur Kenntnis genommen haben. Das erzeugt Auftrieb, denke ich. Da ist plötzlich eine Kraft, die niemand auf dem Zettel hatte. Wahrscheinlich nicht mal Martina selber. Am Tisch: Martinas Nachbarin von früher. Sie hat Martina im Fernsehen gesehen und Kontakt aufgenommen. Ein Gast aus der Vergangenheit.
Ich zeig’s dir
Martina schaut mich an, lacht: „Soll ich dir was sagen? Ach was – komm mal her: Ich zeig‘s dir.“ Und dann das kleine Wunder: Martina, die beim letzten Mal, als ich sie sah, kaum etwas allein tun konnte, steht aus dem Rollstuhl auf. „Hättest du nicht gedacht, was?“ Nein, hätte ich nicht gedacht. Echt nicht.“ „Ich kann auch ein bisschen mit dem Rollator rumfahren. Und allein aufs Klo.“ So klingen Erfolgsmeldungen, denke ich. „Lass dich mal umarmen“, sagt sie und breitet die Arme aus …
„Du wirst den Blaumann noch nicht brauchen“, sage ich. Als ich Martina zuletzt besuchte, erzählte sie von ihrem letzten Wunsch. Der letzte Dress: Ein Blaumann. Und jetzt geht es um Grillwürstchen und Geburtstag. Niemand weiß, ob Martina es bis zum 5. Juli schaffen wird. Irgendwie spielt das auch keine Rolle. Es dauert, so lange es dauert. „Du kommst wieder, oder?“ „Klar.“
Bis neulich
Martina, die Frau aus dem Fernsehen. Die Frau, die ihre Freunde zur Abschiedsparty einlud. („Noch mal richtig feiern.“) Martina, die sich jetzt über ihre Follower freut und die Anteilnahme und Wärme, die ihr entgegenschlagen. Quatsch: Schlagen ist das falsche Wort. Entgegenströmen – das ist besser. Martina, denke ich, dreht den Tod auf links. Sie schwätzt dem Sensenmann noch ein Kotelett an die Backe. Jetzt müsste noch jemand kommen und ein Drehbuch schreiben. Martina – der Film. Selten so wenig traurig gewesen wie in dieser Gegenwart. „Dann bis neulich“, sage ich. „Freu mich“, sagt Martina und beim Weggehen wird gelacht an ihrem Tisch. Schlückchen Bier und ab damit …