Alles für den Katz
Vielleicht ist das Leben ein „Cut Out“. Gerade jetzt – herausgeschnitten aus der Umgebung des Erlebbaren. Vielleicht ist die Welt kein Ort, der aus Groß und Klein besteht, aus Wichtigkeiten oder Beiwerk – vielleicht ist das Leben der Ort, an dem die Bilder sind. Seine Bilder. Alex Katz, geboren in New York. 1927. Sohn russischer Einwanderer. Cut Outs – aus dem Leben Geschnittene. Eingepflanzt in eine neue Welt. Die Neue Welt. Selbstverpflanzte in einem anderen Leben …
Alex Katz lehnt an einer Wand des Museums Kurhaus Kleve. Seine Ausstellung wird vorgestellt. Selten ist der Bahnhof so groß. Alles für den Katz. Alex Katz: Amerikaner jenseits der 80. Lebende Legende. Da steht er – ein Gesicht, das Weltliteratur ersetzen könnte. Deutsch spricht er nicht. Da steht er und hört Lautmalerisches, aus dem – so jedenfalls muss man es sich wohl vorstellen – bekannte Worte aus dem Nichts auftauchen wie die Pfeiler der Brooklyn Bridge an einem Nebelmorgen. Da lehnt er und aus dem teutonischen Klangschwaden schält sich immer wieder das eine Wort: Katz. Es geht um ihn. Das zeigen die Bilder. Ein Museum macht Platz für die Legende. Da lehnt er und erkennt Redefetzen: Katz …, Katz …Pollock. Vielleicht ahnt er, was gesagt wird. Ahnt, dass da einer erzählt, dass dieser Katz Konkretes malte, als eine gesamte Künstlerumwelt anderen Dingen huldigte. Die anderen nahmen die Abzweigung, er hielt den Kurs, seinen Kurs: Auf das Konkrete zu. Da lehnt er, hört das Wort „Drippings“ und muss wissen, was da gerade erklärt wird. Vielleicht ist er anwesend wie einer, der all das hier beobachtet, als ginge es gar nicht um ihn. Vielleicht empfindet er diesen Katz als dritte Person. Erkatz. Das Erklärte ist längst erstarrt. Er wird es – daheim – schon oft gehört haben. Er hat seine Bilder erfunden – andere finden die Erklärungen.
Das Ricola-Syndrom
Ihm muss niemand etwas klar machen. Er weiß es. Das Ricola-Syndrom. Wer hat’s erfunden? Er. Katz. Er wird nicht verstehen, dass da von einer ungeheuren Lässigkeit des Malens gesprochen wird. Vielleicht würde er selbst es nicht Lässigkeit nennen. Für ihn sind es Bilder. Er malt die Welt. Hat sie verstanden. Er hat das Konkrete aus der Wirklichkeit gesägt und es dadurch in etwas Abstraktes verwandelt. Die Welt ist kein Ort. Da lehnt er, und sie streiten, ob das Werk des Alex Katz figürlich oder abstrakt ist. Sie suchen nach Worten, Begrifflichkeiten – suchen nach der Beschreibung dessen, was doch Bemalung ist. Geschichten. Es war einmal ein Maler, der mit seinem Bild unzufrieden war. Eigentlich war es nicht das ganze Bild. Es war der Hintergrund. Also schnitt der Maler alles weg, was ihn störte. Zurück blieb eine Figur – losgelöst aus allem Wirklichen. Eine Figur ohne Geschichte. Cut Out. Ausgeschnitten. Da lehnt er und muss das nicht verstehen was gesagt, interpretiert, gemutmaßt wird. Katz’ Figuren, seine Gesichter, seine Bildmittelpunkte sind allesamt verrückt. Entrückt. Ausgerückt – auch dann, wenn sie nicht ausgesägt sind. Es ist, als wäre einer mit der Kamera im Urlaub gewesen und die Bilder, die er machte, sind allesamt Details. Nichts, was verraten könnte, wo er gewesen ist. Wozu auch? Er weiß es doch. Und das Sehenswerte seiner Welt ist nicht von der Verortung des Gesehenen abhängig. Die Welt des Gesehenen führt ein Eigenleben. Sie besteht nicht aus großen Orten und kleinen. Die Welt teilt sich in Orte, auf die das Auge trifft und andere, die in keinem Blickfeld auftauchen außer in der nachgestalteten Wirklichkeit des künstlerischen Absurdistan.
Mahler
Will Katz zur Presse sprechen? Nein. Guten Tag sagen? „Danke, dass ich hier sein kann.“ Das reicht. Wozu erzählen, was doch ohnehin zu sehen ist? „Danke, dass ich hier sein kann“ bedeutet doch: Danke, dass es Platz gibt für meine Bilder – für die Cut Outs, die das Museum bevölkern. Gesichter: gemalt, ausgeschnitten und „aufgespießt“. Köpfe ohne Geschichten. Glatt gebügelte Gesichter, die erst in die Welt zurückgedacht werden müssen. „Erfinde meine Geschichte“, sagen sie. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht sind sie gemalt längst aus der Welt gerutscht. Vielleicht sind sie – „der Welt abhanden gekommen“. Das sagt Rückert. Ist das ein Kunsthistoriker? Nein. Dichter war der, und Gustav Mahler ist in diese Texte gefallen wie ein Erschöpfter ins Bett – wie Katz in die Welt. Setzt Katz die Welt neu zusammen? Das weiß niemand. Dass einer, dessen Eltern eine alte Welt verließen, um in einer anderen Welt neu zu leben – dass so einer Wirklichkeiten ausschneidet, kann kein Zufall sein. Aber wenn es Zufall wäre, wär’s doch auch egal. Katz’ Cut-Out-Gesichter denken sich in die Welt ihrer Hintergründe ein und werden gerade dadurch dialogversessen. Sie suchen das Gespräch mit dem Betrachter, der im Augenblick des Betrachtens zum Teilhaber ihrer Geschichte wird – sie aus der Beliebigkeit des Tonlosen rettet, obwohl sie keine Rettung brauchen in ihrer manischen Lässigkeit, die keine Lässigkeit ist. In ihrer Abstraktion, die konkreter nicht sein kann. Kleve muss nicht dankbar sein, dass Katz da ist. Katz ist dankbar, dass er hier sein kann. Er muss nichts sagen. Er hat es doch gemalt. „An American Way of Seeing“ – Werke von 1957 bis 2008. Zu sehen bis 2010 im Februar.
THE WORLD IS NO PLACE
Where the paintings are
Maybe life is a cut out. Precisely now – cut out from the surroundings of what can be experienced. Maybe the world is no place made up of large and small, of the important and the negligible – maybe life is the place where the paintings are. His paintings. Alex Katz, born in New York, 1927. Son of Russian immigrants. Cut outs – people cut out of life. Planted in a new world. The new world. Self-transplants in another life … Alex Katz is leaning against a wall of the Museum Kurhaus in Kleve. It’s the opening of his exhibition. Rarely is there that much attention. Everything for Katz. Alex Katz: American over 80 years of age. A living legend. There he stands – a face that could replace world literature. He doesn’t speak German. There he stands and hears onomatopoeia, from which – at least this is what one must assume – known words appear out of nowhere like the pillars of the Brooklyn Bridge on a foggy morning. There he leans, and out of the teutonic mist of sound one word is shaved over and over again: Katz. It’s about him. The paintings show as much. A museum makes space for a legend. There he is and recognizes slivers of speech: Katz … Katz … Pollock. Maybe he has an inkling about what is being said. An inkling that somebody explains that this Katz painted the concrete while a whole art-world worshipped something else. The others took the detour, he stayed on course, his course: towards the concrete. There he leans, hears the word „drippings“ and needs to know what is being explained. Maybe he is present like somebody who observes all of this as if it didn’t concern him. Maybe he perceives this Katz in the third person. HeKatz. The explained is long frozen. He will have heard it – at home – many times. He invented his paintings – others invent the explanations.
The Ricola-Syndrome
Nobody has to explain anything to him. He knows. The Ricola-syndrome. Who invented it? He did. Katz. He will not understand, that an incredible casualness of painting is spoken about. Maybe he himself would not call it casualness. For him they are simply paintings. He paints the world. Understood it. He sawed the concrete out of reality and in the process transformed it into something abstract. The world is no place. There he leans, and they squabble, whether the work of Alex Katz is figural or abstract. They are looking for words, concepts – looking for a description of something that is after all a depiction. Stories. Once upon a time there was a painter who wasn’t happy with his painting. Actually it wasn’t the whole painting. It was the background. And so the painter cut out everything that bothered him. What was left was a figure – detached from everything real. A figure without a story. Cut out. There he leans and does not need to understand what is being said, interpreted, conjectured. Katz‘ figures, his faces, the center points of his paintings are all askew. Ecstatic. Moved out – even when they are not sawed out. It’s as if somebody had been on vacation with a camera and the pictures he took are all details. Nothing that would give a clue where he had been. What for – he knows where. And what’s worth seeing in his world is not dependent on a specific placement of what happened. The world of the seen has its own life. The world is not made of big places and small ones. The world is divided in places discerned by the eye and others, which appe- ar in no field of vision except in the recreated reality of an artistic Absurdistan. Does Katz want to talk to the press? No. To say hello. „Thank you that I can be here.“ That’s enough. Why talk about what can be plainly seen? For „Thank you that I can be here“ means: Thank you that there is space for my paintings – for the cut outs which people the museum. Faces: painted, cut out and „impaled.“ Heads without stories. Faces ironed flat that need to be thought back into the world. „Come up with my story,“ they say. Or maybe not. Maybe once painted they have long slipped out of the world. Maybe they have been „lost by the world.“ That’s what Rückert said. Is he an art historian? No. He was a poet, and Gustav Mahler fell into his text like somebody exhausted into his bed – like Katz into the world. Does Katz put the world together anew? Nobody knows. That somebody, whose parents left an old world to live in another one anew – that somebody like this cuts out realities cannot be a coincidence. But even if it were a coincidence, it wouldn’t matter. Katz‘ cut-out-faces think themselves into the world of their backgrounds and for this reason become obsessed with dialogue. They seek the dialogue with the observer, who becomes a stakeholder in their story in the moment of observation – who saves them from the arbitrariness of a soundless world, even though they need no salvation in their manic casualness, which is no casualness. In their abstraction that couldn’t be more concrete. Kleve does not need to be thankful that Katz is here. Katz is thankful that he can be here. He does not need to say anything. He painted it. „An American Way of Seeing“ – Works 1957-2008. On view until February 2010. (Translation: Alexander Schlutz)