Schreibkraft
Heiner Frost

Rendezvouz mit Silvia

Wie geweckt steht man da. Eine Vokabel wie „atemlos“ fühlt sich – selbst nach vorherigem Einschalten des Schlagerpartikelfilters – verbraucht an und setzt nur Störgeräusche im Innenohr in Marsch. ‚Geweckt‘ also ist das Wort des Augenblicks. Gut geweckt. Dabei kommt man doch aus dem Museum …

Ein ganz großer Wurf

Im Klever Museum Kurhaus zeigen sie das, was so unscheinbar „Neupräsentation der Sammlung“ genannt wird. Ach ja, hätte man im Vorfeld denken können: Wieder mal umgeräumt. Dabei lässt sich unter Zuhilfename eines Konsonanten Tiefe gewinnen. Aus ‚umgeräumt‘ mach ‚umgeträumt‘ – schon wird was draus. Ein nicht unwesentlicher Teil der Kunst besteht ja aus der Auseinandersetzung mit dem Neuen, aber – das zeigt „Wasser und Wein“ (so der Titel der Neupräsentation) – manchmal ist das Wiedersehen mit alten Bekannten etwas anderes als das Wiedersehen von Altbekanntem. Das nämlich – auch das zeigt die Präsentation – ist meist nur vermeintlich. Man glaubte zu kennen. Harald Kunde, Chef im Kurhaus, spricht davon, dass Neupräsentationen immer auch ein Akt der Selbstvergewisserung sind. Es ist der Blick in die Sammlung – in das, was da ist. Es ist die Gelegenheit, neue Sinnzusammenhänge zu stiften. Ein bisschen ist es so, als wenn ein guter DJ auflegt: Der Pool ist bekannt, aber die Mischung macht‘s.
Was soll man sagen zu „Wasser & Wein“? Vielleicht so viel: Es ist der ganze große Wurf. Nicht mehr, aber bestimmt auch nicht weniger. „Wasser & Wein“ ist gewissermaßen der museale Beweis, dass man sich in guten Händen befindet bei denen, die hier in Sachen Kunst aufgelegt haben. Warum denn diskutieren über das Museum von morgen? Vielleicht erst mal ins Museum von heute gehen. Aber Dalli! Was heißt hier vielleicht? Es muss heißen: Wer nicht hingeht, bringt sich selbst um einen Kunstgenuss der Extraklasse.
Da haben Harald Kunde und seine Mannschaft alte Bekannte neu belebt. Natürlich sind Säulenheilige des Kurhauses dabei. Franz Gertschs Silvia wollte man schon immer mal wiedersehen. Kein Problem. Sie grüßt in der Wandelhalle. Jannis Kounellis ist vertreten und man spürt, dass sich eine Lücke schließt, von der man nicht geahnt hätte, dass sie überhaupt vorhanden war. „Wasser & Wein“ betäubt mit dem großem Atem, den nur ein Museum zu bieten hat. Im Kurhaus spielen sie ihre Trümpfe aus, ohne dabei den Graf Protz zu geben. Alles kommt so unspektakulär wunderbar daher, dass man erst im Hinausgehen zu begreifen beginnt, was diese Neupräsentation zu leisten imstande ist. Im Raum 17 hängen die Amerikaner: Richard Serra, Joel Shapiro und Stephen Prina – ein atemraubendes Ensemble, das schon bei dem Gedanken, es wird irgendwann wieder abgebaut, Phantomschmerz aufkeimen lässt.
„Unsere Sammlung ist“, sagt Harald Kunde, „eine exemplarische Sammlung und keine enzyklopädische“. Sprich: Es geht nicht um Vollständigkeiten – es geht um Einblicke. Anregungen. Natürlich darf man Name-Dropping betreiben. Gursky, Gertsch, Serra, Klein, Man Ray, Warhol. You name it – they have it.
Die Präsentation einer exemplarischen Sammlung setzt auf Trialoge: Werke, Zeiten und Räume treten in vorgedachte Beziehungen ein. Dabei kann viel schief gehen. Schräglagen können entstehen – ungeplante Dissonanzen auf der Bildebene. „Wein & Wasser“ tappt in keine Falle. Wer aus der Wandelhalle Richtung Katharina von Kleve Saal geht, dem wird als Museumsneuling nicht auffallen, dass da ein Durchbruch stattgefunden hat – im doppelten Sinne.
Schon bei der „Anreise“ offenbart ein Spalt Einblick, Durchblick, Ausblick. Der Durchbruch ist dabei mehr als ein Loch in der Wand – er ist als bahnbrechend zu sehen. Und dann der Saal selbst, in dem die Traversen, auf denen einst die Holzskulpturen aufgereiht waren wie Geweihe in einem Jagdzimmer, sind unsichtbar geworden. Aus den Säulenheiligen ist ein interaktives Ensemble geworden – atemraubend. Neue Sichtordnungen werden möglich und wer das ganze für eine „schicke Kleinigkeit“ ohne Tiefgang hält, begreift vielleicht nichts von den Dimensionen, die sich auftun. „Wasser & Wein“ kommt irgendwie selbstverständlich daher. Obacht! So was ist schwieriger herzustellen als man glaubt.
Man kannmussdarf hier nicht alles nennen, was zu sehen und zu entdecken ist, aber wenn es gilt, einen Museumsbesuch in Angriff zu nehmen, kann es nur ein Motto geben: Wenn nicht jetzt, wann dann? Der Grund ist einfach: Nicht alles, was zu sehen ist, bleibt. Natürlich wird mit dem nächsten Ausstellungsprojekt Platz anders gestaltet. „Wasser & Wein“ ist übrigens, so viel zum Thema Vorfreude, nur der erste Teil der Neupräsentation.
Muss man den Titel erklären? Man kann: „Dank einer beispielhaften Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen eröffnet sich für das Museum Kurhaus die Möglichkeit einer gewichtigen Erweiterung der Bestände im Bereich der Gegenwartskunst. Einerseits wurde die fotografische Sammlung durch großformatige Arbeiten der international renommierten Fotografen Wolfgang Tillmans und Candida Höfer angereichert, andererseits konnten identitätsstiftende Positionen wie Ewald Mataré und Dieter Roth durch neue, prominente Werke vertieft werden“, heißt es in einem Museumstext.
Im „Oberstübchen“ des Friedrich Wilhelm Bades findet sich dann Wolfgang Tillmans titelspendende Fotografie „Water and Wine“ – wiederum eingebettet in eine atemraubende Choreographie, in der auch Arbeiten von Stephan Balkenhol eine wichtige Rolle spielen.
Und beim Unterwegssein im Friedrich Wilhelm Bad passiert man Warhols neonschrille Interpretation einer Windmühle. Irgendwie passt alles. Das Kurhaus als Schönheitsreservat – oder die Neupräsentation des unbekannt Bekannten.

Rendevouz mit Silvia.