Wie schön doch das Altern im Fernsehen meist aussieht. Alles fühlt sich an wie das verdiente Happy-End. Im Kino des Lebens läuft nicht selten anderes Filmmaterial.
Werner ist 79. Werner und lebt in einem Seniorenheim – Frieda auch. (Die Namen der beiden sind frei erfunden – ihre Geschichte leider nicht.) Frieda ist derzeit nicht im Heim. Sie liegt im Krankenhaus. Es ist was mit der Bauchspeicheldrüse. Eine Operation hat stattgefunden. Werner und Frieda sind seit 36 Jahren ein Paar. Wilde Ehe hätte so was früher geheißen, denn die beiden haben keinen Trauschein. Trotzdem leben sie in einem gemeinsamen Zimmer in einer Einrichtung irgendwo im Kreis Kleve.
Frieda und Werner haben einen Wunsch: Sie möchten heiraten. Frieda hat drei Kinder. Die haben nichts dagegen, dass die Mama heiratet. (Schon einen solchen Satz darf man eigentlich nicht zu Ende denken. Die Kinder fragen?) Frieda hat – neben ihrer aktuellen Erkrankung – die Diagnose einer aufkeimenden Demenz. Ihre Angelegenheiten liegen in den Händen eines Betreuers – seit April letzten Jahres. „Der Betreuer mag die Einwilligung zur Trauung nicht geben“, erzählt Werner. „Durch unsere Heirat“, sagt er auch, „werden weder finanzielle Vor- noch Nachteile entstehen. Friedas Witwenrente geht sowieso an das Heim.“ Am Ende geht es den beiden eigentlich gar nicht um den Verwaltungsakt einer Hochzeit – es geht um eine Geste – es ist die Geste der Verbundenseins irgendwo in der Nähe der Ziellinien.
Eine rein kirchliche Trauung würde ausreichen – oder eine Art Zeremonie. Die beiden haben unterschiedliche Konfessionen – aber das haben auch andere schon hinbekommen. „Es würde sich doch eigentlich nichts ändern“, sagt Werner. Was sich änderte, findet in Herz, Kopf und Seele statt. Werner hat neun Geschwister – er ist der Zweitälteste. Was sagt die Familie? „Die fänden das gut“, sagt Werner.
Demnächst hat er Geburtstag, und sie werden alle kommen. Ein Fest soll es werden. Und am allerbesten wäre es doch, „die Zeremonie gleich mit zu feiern“. Jeden Tag fährt Werner zum Krankenhaus. Er will seine Zeit mit Frieda verbringen. Ach ja – nicht nur der Betreuer ist gegen die Hochzeit, auch die Heimleitung ist – salopp gesprochen – nicht wirklich begeistert. Schließlich ist Frieda im Anfangsstadium einer Demenz. Was, wenn sie es sich anders überlegt? (Hat mal jemand die Statistik bemüht und nachgefragt, wie viele geistig Gesunde es sich nach der Hochzeit anders überlegen?)
Anruf bei einem Seelsorger: Natürlich kann man eine Segnungszeremonie abhalten. Das ist kein Problem und wird häufig auch von Hausgeistlichen in Altenpflegeeinrichtungen gemacht.
Anruf bei einer Betreuerin: Ob ein Betreuer „Einspruch“ gegen eine Heirat erheben kann, hängt im wesentlichen davon ab, welchen Aufgabenkreis ihm das Gericht übertragen hat. (Aufgabenkreise sind: Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung bei gerichtlichen Verfahren, Vertretung gegenüber Behörden, Entscheidungen über Fernmeldeverkehr und über die Entgegennahme und das Öffnen von Post, Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigen.) Schlägt man bei Wikipedia zum Thema „Betreuung und Eherecht“ nach, findet sich folgender Eintrag: „Für Eheschließungen ist ein Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) nicht zulässig. Somit können auch unter Betreuung stehende Personen grundsätzlich heiraten (anders als im früheren Vormundschaftsrecht), ohne den Betreuer fragen zu müssen.“
„Bei einer ansetzenden Demenz geht es meist erst einmal um finanzielle Dinge. Da kann ein Betreuer nicht einfach sagen, dass er oder sie einer Heirat nicht zustimmt“, erklärt eine Betreuerin. Vielleicht, denkt man, hat Werner etwas falsch verstanden. Vielleicht haben ja Betreuer und Heimleitung gesagt, dass sie, was er und Frieda sich wünschen, „für keine gute Idee“ halten.
Schade eigentlich, dass Werner seine Geschichte erzählt hat und dann gegangen ist. Also: „Werner, Sie könnten, wenn es um eine Geste der Verbundenheit geht, jederzeit eine Segnungszeremonie in Anspruch nehmen. Dagegen kann niemand etwas sagen. Letztlich kann auch eine Heimleitung Ihnen das Heiraten nicht verbieten. Auch in Sachen Betreuer dürfte es nicht einfach mit einem ‚Veto‘ getan sein. Wenn Frieda und Ihnen das ausreichen würde, melden Sie sich einfach. Alles Gute für Sie und gute Besserung für Frieda.“
Ach ja: Vielleicht auch mal einen Blick in die Info-Broschüre des Justizministeriums werfen. Seite 24: Eheschließung und Errichtung von Testamenten: Betreute können, wenn sie geschäftsfähig sind, ihre höchstpersönlichen Rechte weiter wahrnehmen, zum Beispiel heiraten. […] Der Zustimmung des Betreuers für diese Handlungen bedarf es deshalb nie.
Oder Seite 30: Wohl und Wünsche der Betreuten. Die Betreuung ist so zu führen, wie es dem Wohl der Betreuten entspricht.Dazu gehört auch, dass nicht einfach über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Vielmehr müssen betreute Menschen mit ihren Vorstellungen ernst genommen werden. […] Betreuer müssen sich daher durch regelmäßige persönliche Kontakte und Besprechungen wichtiger anstehender Entscheidungen ein Bild davon machen, welche Vorstellungen die betreute Person hat, was sie gern möchte und was sie nicht will. […] Eigene Vorstellungen dürfen sie [die Betreuer, Anm. d. Red.] nicht ohne zwingenden Grund an die Stelle derjenigen der Betreuten setzen.
Heiner Frost/Verena Schade