„Nicht, was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern, um davon zu erzählen“ – diesen Satz würde man gern aufs eigene Konto buchen, aber er wurde geschrieben und gedacht von einem der ganz Großen: Gabriel García Marquez.
Überdeutlich, übermächtig
Bilder sind eine Form der Erinnerung, die oft ohne Worte auskommt – sie sind das, was bleibt. Sie sind ein mächtiges Werkzeug und gerade in diesen Tagen wird das überdeutlich – also übermächtig. Klaus Franken ist ein Arbeiter an der Schnittstelle von Bildern und Buchstaben. Franken ist einer, der Kommentare zum und auf das Leben produziert: ein irgendwie unbequemer Geist, der sich nicht mit dem Schönen zufrieden gibt. Franken verarbeitet Geschichte in Geschichten und Bildern. Das zeigen seine „Poems on Linoleum“.
Der Nachttopf
Vor zwei Jahren waren Arbeiten von Franken im Café Samocca in Kleve zu sehen. Ab dem 18. März werden Frankens Arbeiten wieder im Samocca zu sehen sein. Mit dabei – natürlich – die Poems on Linoleum. Das Plakat zur Ausstellung: nicht im handelsüblichen Hochformat. Franken legt die Dinge quer und hat auch einen Text dazu: „Ein Clown vorm Samocca am Straßenrand hat einen Nachttopf in der Hand. Gefragt: Warum?, hat er gesagt: Ich fürchte, es gibt bald nichts mehr zu lachen. Dann möcht‘ ich mir nicht in die Hosen machen.“
Das Gespräch mit Franken beginnt im Schweigen. Es gibt dieser Tage Bilder, die zu mächtig sind – sie haben die Herrschaft angetreten: ein Krieg in allen Farben. Und dann kommt Franken und zeigt seine Kunst im Café. Man denkt einen Moment nach und kommt zu dem Schluss: Kontrapunkte müssen her. Der Text auf dem Plakat: Ein grauer Blick in eine schwarze Zukunft. „Ich fürchte, es gibt bald nichts mehr zu lachen.“
Naturereignis
Franken mag sich zu dem, was die Gegenwart anbietet, nicht in Bildern äußern. Trotzdem hat er eine Arbeit geschaffen – eine, die sich auf die Worte zurückzieht. Eigentlich ist das falsch. Einer wie Franken zieht sich nicht zurück – aber dies eine Mal hat er Bild und Farbe hintangestellt. „Naturereignis“ heißt das Blatt, das Franken mitgebracht hat.
„Die Sonne ist seit vielen Tagen nicht mehr aufgegangen. Die Wolken fallen nach und nach herab vom zerbombten Himmel über dem Maidan. Die Engel singen in einer Dauerschleife ‚Blowing in the Wind‘. Dann verschwinden ihre Stimmen in den Mündungsfeuern der einbrechenden Gewitter. Die Hölle hat ihre Pforten weit geöffnet und ruft: Hereinspaziert.“
Umkehrung
Es ist die Umkehrung des „Ohne-Worte-Prinzips“. Die Bilder entstehen ganz von selbst. Franken kannwill nicht schweigen. Das wird spätestens jetzt klar. Frankens Kunst ist eine Kunst des Teilnehmens, ohne bildnerischen Betroffenheitstourismus zu betreiben. Da ist einer, der das Maul nicht halten will – einer von denen, die gebraucht werden. Was demnächst im Samocca an den Wänden hängt, ist – auch das sei gesagt – keine Kriegsausstellung. Frankens Kunst ist lebensabbildend. Irgendwie direkt. Es braucht keine Umwege, um das Ziel zu erreichen. Ich muss an einen Lesefehler denken: „Sitz mal grade, Glück nach vorn“, hatte ich damals gelesen. Dabei musste es heißen: „Sitz ma grade, guck nach vorn. Blas ma in dein Martinshorn.“ Da ist er wieder – der „Fränkische Widerspruch“: Vorn das Glück und: „Blas ma in dein Martinshorn.“
Frankens Ziele sind schnell zu finden, aber das Glück ist in seiner Welt kein Gastgeschenk. Der Weg zur Zufriedenheit ist steinig. Man muss ihn erst finden. Franken ist mit Scheuklappen nicht zu entziffern. Gut so. Und wer sich für das Denken im Zentrum der Bilder interessiert, sollte sich „Poems on Linoleum“ ansehen. Es tut nicht weh, aber es zwickt in der Seele.
Ach ja – das noch: Franken hat auch ins eigene Archiv geschaut: Bilder und Texte aus den Jahren 1976-1983. Da gibt‘s auch Lustiges: „Meine liebe Marmelade, komm doch auf mein Butterbrot und dann fahr‘n wir mit der Rade Tief hinein ins Abendrot.“ Und während man noch schmunzelt, taucht eine Schnecke auf und deutet an, das nichts ohne Wiederholung ist: „Sie kriecht nur langsam dann und wann ein kurzes Stück und ruht sich lange aus. Sie hat ein Haus, in dem sie wohnen kann – umsonst – und auch die Preise laufen ihr nicht davon. Sie braucht nichts kaufen. Es fehlt ihr nichts. Nur eines vielleicht: Dass unser Fortschritt sie erreicht.“ Der Anfang kehrt zurück – ein Machtbild: „Nicht, was wir gelebt haben, ist unser Leben …“
Frost über Franken: Sitz ma grade, Glück nach vorn.
Frost über Franken: Rosalie und Tulipan
Frost über Franken: Berliner Schaumkrone oder: Kriege gucken Tagesschau