Schreibkraft
Heiner Frost

Rosalie und Tulipan

Foto: Rüdiger Dehnen

Da liegt sie: Klaus Frankens neue Mappe mit sieben plus eins Linoldrucken in Farbe: „Rosalie und Tulipan im Eisbärenzelt“. Das könnte der Titel für eine Kindergeschichte sein, aber Franken ist kein Märchenonkel …


Der Untertitel lässt erste Ahnungen zu: „Die ganze Wahrheit“ steht da. Das kommt irgendwie groß daher. Kommt da einer mit dicker Lippe und beschreibt den Zustand der Welt? Man möchte doch Kunst. Das Erhabene, Erbauende – das Wohlige. Und was gibt es? Pustekuchen. Die Welt auf der Flucht. Abgereist aus der Ertragbarkeit. Alles endet mit einem schwarzgrundierten Blatt. „Am Ende der Welt steht ein Eisbärenzelt. Der Eisbär ist fort …“ So beginnt das Ende. Sechs Blätter hatte man Zeit, sich bildtextlich in die Realität beamen zu lassen, aber Franken erzählt nicht von einer fernen Zukunft und unendlichen Weiten. Er beschreibt ein Leben am Abgrund – eine Uhr, auf der das Fünfvorzwölf schon Teil der Endlichkeit ist. Bestenfalls ist von jenem Bruchteil der Zeit zu sprechen, in dem der Sekundenzeiger den letzten Sprung unternimmt, der ihn zum Teil des Zeigertrios am entgegengesetzten Ende des Urknalls macht.
Am Anfang: ein Schwein: Rosalie. „Die Wahrheit hieß Rosalie. Sie war ein sehr wandlungsfähiges Borstenvieh.“ Frankens Welt erzählt vom Untergang. Der hat viele Gesichter und wenn man sich durch die Blätter liestguckt, wird klar: Frankens Welt ist die eigene. Es ist die, in der wir uns eingerichtet haben und täglich versuchen, dem Untergang zu entgehen. Es ist die Welt, in der wir nach dem Schönen suchen, ohne das es kein Weiter gibt. Franken erzählt in Texten und Bildern, dass es – Umkehr vorausgesetzt – vielleicht ein ‚weiter‘ gibt, ein ‚weiter so‘ aber gewiss nicht. Man denkt nach: schon ‚Umkehr‘ ist ein falsches Wort – eines, das uns vorgaukelt, dass es ein Zurück geben könnte. Aber: Wohin, bitte, soll es zurück gehen? „Stacheldraht und Kopfsalat“, blickt es einen aus dem Blatt an, dessen Titel „Heimat“ lautet.
Sollte man nicht über die Kunst sprechen? Sollte man nicht Mut machen? An das Schöne denken? Sollte man nicht sagen: Eine wunderbare Mappe, die jeden Euro wert ist? Und dann sind da diese sieben Blätter: ein Schmerz auf Rezept. Fast kommen sie wie ein Vermächtnis daher. „Ich habe versucht, es mit Humor zu sehen“, sagt Franken und man denkt, dass es ein giftgetränkter Humor ist. „Die Wahrheit war mal wieder mit ihrer Wünschelrute unterwegs“ heißt es auf einem Blatt mit dem Titel „Hu Hu“. Franken sieht eine Welt in Atemnot. „War‘s kein Traum. Feuerwasser. Komma, wird schon wieder. Gute Nacht.“ Beständig wartet man auf die Wende, aber beständig wird man weiter eingetaucht ins Schwarze: „Am Ende der Welt steht ein Eisbärenzelt.“
Nein – Franken malt uns nicht die heile Welt. Wie denn auch? Sie ist uns längst abhanden gekommen. Falsch: Das klingt so unaufhaltsam. Es klingt nach Schicksal. Nach etwas Unaufhaltbarem. Franken hält uns einen zersprungenen Spiegel hin. Die Wahrheit – ein rosa Schwein – das Ende: ein verlassenes Eisbärenzelt. „Rosalie und Tulipan“ ist ein Beipackzettel ohne Medikament. Wir sind am Ende allein mit den Nebenwirkungen.
Wir sind ein Tier, das gelernt hat, auch im Elend noch das Schöne zu suchen und nicht selten auch zu finden. Das Überleben wäre sonst schwer. Wer will täglich aufstehen mit dem Gedanken an den unaufhaltsamen Untergang? Der Untergang ist unsere Erbschaft. Wir sind noch nicht Teil davon.
Wenn Kunst von solchen Dingen erzählt, wird sie Teil der Unbequemlichkeit. Aber wer sagt denn, dass Kunst nicht Mahnung ist – dass sie sich heraushalten soll und nur taugt, den Untergang zu überpinseln? Was soll der einzelne tun? Frankens Mappe ist keine Antwortmaschine, aber ein Rufzeichen. Im Wunderbaren steckt, genau besehen, die Wunde.
Man sollte Frankens „Rosalie und Tulipan“ großflächigöffentlich plakatieren. Auf dem letzten Blatt glänzt neben dem trauriglustigen Eisbärenschneemangesicht ein Fleck, der nicht von Franken stammt. Da ist einem etwas aus dem Auge getropft. Der Eisbär ist fort …
Klaus Frankens Mappe ist zum Preis von 85 Euro in der Buchhandlung Hintzen in Kleve zu haben. Auflage: 30 Exemplare.

Foto: Rüdiger Dehnen