Schreibkraft
Heiner Frost

Kevin allein zuhaus oder: Solo für Paatz

Mannomann: Ein ganzes Museum für sich allein zu haben – das muss ein gutes Gefühl sein. Kevin allein zuhaus gewissermaßen – nur, dass es nicht Kevin ist. Es ist Jürgen. Jürgen Paatz.

Alle Facetten

„(fast) Alles“ heißt die Ausstellung, die am Sonntag um 11.30 Uhr eröffnet wird und Paatz in allen Facetten auf die Spur kommt – eine dreistöckige Hommage, die die Lust am Hinsehen fördert und fordert. Da vollzieht man beim Unterwegssein den Abschied vom Tafelbild nach und erlebt, wie einer sich aufmacht, die Fläche zu verlassen und andere Dimensionen zu beschnuppern. Klar – in der Rückschau wirkt das irgendwie selbstverständlich, aber hinterher hat man immer gut reden. Man glaubt, in den frühen Arbeiten von Jürgen Paatz noch immer den Aufbruch zu spüren: das Frischgebliebensein.
Manch kleine kuratorische Geste erzählt über die Flucht der Bilder von der Wand: Da steht ein Bild auf Keilen – lehnt schräg an der Wand. Wird das noch gehängt?, fragt man klammheimlich. Nein, das bleibt so. Es steckt ein Rückblick in dieser Geste – einer, der eben vom Nachdenken über das Althergebrachte erzählt. Das Gute: Es bleibt nicht bei einer Geste – das wäre zu wenig.

Ausflug in ein Künstlerleben

Paatz, das konstatiert man nach einem drei-etagigen Ausflug in ein Künstlerleben, gehört zu denen, die das Nachdenken über die Entwicklung in Bilder, Stoffe, Situationen übersetzen können ohne ins Dozieren abzuschweifen. Vielleicht, denkt man, gibt es ein paar Wiederholungen – kleine Augenblicke nur, die den Fluss nicht stören. Vielleicht gibt es Situationen, die sich nicht sofort selbst erklären. Gut so. Da ist dieser wunderbargroßeüberzweietagenatmende Raum: Man tritt ein und es fühlt sich an wie ein Atelier. Bilder, die mit dem Gesicht zur Wand aufs Entdecktwerden warten. Das erzeugt eine ruhigfließende Dramatik, die etwas sagt über das Künstlersein. Man erfährt es quasi nebenbei. Natürlich kann man sagen, das sei nachgestellte Atelierromantik, aber genau das ist es nicht, denn was man sieht, ist irgendwie schonungslos: und es ist eine Situation unter vielen.

Angenehmleise

„(fast) Alles“ ist eine Künstlerbiografie ohne Worte. Und zwischendrin – es ist drei Tage vor der Eröffnung – huscht der Paatz durchs Haus als sei er auf Besuch in der eigenen Vergangenheit: Ein angenehmleiser Mensch, denkt man. Und eine angenehmleise Ausstellung – eine, von der man sich aufsaugen lassen kann. Eine, die im Detail – fast könnte man es übersehen – die Grenzen zwischen Wand und Boden schmilzen lässt. Eine, die beim zweiten Hinsehen hier Fragen auflöst und dort entstehen lässt. Eine, die sagt: Nimm es nicht wie es ist. Für Paatz ist „(fast) Alles“ keine Rückschau, keine Retrospektive. Es ist eine Ausstellung. Eine Station. Mehr nicht. „Weiter geht’s!“

Übersetzungen

„(fast) Alles“ lotet Möglichkeiten des Künstlerseins aus und – siehe oben – liefert Übersetzungen in eine andere Ausdruckswelt. Es ist eine Welt, die ohne Worte existieren kann. Du stehst vor einem Bild und ein Gefühl entsteht. Niemand muss es benennen. Ein bisschen ist das wie bei den Tönen, die sich über die Ohren ins Zentrum schleichen. „(fast) Alles“ ist ein Zielort und irgendwie denkt man an Ulrich Plenzdorfs ‚Die neuen Leiden des jungen W.‘ Ein Zitat hat sich im Kopf eingenistet: „Man kann nicht alles sagen, Lotte. Wer alles sagt, ist vielleicht kein Mensch mehr.“
„(fast) Alles“ ist ein mehr als lohnenswerter Besuch im Leben: einfach mal hingehen und Zeitreisen. Möglich ist das bis zum 11. Juni.

Ein Rückblick