Schreibkraft
Heiner Frost

Das Ende der Endlichkeit

Spiegel-Cover vom November 1979. Foto: Rüdiger Dehnen

Drucksachen – natürlich sind andere Meinungen willkommen – gehören ins Reich der Langeweile. Auf der Suche nach einer Definition findet man: „ … aus einem gedruckten Text bestehende, zu ermäßigter Gebühr beförderte, nicht verschlossene Postsendung“. So weit – so gut.

„über“

Als ob man‘s nicht gewusst hätte: kleine Worte – großer Unterschied. In der Sparte „Kunst. Bewegt“ zeigt das Museum Schloss Moyland bis zum 28. Februar eine Ausstellung mit dem Titel „über Drucksachen – bearbeitete Zeitungen von Joseph Beuys“. (Fast hätte man die „Zeitungen“ als „Zeichnungen“ gelesen. Der vorauseilende Beuys-Gehorsam. So schnell kann‘s gehen.) Das „über“ jedendalls macht den Unterschied, denn wer würde sich schon wegen einer Drucksache auf den Weg ins Museum begeben?
Wenn aber Kunst auf Zeitung trifft (übertragen und im wörtlichen Sinn), setzt sich die Verewigungsmaschine in Gang. Bekanntlich ist nichts älter als die Zeitung von gestern. Natürlich gibt es Ausnahmen: Titelseiten und Schlagzeilen können auch Geschichte schreiben. (Wir sind Papst.)

Das Ende der Endlichkeit

Wird aber eine Zeitung zum Trägerformat für einen Künstler wie Joseph Beuys, ist es schnell vorbei mit der Endlichkeit. Das liegt womöglich an der Änderung des Hauptzwecks. Eben das wird in der Moyländer Ausstellung sichtbar. „Joseph Beuys verwendete in seinen künstlerischen Arbeiten immer wieder Objekte und Gegenstände des Alltags. So entstanden Werke aus Druck-erzeugnissen und Zeitungen. Die neue Ausstellung in der Reihe ‚Kunst. Bewegt.‘ umfasst rund 50 Werke, darunter überarbeitete Zeitungen, Objekte und Collagen mit Zeitungspapier von Joseph Beuys sowie thematisch passende Drucksachen und Fotografien“, heißt es in einem Text zur Ausstellung. Weiter heißt es: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen die Dadaisten und Kubisten damit, Wörter oder Sätze aus Zeitungen in ihren Gedichten zu zitieren und bedrucktes Zeitungspapier in Collagen und Skulpturen zu verwenden. Diese Vorbilder griff die Fluxus-Bewegung, zu der auch Joseph Beuys gehörte, Anfang der 1960-er Jahre wieder auf. Nun wurden Zeitschriften und Zeitungen sowie andere Druckerzeugnisse auch dazu verwendet, um mit Kunstwerken Informationen zu verbreiten oder um Fragen der Urheberschaft oder der Funktion von Kunst zu thematisieren.“
„Über Drucksachen“ ist also in doppelter Hinsicht interessant: Da wäre einerseits der „quasi philosophische“ Teil, der sich im Kopf des Besuchers abspielt und um die Frage kreisen kann, wie aus dem Alltäglichen das Besondere wird, und da wären andererseits eben all jene Objekte, die anzuschauen allein schon Spaß macht.

Der Größte oder Scharlatan?

Da fragt „Der Spiegel“ auf der Titelseite vom 5. November 1979: „Künstler Beuys – Der Größte: Weltruhm oder Scharlatan?“ und bildet eben so eine Unsicherheit ab, die sich irgendwie bis heute gehalten hat. Ist also doch nicht alles so alt wie der Spiegel von gestern?

Wissensspeicher

Zurück zum Museumstext: „Auch Joseph Beuys hat Anfang der 1960-er Jahre mit Drucksachen gearbeitet. Vor allem Zeitungen und Zeitschriften spielten für ihn eine große Rolle. Das lässt sich an der Vielzahl der Werke ablesen, die er mit diesem Material geschaffen hat. Einige dieser Arbeiten stehen in der Tradition der Dadaisten. Beuys eröffnete aber auch neue Sichtweisen auf das Thema, indem er aufgeschlagene Zeitungsseiten gezielt mit Farbe bearbeitete oder Zeitungen als Wissensspeicher begriff und sie zu Stapeln geschichtet als Batterie bezeichnete. In den 1970-er und -80er Jahren nutzte Beuys Drucksachen und Zeitungen vor allem als Medium, um seine Idee von einer sozialen Kunst zu erklären und zu verbreiten.“

Zu sehen ist „über Drucksachen“ bis Ende Februar 2021.

Museum Schloss Moyland: die Ausstellungen