Schreibkraft
Heiner Frost

Dinge sind wie Dinge sind

Beate Streuli: New York. NN-Foto: Rüdiger Dehnen

„Meinen Bildern ist egal, wer sie gemalt hat“, sagt der Künstler Jürgen Vogdt und man denkt: Den Bildern vielleicht – Sammler, Kuratoren und Publikum sehen es gern anders.

Josephine Meckseper, Blow up (Michelli, Legs, Mirror), 2006; fotografiert von Rüdiger Dehnen

Zugpferde

Namen sind Zugpferde im Durchlauferhitzer Kunstbetrieb und wenn es danach geht, dürften im Museum Kurhaus von Freitag an die Drähte glühen, den unter dem Titel „Freischwimmer“ ist dann Fotografie aus den Sammlungen Viehof und dem Museum Kurhaus zu sehen. Große Namen. Große Formate. Großes Kino.

Foto – Fotografie

Fotografie und Foto verhalten sich zueinander wie Malerei und Bild und da jeder Vergleich, der auf sich hält, hinkt, muss man sagen, dass es sich komisch anfühlen würde, angesichts dessen, was das Kurhaus da zeigt, von Fotos zu redendenkenschreiben. Fotos – das fühlt sich irgendwie lapidarer an – als würde man angesichts einer Ausstellung mit Malerei von Bildern schreiben.

Dialogausstellung

Harald Kunde, Chef des Museums Kurhaus Kleve, spricht angesichts der „Addition“ zweier Sammlungen von einer Dialogausstellung. Sich einer Ausstellung zu nähern – dazu gibt es viele Möglichkeiten: Zu nennen wären die Namen der Künstler, die Sammlungen oder eben die Bilder selbst.

Cinemascope

Was einen da auf drei Etagen im Kurhaus von den Wänden anblickt ist – wörtlich und im übertragenen Sinne – großes Kino. Und apropos Kino: Dort würden sie angesichts der teils ziemlich großen Formate vor Filmbeginn die Leinwand noch weiter als sonst freilegen: Cinemascope.
Natürlich wäre es spannend, von den großformatigen Arbeiten Abzüge im „antiken“ Format zu belichten und aufzuhängen, um der Wirkung auf die Spur zu kommen, die das Große unweigerlich im Schlepptau hat. Es wäre ein bisschen so, als würde man einen Thriller ohne die Musik zu hören bekommen.

Ungeheuere Vielfalt

Natürlich arbeitet sich Eindruck von den Wänden hinunter zum Zuschauer. Löst man sich aber von den Formaten, zeigt sich vor allem eine ungeheuere Vielfalt im Umgang mit der Kunst des Fotografierens. Das reicht von wie aus dem Stegreif wirkenden Portraits bis hin zu Stillleben, aus denen der Zufall längst ausgezogen ist – da finden sich Abbilder von Sachen, Menschen, Pflanzen, Tieren auf der Grenze zur Malerei, aber: was auch immer abgebildet, eingefangen und verewigkeitet wurde, ändert seine Wertigkeit und wird zu etwas anderem. Bei der Malerei muss man nicht lange nachdenken über diese Metamorphose, die ein Ding durchläuft, wenn es zum Zentrum eines Bildes wird. Die Fotografie wird häufig anders empfunden. Alles scheint real – irgendwie selbstverständlich. Die Dinge sind wie die Dinge sind und eben hier kann jener Trugschluss der Unterschätzung beginnen – jeden „Undwassolldasnunbesonderessein-Gedanke“.

Mehr als ein Dialog

„Freischwimmer“ ist in der Tat ein fantastischer Dialog und eigentlich ist es ja viel, viel mehr. Da unterhalten sich nicht zwei Sammlungen – da tauschen Künstler Thesen über Schein und Sein aus und nutzen den Betrachter als Botschafter, denn natürlich sind und bleiben die Bilder stumm, aber ihnen ist nicht egal, wer vorbeikommt.
Zwei Orte

Gerade hatte man sich von John Akomfrahs „Purple“ abgenabelt, da kommen sie im Kurhaus schon mit dem nächsten Rufzeichen um die Ecke: „Kommt her! Seht euch das an!“. Ja, denkt man, „und kauft euch gleich das leider nicht vorhandene Kombi-Ticket, das den Eintritt ins Museum Goch ermöglicht, wo sie unter dem Titel ‚Face Britain‘ eine nicht weniger sehenswerte Fotografie-Ausstellung zeigen“.

Beide

Man sollte sich beide Ausstellungen ansehen. In Goch wurde am Sonntag eröffnet, im Kurhaus findet die Eröffnung am Freitag, 2. Oktober, um 19.30 Uhr statt. 200 Leute dürfen kommen und müssen sich vorher anmelden. Harald Kunde: „Die 60 Sitzplätze für die Eröffnung sind allerdings schon vergeben.“ Kunde: „Wichtig ist aber auch, dass jeder, der sich anmeldet, trotzdem am Freitag noch ins Internet schauen sollte. Bei Akomfrah hatten wir auch gedacht, dass es eine Eröffnung gibt. Die musste dann aber coronabedingt abgesagt werden.“
Natürlich wird zu „Freischwimmer“ auch ein Katalog erscheinen. Da bietet sich dann beim Flanieren durch die Ausstellung die Möglichkeit, dem Unterschied zwischen groß und klein auf die Spur zu kommen.

Infos zur Ausstellung

„Freischwimmer“ im Museum Kurhaus Kleve ist bis zum 21. Februar 2021 zu sehen.

Museum Kurhaus: Freischwimmer

Die Künstler:
Laurenz Berges, Tacita Dean, Thomas Deman, Hans-Peter Feldmann, Fischli/Weiss, Ori Gersht, Dan Graham, Andreas Gursky, Matthias Hoch, Evelyn Hofer, Candida Höfer, Axel Hütte, Zoe Leonard, Sharon Lockhart, Jochen Lempert, Josephine Meckseper, Boris Mikhailov, Peter Piller, Tata Ronkholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Cindy Sherman, Katharina Sieverding, Beat Streuli, Thomas Struth, Wolfgang Tillmans, Jeff Wall, Christopher Wool, David Zink Yi

 

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