Schreibkraft
Heiner Frost

Wie gewonnen …

Die Sache ist eigentlich philosophisch zu sehen, denn: Es geht um die Bedeutung des Geldes. „Wer Banknoten nachmacht oder verfälscht oder nachgemachte oder verfälschte sich verschafft und in Verkehr bringt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.“

Eine Warnung

So stand es einst – zu D-Mark-Zeiten – auf deutschen Geldscheinen. Die Euroscheine kommen nicht warnend daher. Zu viel Text, wenn es in allen Landessprachen gedruckt werden würde. Früher also: Geld einerseits – Warnung andererseits.
Geld ist eine Idee. Das ist das eine. Geld regiert die Welt. Das ist das andere. Geld ist ein Übereinkommen. Wer wollte schon heute noch ein Fuder Äpfel vom Bodensee gegen ein Smartphone aus Korea tauschen? Und: Wie bezahlt man eine Komposition, einen Text, wenn man kein Tauschobjekt zu bieten hat? Geld ist, wenn man so will, ein kleinster gemeinsamer Nenner auf höchster Ebene. Geld wird vom Staat ausgegeben. Der Staat achtet argwöhnisch darauf, dass niemand sonst sich an der Produktion zu schaffen macht. „Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr“ … so beginnt der Paragraf 146 des Strafgesetzbuches. Jeder sollte es wissen: Du sollst nicht Geld fälschen und als Echtes in Umlauf zu bringen versuchen. Zwei Paragraphen regeln den Umgang: 146, 147. Und – nur mal zum Vergleich des „Grundtons“ – der Paragraph 242. Da geht es um Diebstahl: „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Irgendwie klingt das anders, aber vielleicht ist das nur Einbildung. Nun zum Eigentlichen.

Erwischt

Es geht, siehe oben, um Falschgeld. Der Angeklagte ist mit 200 gefälschten 500-Euro-Scheinen erwischt worden, als er aus Holland kam. Man hat auch Kokain bei ihm gefunden. Der Angeklagte (nennen wir ihn Z.) hat natürlich eine Geschichte: Im Café seiner Frau, für das er als Geschäftsführer tätig ist, hat er einen Mann kennengelernt. Der spielte hin und wieder an den Geldautomaten. Mal gewann er, mal verlor er. Dann lieh er sich Geld bei Z. – es fing an mit einem Hunni. Einen Tag später beglich Erol – so hieß der Mann – seine Schulden. Vertrauensbildende Maßnahmen. Wenn in einer Gastwirtschaft Spielautomaten stehen, lernt man, sind 60 Prozent des Gewinns für den Gastwirt – 40 Prozent bleiben beim Besitzer und Aufsteller der Automaten.

Hol mir mein Geld

Klar leiht man dann als Gastwirt dann schon mal was aus. Man bekommt‘s ja bestenfalls zurück und hat in einen Zusatzgewinn investiert. Erol hatte bei Z. irgendwann 1.300 Euro Schulden angehäuft und macht dem Angeklagten einen Vorschlag: Der soll für Erol Geld aus Holland holen. Seinen Freunden kann Erol das nicht überlassen. Er traut ihnen nicht. (Immerhin traut er dem Angeklagten. Ein winziges Fragezeichen bringt sich in Position.) Wenn Z. das Geld holt, bekommt er einerseits die Schulden zurückgezahlt – Ehrensache – und andererseits gewissermaßen für den Botendienst noch mal 1.000 Euro obendrauf. Der Angeklagte lässt sich auf den Handel ein, fährt nach Holland, bekommt dort das Geld übergeben und macht sich auf den Rückweg.

Zufall

Auf dem Rückweg wird er an der Grenze in Straelen kontrolliert. Z. glaubt, es handele sich in dem Umschlag, den er ins Handschuhfach legt, um 50.000 echte Euro. Die Beamten, die Z. im Rahmen einer völlig zufälligen Kontrolle anhalten (so sagen sie es), finden – auch zu Z.s allergrößter Überraschung – im Leihwagen mit Kennzeichen HH (so viel zum Thema Zufall), den er für die Aktion benutzte, nicht nur das Geld sondern auch Kokain. Und was das Geld angeht: Es sind nicht – wie Erol sagte, 50.000 Euro. Es sind 100.000. Das Geld ist leider auch nicht echt.

Das Reichsgericht im Deutschen Reich hatte bereits 1904 Geld als „jedes vom Staat oder seitens einer von ihm dazu ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmte Zahlungsmittel definiert.“ Eine vom Staat zur Geldausgabe ermächtigte Stelle ist international meist die Zentralbank.  „Falschgeld“ ist somit alles von Zentralbanken nicht autorisiertes Geld, das aber Echtheit. vortäuschen soll. (Quelle: Wikipedia)

Z. wird an Ort und Stelle verhaftet. All das teilt Z. dem Gericht im Rahmen einer Erklärung mit. Er hat sie handschriftlich abgefasst und liest sie vor.
Z. ist, denkt man, wie er dasitzt und liest, ein ruhiger Mensch. Die Geschichte: glaubwürdig. Kann doch passieren. Theoretisch. Auch praktisch. Hätte man sich selber auf so etwas eingelassen? Nein, denkt man.

Ein bisschen erschreckend

Dann spricht der Richter. Er spricht über die Vorstrafen von Z. – es kommt einiges zusammen. Körperverletzungen – fahrlässig und vorsätzlich –, Diebstahl, Betrug, Beleidigung, Widerstand, räuberische Erpressung (eine Beihilfe), Handel mit Betäubungsmitteln (das Verfahren dazu hat in der Schweiz stattgefunden).
„Das klingt ja schon ein bisschen erschreckend“, sagt der und sieht Z. dabei an. „Wie erklären Sie das?“ Z.: „Dummheit. Naivität.“ Der Vorsitzende spricht noch von einer „Lidl-Geschichte“. (Vielleicht ist die Beihilfe zur räuberischen Erpressung gemeint?) Man weiß es nicht. Fest steht: es klingt nicht gut. Irgendwie ist nach Verlesung der richterlichen Vorstrafenlitanei aus der Geschichte des Anfangs nun etwas geworden, dem man weniger Glauben schenkt. Ist das richtig? Darf man so denken? Zunächst einmal sagt all das nicht, dass der Angeklagte es getan haben muss. Seine Geschichte kann noch immer stimmen. Trotzdem: Die Geschichte hat ihre Farbe gewechselt. Und wo – um Himmels willen – kommt das Päckchen mit dem Koks her? Irgendwie wirkt das Koks wie ein Fremdkörper in der Blütengeschichte. Z. sagt, dass er keine Drogen nimmt. Warum dann ein Gramm Koks? Damit lassen sich nicht die besten Geschäfte machen.

Spannungen

Es treten auf: Die Autobahnpolizisten. Sie haben am 26. Februar Z.s Wagen angehalten. Sie waren zu zweit. Jetzt ist noch ein Kollege dabei. Alle drei treten mit (schusssicheren?) Westen auf. „Polizei“ steht auf der Rückenpartie. Alle drei tragen Waffen im Halfter und man fühlt sich nicht wohl dabei. Sind derartige Machtdemonstrationen notwendig, wenn einer als Zeuge auftritt?
Der erste Teil der Befragung des ersten Beamten ist schnell vorüber. Man denkt: das war‘s jetzt. Dann beißt sich der Verteidiger fest. Wer hat Z. wann und mit welchen Worten belehrt? Was wurde zuerst gefunden: das Koks oder das Geld? Wo befand sich Z., während die beiden Beamten das Fahrzeug durchsuchten? Irgendwie liegt ein gespannter Ton in der Luft. „Das hat alles im Februar stattgefunden“, erklärt der Beamte seine Unsicherheit bei der Benennung von Zeitfenstern.

Zugabe

Der Verteidiger hakt immer wieder nach. Dann greift der Vorsitzende ein: „Sie haben diese Frage jetzt vier Mal gestellt.“
Nach der Befragung des zweiten Beamten stellt sich heraus, dass der Umschlag, indem seinerzeit die Blüten verpackt waren, nicht auffindbar ist. Später wird der Prozess, der eigentlich nur einen Tag dauern sollte, um einen weiteren Verhandlungstag ergänzt. Der Umschlag, in dem das Geld gesteckt hat, soll in Augenschein genommen werden. (Es gibt ihn also doch noch?)

Schlechte Qualität

Das Falschgeld war, so berichten die Beamten von der Autobahnpolizei, nicht von guter Qualität. Beim ersten Hinsehen allein hätten sich mehrere Auffälligkeiten gezeigt. Auch mit der Haptik (die beiden benutzen dieses Wort nicht) sei es nicht weit her gewesen. Nach der Festnahme soll Z. noch etwas gesagt haben. Es findet sich eine Notiz: Jemand müsse mit einer Körperverletzung rechnen – etwas in der Art. Ist Erol gemeint? Haben sie Z. als Kurier verheizt oder hat er einfach eine gut konstruierte Geschichte vorgetragen?
Geschichten wie seine wird es oft geben, denkt man. Hunderte wird jeder Richter gehört haben. Von zehn solcher Geschichten werden vielleicht neun erfunden sein. Und was ist mit der einen, die sich eben doch so abgespielt hat? Lässt man (im Zweifel für den Angeklagten) neun Täter laufen, um nicht falsch zu urteilen oder nimmt man in Kauf, dass man den Falschen einsperrt? Wo setzt Zweifel ein?
Man stellt sich vor, jemand dreht einem Falschgeld an. Man merkt es nicht. Geht ins nächste Geschäft. Bezahlt und … wird dann festgenommen: Inumlaufbringen von Falschgeld. Besser, man hat eine gute Geschichte. Immerhin: es besteht da ein Unterschied. Z. ist mit 200 falschen 500-Euro-Scheinen erwischt worden. Dazu das Koks. Irgendwie ergibt das Koks noch immer keinen Sinn. Aber Z. sitzt in Untersuchungshaft. Es muss ein Urteil geben. Im Zuschauerraum sitzt seine Frau. Auch seine beiden Kinder sind gekommen – mit ihren Partnern. Man fragt sich, ob die Kinder sich auskannten in den Vorstrafen des Vaters. Jetzt jedenfalls sind sie eingeweiht. Z. wird auf sein Urteil warten müssen. Er wird es bekommen – am Tag nach der deutschen Einheit.

Fortsetzung

Warum eigentlich dieser zweite Tag? Ein Bauteil des Autos soll in Augenschein genommen, der Briefumschlag, in dem das Geld verstaut war, angeschaut werden. Das Bauteil, das der Vorsitzende zeigt, ist das Falsche – es ist nicht das, von dem gesprochen wurde. Und der Umschlag? Verschwunden. Na toll. „Warum dieser Tag?“, wurde schon auf dem Gang gefragt. Das sind doch unnütze Kosten. Hätte das richtige Teil auf dem Richtertisch gelegen … wäre der Umschlag nicht verschwunden – es hätte vielleicht die Ausgangslage geändert. Vielleicht. Aber ein „Vielleicht“ ist notwendig, wenn es um Schuld oder Unschuld geht. Und das Beutelchen mit dem Koks? „Das haben wir gar nicht angeklagt“, sagt der Staatsanwalt in der Beratungspause vor der Urteilsverkündung.
Jetzt aber, acht Minuten nach Beginn des zweiten Verhandlungstages: das Ende der Beweisaufnahme. Nichts Relevantes konnte in Augenschein genommen werden. Die Plädoyers. Ach ja: Vorher noch ein Hinweis des Gerichts. Es komme auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zur versuchten Geldfälschung in Frage.

Hanebüchen

Das wischt der Staatsanwalt mit einem Handstreich vom geistigen Tisch. Der Angeklagte wusste genau, was er tat. Er wusste, was in dem Umschlag war. 100.000 Euro Falschgeld. Wer soll denn – bitte schön – glauben, dass der Angeklagte – er ist doch selber klamm – einem fast Unbekannten Geld leiht? Jeder im Saal, sagt der Staatsanwalt, wisse doch, dass die Einlassung des Angeklagten eine Schutzbehautung sei. Völliger Unsinn. Hanebüchen. Und dann noch die Drohung, die der Angeklagte ausgestoßen haben soll. („Jemand muss mit einer Körperverletzung rechnen.“) Alles deute in eine Richtung. Dann: die Blüten. Bei Drogen geht es um den Wirkstoffgehalt, bei Falschgeld um die Qualität. (Am Ende meint beides dasselbe, denn auch Geld kann eine berauschende Wirkung entfalten. Der Wirkstoffgehalt eines 500-Euro-Scheins ist wesentlich höher als bei der 5-Euro-Note.) Ein Gutachten stellt fest: Scheine in bester Qualität. [Nun ja, daran kann gezweifelt werden, denn die Beamten bei der Festnahme haben quasi prima vista das Geld als falsch erkannt.] Das Geld – soviel strafmildernd – sei nicht in Umlauf gekommen. Der Angeklagte, soviel strafschärfend ist Bewährungsversager. [Ein Stempel?] Der Staatsanwalt beantragt drei Jahre, sechs Monate.

Standpunkte

Wie Menschen die Welt sehen, hängt vom Standpunkt der Betrachtung ab – und vor Gericht von der Funktion. Der Verteidiger billigt zu, dass es Menschen gibt, die „das alles hier“ anders sehen. Sie sehen sie halt falsch. Sein Mandant hat nichts gewusst vom Falschgeld. Er hat den Umschlag [der ja verschwunden ist] nie geöffnet. Am Geld sind auch keinerlei Spuren des Angeklagten festgestellt worden. Keine Fingerabdrücke, keine DNA. Die Qualität des Geldes: Miserabel. Unbrauchbare Blüten. Bei einem 10-Euro-Schein schauen die Leute vielleicht nicht so genau hin – aber bei einem 500-er? Wenn die Beamten gleich sehen, dass es sich um Fälschungen handelt, dann kann es doch mit der Qualität nicht weit her sein. Noch mal: Unbrauchbare Fälschungen. Die Drohung des Angeklagten, die ja in Richtung einer Körperverletzung gegangen sein soll, konnte der Zeuge [einer der Autobahnpolizeibeamten von der Festnahme] nicht wörtlich wiederholen. Es kann ja auch etwas in der Art von „da ist noch eine Rechnung offen“ gewesen sein. Verständlich. Und noch mal: Bei der Beurteilung der Qualität der Scheine klafft eine Lücke zwischen Gutachten und Wirklichkeit. Dass der Sachverständige für Falschgeld (man hatte ihn am ersten Tag gehört), nie Falschgeld in der Hand gehabt hat, findet der Verteidiger schon verwunderlich.
Man könne doch verstehen, dass einer, der mit viel Geld über die Grenze möchte, es versteckt. Selbst wenn das Geld echt ist und man es ordnungsgemäß anmeldet, kann es viel Scherereien geben. [Das mag sein. Aber im Volksmund heißt es: Watt mott, datt mott. Punktausbasta.]
Sein Mandant hat mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen. Er hat einen Betrieb, den er führt – der ihn ernährt. Ein sozialer Emfpangsraum ist also vorhanden. „Wenn der entlassen wird, geht er nach Hause und da wird er bleiben.“ Der Antrag: Freispruch. Und wenn nicht, dann eine milde Bestrafung. Entlassung aus der Haft.

Wochenende

Die Kammer sieht einen schuldigen Angeklagten und folgt der Staatsanwaltschaft. Dass einer einem nahezu Unbekannten Geld leiht … dass dieser Unbekannte – er ist angeblich Bulgare – dann seinen Schuldner bittet, Geld aus Holland zu holen … er hätte es sich doch einfach überweisen lassen können. Immerhin: Das Gericht sieht den Angeklagten nicht als Hauptäter. Es geht um Beihilfe – Beihilfe zur versuchten Geldfälschung. Der Angeklagte war als Kurier unterwegs. Drei Jahre. Der Strafrahmen: ein Monat bis acht Jahre. Der Richter wünscht alles Gute. Möchte den Angeklagten nicht wiedersehen. Ach ja: Gegen eine Sicherheitsleistung von 10.000 Euro kann der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Einmal wöchentlich muss er sich montags auf einer Polizeiwache melden. Deutschland darf er nicht verlassen. „Zur Haftstrafe müssen Sie dann einrücken.“
Zwischen „hanebüchen“ einerseits und dem Freispruch andererseits: eine Portion Theaterdonner. Staatsanwälte sehen eine andere Welt als Verteidiger und umgekehrt. Noch immer fragt man sich, was ohne all die Vorstrafen aus diesem Fall geworden wäre. Man trudelt dem Wochenende entgegen.