Schreibkraft
Heiner Frost

Wilhelm Busch: Von der Kunst des Hinsehens

Foto: Rüdiger Dehnen

Vielleicht hätte der Mann auf die Frage, was sein Vermächtnis sein soll, anders geantwortet, als es die Welt tat. Vielleicht wollte er als einer überleben, dem eigene Kapitel in Kunstlexika gewidmet sind. Dreimal hat er Anläufe unternommen, an Akademien zu studieren: Düsseldorf, Antwerpen und München waren die Stationen.


Urvater des Comic

In die Geschichte eingegangen ist er immerhin als Erfinder, Urvater des Comics. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Kein Wunder, dass man ihm – Wilhelm Busch – eben diesen Satz zuschreibt. „Herzensache“ heißt eine Ausstellung, die bis zum 24. Februar im Museum Schloss Moyland zu sehen ist und die andere Seite des Mannes zeigt, der mit Max und Moritz unsterblich wurde.

Aphoristisch pinseln

Wenn man‘s nicht wüsste – wann also die Schildchen an den Bildchen nicht Zeugnis ablegten von einer Vaterschaft Buschs –, man käme vielleicht nicht gleich auf ihn. Man hätte andere Namen im Kopf. Aber dann, bei genauerem Hindenken, könnte man merken, feststellen, entdecken, dass da einer fast schon aphoristisch pinselt und sich Stücke aus der Wirklichkeit holt, die andere Maler nicht gewählt hätten. Beispiel? Bitte sehr: „Zwei Kühe“. Man denkt an Alpenglühen und Beglocktes oder an die Schwarzbunte vor kopfgeweidetem Hintergrund nebst Bodennebelschwadenkolk. Busch sieht die Sache anders: Er schaut sich die Gehörnten von hinten und schräg hinten an – eine steht und strullt. Fast schon hört man das Geräusch. (Öl auf Malpapier, auf Karton aufgelegt, 15,7×23,7 Zentimeter Nichtidylle wurden im Internet 2016 für 18.800 Euro angeboten.)

Blick durch den Spion

Buschs Blick auf die Welt – abgesehen von (Selbst)Portraits – ist irgendwie ein Blick durch gedachte Türspione. Wäre Busch mit der Fotokamera unterwegs gewesen – die Menschen hätten gesagt: „Jetzt bitte nicht fotografieren.“ Und weil sich im Nachhinein gut schlau sein lässt, kann man sagen, dass in diesen Bildern schon jene Verdichtung des Blickes steckt, die ein Comic braucht. Und wer dann vor einer Skizze von Kühen steht, möchte plötzlich schwören, dass da einer schon den Mann mit Weste vorgedacht hat. Es fehlt am Abstrakten. Eigentlich ist das falsch: Buschs Abstraktion ist eine andere – eine, die von ihrer Zeit diktiert wird. Jedes Zeitalter hat seine ureigene Art, die Dinge zu sehen. Buschs Szenen sind Kleinigkeitenszenen. Er tritt nicht an, die Welt zu erklären, aber er hat sie erkannt, entlarvt, enttarnt – möchte man meinen. Er malt nicht das Leben, er erzählt vom Überleben und von den Widrigkeiten.

Abseitig im Zentrum

„Eines seiner Hauptsujets sind expressive Landschaften, die bevorzugt Bäume, Waldränder, bewegte, oft dramatische Wetterszenen zeigen. Seine späten, circa 1891 bis 1895 entstandenen, skizzenhaften Landschaften wiesen mit ihren dynamischen Pinselstrichen und kühnen Farbkontrasten bereits den Weg hin zur Moderne“, heißt es in einem Text zu Ausstellung. Ja – so kann man es auch sagensehendenken.

Der Schreiber bleibt beim Gedanken ans Malerisch-Aphoristische und denkt auch an Woody Allen. Der sagte einst: „Tragödie plus Zeit = Komödie.“ Das ist Busch. Er erzählt von Kleinigkeiten – rückt das Abseitige ins Zentrum und legt eben so den Nerv frei, ohne dass es schmerzt. Das hinzubekommen ist große Kunst. Herzenssache ist es ohnehin. Die anderen in ihrem Leben zu sezieren – das kann nur einer, der selbst erlebt hat, was er da sieht. Beschreibung reicht nicht – es muss Erfahrung drin sein.

Schloss Moyland im Internet

Foto: Rüdiger Dehnen