Schreibkraft
Heiner Frost

lichtgewicht

Foto: Rüdiger Dehnen

Maibier ist ein schöner Name. Er schwebt. Klingt. Strahlt. Würde man ein Duo erfinden, es würde „Federweißer & Maibier“ heißen und Klangkunst auf Okarina und Mautrommel spielen.

Klangbarrikade

Kunst kommt in unterschiedlichen Schallstärken daher: manchmal ist sie laut, manchmal verhalten oder geräuschhaft. Maibiers Kunst ist der klangvollen Stille gewidmet. Nein – der Mann ist weder Dirigent noch Komponist, spielt in keiner Band und ist kein DJ. Maibier ist bildender Künstler und bekennt sich, so liest man in einem Begleittext „zu den Prägungen des Sächsischen Konstruktivismus“. Das mag stimmen, aber: Konstruktivismus ist ein Brems-Wort. Es klingt nach Rezept und ist eine Klangbarrikade.

Pointe oder Paradox?

Wie aber Maibier erklären, beschreiben, erfassen? Was Maibier in die erste Etage des alten Bades gebaut hat, ist wunderbar in der Verbindung von Gegensätzen: Irgendwie groß, aber nicht pompös; irgendwie traumhaft, aber nicht versponnen; irgendwie still aber vom Klang des Überlegens durchzogen. Alles gehört hinein: Installationen, Papierarbeiten, Buchstaben.
Auf eines der Fenster, durch die man in den Forstgarten blickt, hat Maibier – kaum sichtbar – „lichtgewicht“ geschrieben. Er spart am Groß und Klein. Das, und nur das, möchte man ihm abgewöhnen. Sprachliche Schönheit braucht Groß und Klein. Trotzdem – „lichtgewicht“: Da steht man und spürt dem Wort nach, dreht sich zurück in den Raum und sieht Papierrollen in Mikado-Formation. „Das ist das gesamte zeichnerische Werk von Frank Maibier“, sagt Harald Kunde und man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll – ob das Pointe ist oder Paradox.

Das Gewicht des Gegenüber

Einem Maibier – eigentlich kannte man ihn ja bis gerade nicht – traut man beides zu: im Guten. Der hier Hand an Raum und Zeit gelegt hat, zählt, sagt Harald Kunde, „zu den wichtigsten Impulsgebern seiner Generation“. Maibier ist ein 59-er Jahrgang. Er ist einer, der sich auszukennen scheint mit der Grammtik des Raumes und dem Gewicht des Gegenüber. Was er im Kurhaus inszeniert, ist ein Großesganzes, das es aufnehmen kann mit seiner Umgebung. Maibiers Installationen wachsen in den Raum – nein: sie durchwachsen und erkunden ihn, lehnen sich auf gegen das Symmetrische und sind bei aller Auflehnung irgendwie die Ruhe selbst. „lichtgewicht“, denkt man. Das drückt es aus – das ist ein maximal friedensstiftender Gegensatz, der sich vom Unmöglichen ernährt.
Wer in Maibiers Räumen steht, denkt man, bekommt den Puls heruntergeschraubt. Irgendwie wird alles mit Ruhe geimpft, imprägniert, tätowiert.

lichtgewicht

Vielleicht müsste man etwas wissen über Maibiers Hintergrund, denkt man – über das Woher und Wohin, das Wozu und Womit. Und dann ist da wieder dieses Wort auf dem Glas: „lichtgewicht“. Alles ist Poesie, scheint es zu sagen. Vielleicht kann man, was einer wie Maibier macht, auch ganz anders lesen. Vielleicht ist, was man sieht eine Ver-laut-barung, ein Bekenntnis.
Noch wird aufgebaut. Maibier ist irgendwie überall. „Das ist der Künstler“, sagt der Muesumsdirektor. Maibier streckt die Hand aus: „Frank.“ „Hallo“, hört man sich sagen. „lichtgewicht“, hört man sich denken. Eigentlich hört man‘s nicht. Gedanken machen doch keinen Lärm. Aber sie können Laut geben.
Vor 25 Jahren haben Kunde und Maibier zusammen eine Ausstellung gemacht. Maibier der Künstler – Kunde der Assistent. Kunde könnte stundenlang erzählen. Nicht nötig irgendwie. Die Räume sprechen. Von Vorsicht einerseits und von Entscheidungen andererseits. Kunst ist eine Entscheidung am Ende am Ende eines Prozesses. Eigentlich ist das Wort zu groß, um es erklären zu wollen. Einer wie Maibier hat das verinnerlicht. Die Welten, die er ins Kurhaus baut, sind ein Vorschlag. Die Mikado-Rollen: „To be done.“ Was noch zu tun ist. Maibiers Kunst ist, man glaubt das zu spüren, Vorschlag, Anstoß, Möglichkeit. Was sie nicht ist: Diktat, Manifest, Gedankenbleiguss. Was noch zu tun ist. Kunst lebt nur im Augenblick des Gesehenwerdens. Sie wird in der Wahrnehmung lebendig.
Dass einer es schafft, drei Räume vergessen zu lassen, dass sie Räume sind oder waren – das ist schon das große Besteck der Illusion. Das ist die Poesie der unverrückbaren Variation. Die Gegensätze schreien sich nicht an – sie führen Dialoge und man möchte Mäuschen werden – die Ohren spitzen und hören, was nicht zu sagen ist: Lichtgewicht.

Pingpongen

Wenn man auf dem Rückweg von Maibier Blalock begegnet, wird ein anderer Entwurf von Kunst spürbar. Man sollte, wie ein Lichtstrahl hin und zurück pingpongen und sehen was passiert. Vielleicht senden die Kunstwerke nachts Parlamentäre aus: die verhandeln dann oder prosten sich zu. Das man derartiges denkt, ist Maibier zu verdanken. Man sollte schnell noch ein Denkmal bauen und es immer verstecken, wenn der Künstler kommt. Lob ist kein Ruhekissen. Lob ist oft genug Narkose, aber bei einem wie Maibier schlägt sie hoffentlich nicht an.
Im Text zur Ausstellung ist von einem Gesamtklang zu lesen. Ja – so kann man es hören. Sie sollten eine Hängematte installieren, in der man durch Maibiers Kunst schaukeln kann: Lichtgewicht.
Ein Tipp am Rande: An jedem ersten Sonntag im Monat ist Eintritt frei im Kurhaus. Einfach mal 25 liebe Menschen einladen und hingehen: die Gedanken ins Schaukeln bringen. Maibier & federweißer:

Okarina und Maultrommen … oder Glasharfe.

Frank Maibier im Museum Kurhaus Kleve

 

Frank Maibier – Foto: Rüdiger Dehnen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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