… fast gesprochen.
Überlebensmaxime
„Wörter sind wie Musik. Eine Überlebensmaxime.“ Sagt Frank Maibier. Wollten wir nicht eigentlich über Bildende Kunst reden? Wieder einmal zeigt sich: Stempel sind Verhinderungsanordnungen. Schubladen auch. Sie grenzen ein. Sie befreien nicht. Frank Maibier stellt im Museum Kurhaus Kleve aus: „labile balancen“ heißt die Ausstellung. Das könnte auch über diesem Gespräch stehen.
Die Gehirne
„Gesten, Worte und Klänge machen mit Spaß“, sagt Maibier. Als er 24 war hat er in einer Punkband gespielt: ‚Die Gehirne‘. Er war der Sänger. Er spielte auch Orgel. Tasteninstrumente.
Wer durch die Ausstellung im Kurhaus geht, hat nicht Punk im Kopf. Eher schon Poesie. Maibier hat auf der vorletzten documenta mit seiner Formation ‚Kanaluntersuchung‘ gespielt – in einer Kirche, die keine mehr ist. „Die Orgel hatten die auch abgebaut. Stattdessen war da jetzt ein langer Schrank.“ Und wenn’s schon nicht die Orgel ist, dann muss eben der Schrank zum Instrument werden.
Maibier spielt mit der Poesie der Dinge. In der Kunst. In Klängen. In der Sprache. „Ich mag es, Wörter zu erfinden.“ ‚Kanaluntersuchung‘ – ‚enregieruf‘, ‚geriffene Brände‘ – ‚lichtgewicht‘.
‚lichtgewicht‘ beschreibt etwas, das nicht ist und saugt genau daraus seine Eindruckskraft. Dass Maibier vieles klein schreibt, hat mit seinem Namen zu tun. „Ich fand meinen Namen klein geschrieben einfach schöner“, sagt er. Ein Wort ist Rhythmus, Klang und – wenn man’s druckt – auch Bild. Grafik. Klangrafik.
Maibier ist einer, dem Klang und Rhythmus wichtig sind. „Was mich an Musik interessiert, ist das Unmittelbare. Musik kommt und geht.“ Sagt er. Natürlich gibt es die Konserve, aber Musik ist nicht Konserve. Sie ist das Sichtbare, das man nicht hören kann (Partitur) und das Hörbare, das man nicht sieht (Konzert). Musik ist direkter Kontakt. Sie ist, was gespielt wird. „Du kannst die Töne nicht festhalten“, sagt Maibier.
Objektklang
Auch Objekte haben einen Klang. Einen Rhythmus. Man muss sich nur ‚labile balancen‘ ansehen und weiß, was gemeint ist. Maibiers Kunst ist weit weg vom Punk. Vielleicht ist das falsch gedacht. Vielleicht stimmt das nur dann, wenn Punk die Schublade vom Aufstand öffnet. Im Kurhaus hat Maibier ruhige Klänge aufgebaut. „Ich kannte die Räume und ich konnte mir erst einmal nicht vorstellen, diesen Räumen etwas entgegenzusetzen“, sagt er. „Die Räume waren etwas Schönes an sich.“ Sagt er. Jetzt erlebt man, dass da einer Schönes mit Schönem beantwortet. Maibiers Kunst hat etwas Verletzliches. Man atmet weniger, damit nichts zerstört wird. Das Atmen wird von den Werken übernommen.
Grünspek
Janusz Grünspek hat versucht, Maibier zu portraitieren. Falsch: Er hat Maibier portraitert. Versuch klingt nach: versucht – nicht geschafft. Der Maibier-Film ist in der Ausstellung zu sehen. Maibier und Grünspek überlegen, ob man den Film ins Internet stellen sollte. Es spricht eigentlich alles dafür. Man möchte Kontakt aufbauen. Spüren. Einatmen. Grünspek meint, dass in Maibiers Kunst auch Humor wohnt. Maibier stimmt zu. Es geht nicht ohne Humor. Der Film: Eine absolut großartige Gehhilfe auf dem Weg zu Maibiers Kunst und Kopf.
Janusz Grünspek: labile balancen
Heimat, Kunst und kochen
Er holt ein Tablet aus der Tasche. Darauf: Klangstudien. Maibier spricht das Alphabet. Das ist zu wenig: Er inszeniert es. Jeder Buchstabe wird zu einer Klangszene. Maibier ist – so scheint es – einer, dem man Behutsamkeit unterstellen muss. Es ist der Punk der zarten Seele. Sie müssten ihn mit seinen Werken zusammen ausstellen, denkt man.
Vielleicht noch über Heimat sprechen und Scherenschnitte? Ein ander Mal. Obwohl: „Ich habe viel Scherenschnitt gemacht. Eine zeitlang war ich besessen davon. Ich habe dann versucht, das ins Große zu übersetzen.“ Großartig, was einer wie Maibier aus einem Kalender macht. Großartig die Arbeit, die das Verletzliche des Papiers offenbaren. Und Heimat? „Chemnitz – da sind Wohnung, Atelier, Galerie.“ Maibier ist kurz vor 60. Er würde, wenn’s Sinn macht, auch neu anfangen irgendwo … Berlin. Warum nicht? Kochen? „Tu ich gern, aber meine Frau ist meistens schneller.“
Maibier zum Mitnehmen
Auf dem Tisch: ein Skizzenbuch. Verwirklichtes und Utopien. Noch-Utopien. Alles ist liebevoll akribisch. Da ist die zitterende Flamme und man spürt, dass einer mit zwei Händen eine Schutzburg baut. Nichts soll verlöschen. Wieder einmal wird klar, dass Kunst das Ereignis am Ende eines Gedankens ist. Problem oder Lösung? Frage oder Antwort? Vielleicht würde Maibier sagen, dass kein oder gebraucht wird. Ein oder ist ja auch ein Stempel, ein Ausschluss. Bist du Musiker oder Künstler? Schriftsteller oder Philosoph? Maibier auf eine Ebene zusammenzustreichen – ein grober Fehler.
„Musik“, sagt Frank Maibier, „ist das Verrückteste, das Unmittelbarste.“ Man möchte ihn zu einem Vortrag einladen oder sich eine Taschenversion von ihm zulegen. Maibier zum Mitnehmen. „Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagt er und holt einen Folienträger aus der Tasche. „Kannst du an dein Fenster kleben“, sagt er. ‚lichtgewicht‘ steht da und hätte man ein Taschentuch, würde man sich jetzt eine Träne abwischen.