Schreibkraft
Heiner Frost

Stempel und Hasengräber

Joseph Beuys: Hasengrab. Foto: Rüdiger Dehnen

Obacht! – Wir beginnen wir mit einer Warnung: Wer Anhänger des unbetreuten Hinsehens ist, sollte diesen Text jetzt zur Seite legen – entweder gleich entsorgen oder aber erst nach einem Ausstellungsbesuch häppchenweise konsumieren. Man kann sich nicht frei machen von Gelesenem und Vorgedachtem. Jetzt also gilt es, eine Entscheidung zu treffen ….


Der Kurator ist begeistert. Er könnte (natürlich) stundenlang erzählen: von gestempelten Multiples, Drucksachen, Fotografien einerseits und Hasengräbern andererseits. Zwei neue Präsentationen zeigt das Museum Schloss Moyland und wer sich gut unterhalten möchte, hat im Oberstübchen links oder rechts Gelegenheit dazu. Natürlich stimmt das Oberstübchen nicht – was zu sehen ist, wird im Obergeschoss (links und rechts) zu sehen. Kann man sich mit der Kunst unterhalten? Die einen sagen so und die anderen…

Unterhaltung

Fest steht: man kann sich von der Kunst unterhalten lassen. Vom Mann mit Filz und Fett allemal, denn Beuys war einer, der sich nicht hinter Kunst verbarrikadiert hat – er war einer, der Kunst zum offenen Buch gemacht hat – zur Expedition durchs offene Herz, durch Seele und Gehirn. Da mutet es schon verrückt an, dass manche ratlos vor seinen Werken stehen. Andererseits: Vielleicht sind sie gar nicht ratlos. Aber das ist eine andere Arena. Was unter dem Titel „Gestempelt Multiples, Drucksachen, Fotografien“ und „Hasengräber“ zu sehen, zu bewundern und zu bedenken ist, macht – so viel ist sicher – Spaß. Die Annäherungsweisen sind so multipel wie die Exponate. Die einen haben‘s gern erklärt, lesen die Begleittexte und finden so ins Ziel – andere nutzen Kunst als Gehirnbatterieladestation. Das Ladekabel: Die Augen.

 

Natürlich: Man würde gar so gern in die Wortfalle springen und etwas vom „Abgestempeltsein“ in die Welt setzen – zu kurz gegriffen. Der Kurator sagt:

„Ende der 1960-er Jahre begann Joseph Beuys, Fotografien und Objekte, die ihm wichtig waren, in seine Kunst einzubeziehen, indem er sie stempelte. Die Stempel, die er dazu benutzte, gestaltete er selbst. (… ) Mit der einprägsamen Bildsprache und den kurzen Textbotschaften der Stempel verhalf er seiner künstlerisch-politischen Arbeit zu größerer Reichweite.“

 

Grüne Seele

Darüber lässt sich grübeln. Beuys – es hat sich herumgesprochen – hatte eine grüne Seele. War er seiner Zeit voraus? Nein. Niemand kann seiner Zeit voraus sein. Manchmal hinken die Zeitgenossen hinterher. So wird ein Schuh draus. Für Klamotten gilt: Einfach lang genug in den Schrank hängen, dann werden sie irgendwann wieder modern. Aber: Beuys ist keine Klamotte. Trotzdem ist, was er dachte und dann in die Kunst einbaut, so aktuell wie es kaum mehr möglich sein könnte. Auch das zeigt die Ausstellung – links und rechts des Treppenhaus finden sich Beweisstücke en masse. „Natürlich“ sind des Meisters Hasengräber nicht jedermanns Sache. Müssen sie ja auch nicht sein. „Die Kinder sind von den Hasengräbern meist gar nicht wegzubekommen“, sagt Kurator Alexander Grönert. Wer die Ausstellung einordnend durchwandern möchte, wird sich an Bezügen und Querverweisen kaum sattsehen können und vielleicht feststellen, dass, was dort zu sehen ist, mit einem Besuch nicht umfassend aufgenommen werden kann. Eine Komm-wieder-Ausstellung also. Eine, in der man den Mann mit Filz und Fett anders ausleuchten kann, wenn man nicht zu den Allwissenden gehört.

Ordnung, Einordnung

Dass da einer am Werk war, der nicht so leicht zu stempeln ist, wird einmal mehr überdeutlich und eben hier liegt die paradoxe Pointe. Denn Stempel sorgen gemeinhin für Ordnung, Einordnung. Bei Beuys kannmusskönnte man das anders sehen. Und dass die Hasengräber weniger Gräber sind als Geburtsanordnungen für ein Umdenken im Umgang mit Material – das nächste Paradox. Aber: Was gibt es Schöneres als das Scheinparadoxe?