Schreibkraft
Heiner Frost

Nebenwirkungen oder: Ausflug zum Gemüt

Mit den Jahren ist man ins ‚Du‘ geklettert. Klaus schreibt: „Zwei Bücher sind fertig. Würde mich freuen, wenn ich sie dir demnächst irgendwann zeigen könnte.“ Vorfreude ist die schönste Freude? Von wegen. Wir sitzen am Tisch: Klaus packt die Bücher aus. Das ist einer dieser Momente …

Entführer

Klaus Franken ist ein Entführer. Keine Angst – es geht nicht ums Strafgesetzbuch. Franken lädt ein zu Ausflügen ins Gemüt. Ist es das eigene oder seines? Man muss das nicht lokalisieren. Zwei „Linolbücher“ hat er also fertig. „Die beste Pommes-Bude der Welt“ das eine – „Hingstberg – Merkwürdiges aus dem Hier und Jetzt“ das andere. Texte und Linoldrucke.

Seismograph

Dabei könnte man es jetzt belassen und dann beginnt man mit dem Unzulässigen: Das Vergleichen meldet sich zu Wort und fragt: Ist der jetzt als Schreiber besser oder als Bildermacher? Zeit, den Gedanken das Maul zu verbieten und einfach mal einzutauchen: „Hingstberg.“ Bisher hatte man Franken als einen erlebt, dessen Texte „kürzer waren“ als die Bilder. Aber: Es geht nicht um Längen. Franken ist einer, bei dessen Werken man schaudert, ausruht, sich wundert, nachdenkt, lacht, lächelt, Tränen vergießt. Da ist einer im Haupt- und Nebenberuf Seismograph der Menschlichkeiten. Feinste Erschütterungen werden aufgezeichnet. Und jetzt schält sich ein Textmagier aus der Deckung – einer, der den „Anfangs-Oscar“ bekäme. Einer, dessen erste Sätze diesen unausweichlichen Sog ausüben, der das Lesen zum Glückszustand macht. Das möchte man auch können: Mit ein paar Worten Feuer legen. „Ich hatte den Kragen hochgeschlagen. Er bot nur ein karges Versteck.“ Treffer. Versenkt. Oder: „Der Regen kam unangemeldet. Er trat in meine Wohnung und setzte sich.“ Daneben das Bild: schwarzweiß. Der Regen am Tisch – vor sich eine Tasse …

Nebenwirkungen

Kaffee oder Tee? Klaus Franken entwickelt Ideen, wenn er sitzt und Kaffee trinkt. Man denkt an einen Beipackzettel: Nebenwirkungen. Franken macht aus den Nebenwirkungen den Haupterzählstrang. Das Placebo als Eigentliches.

Magnetsätze

Franken erzählt mit Worten und mit Bildern. Er hat die Töne noch nicht erobert, aber wer weiß, was noch kommt? Franken wandelt das Normale zum Bedenkenswerten: „Ich hatte keine Ahnung, wo die Reise noch hingehen sollte. Was ich wusste, war, woher ich kam.“ Dass einer das Irgendwienormale aufschreibt, festhält, setzt Nebenwirkung frei. Es entstehen: Magnetsätze. Wer jetzt mit dem Lesen aufhört …
Die Geschichte „Kein Grund zur Sorge“ beginnt so: „Ich hatte wohl vergessen abzuschließen“. Was dann folgt – man sollte ja eigentlich nicht spoilern – aber: Was dann folgt … „Als ich nach Hause kam, klebte ein Zettel an meiner Wohnungstür. ‚Wir haben ein wenig aufgeräumt und Ihren Müll entsorgt.‘ …“ Wie wärs mit diesem Einstieg? „Wir saßen in unserem Backofen.“ Schrägschönalleszulassend. Oder: „Ich kam grad von Lützerath. Lützerath war von allen guten Geistern verlassen. Sie hatten sich auf den Heimweg gemacht.“ Die Buchstaben bleiben im Hals des Denkens stecken. Die Welt steht still: Kein schöner Tag.

Schnörkellos, wahrwitzig

Schlussjetzt! Nicht mehr zitieren: Man wird ja trübsinnig vor Staunen. Da endet ein Buch (Hingstberg) wie folgt: „Ist jetzt Schluss? Ja, jetzt ist Schluss. Aus und Ende. Muss ja auch mal sein. Kann ja nicht immer so weiter gehen.“ Doch. Kann. Sollte. Was Franken schreibt und linolzeichnet, ist bedeutend. Es ist das irgendwie ganz Große im vermeintlich Kleinen. Da traut sich einer, nichts als eine schwarze Fläche anzubieten. Nur in der Mitte ein winzigkleiner Lichtfleck: „Feiertag“. Das musst du erst mal bringen, denkt man. Zwei Bücher sind fertig, hat Franken geschrieben. Als ob es nichts wäre. Man sitzt und staunt. „Hingstberg“: Schonungslos, schnörkellos, absurd, witzigwahr, wahrwitzig. Man taucht aus dem Lachen auf und ist zurück im Wirklichen, das im Bild und Text verschwindet.

Dazwischen

Mein lieber Schwan – was soll man denn schreiben über so einen Schreiber? Hutziehend stolpert man durchs eigene Gemüt auf der Suche nach dem Seelenfrieden. Beschreibung führt doch nur ins Niemandsland. Je konkreter die Beschreibung, um so zerstörter das Beschriebene. Frankens Texte und die Drucke leben vom Unausgesprochenen. Vom Dazwischen. Vom Übereinanderdenkenmüssen, Vom Finden der Worte im Bild. Und umgekehrt.

Leser zum Mitreisen

Es sind ja zwei Bücher. Also: Kurz noch was zur besten Pommes-Bude der Welt. Der Text, sagt Franken, sei 2005 bei einem Urlaub in Marielyst und auf der dänischen Insel Falster entstanden. Die Bilder: Ergebnisse aus dem Jetzt. Nachgedachtes. Nein – nicht vergleichen mit „Hingstberg“. Doch! Das Pommes-Buden-Buch stellt eine andere Bilderwelt zur Verfügung: Leser zum Mitreisen gesucht. „Da stand direkt am Meer am allerschönsten Muschelstrand die beste Pommes-Bude der Welt.“ So beginnt es. Die Bildsprache (ein blödes Wort eigentlich, weil es ein Versuch des Greifbarmachens ist: Bilder mit Worten kapern) – die Bildsprache also: anders als bei „Hingstberg“. Alles kommt verschwebter daher. Man denkt an ein Bilderbuch. Man denkt an Leichtigkeiten. Aber Franken wäre nicht Franken, wenn nicht auch die Pommes-Bude Abstecher ins Absurde anböte. Man schaut auf den Klappentext, der eigentlich ein Rückseitentext ist: „Klaus Franken hat 50 Jahre in Berlin gelebt und war dort als Pädagoge und Evaluator in Kinderläden tätig […]. In den Kinderläden sind dabei im Laufe der Jahre circa 20 Bücher entstanden, in denen er zu den von Kindern mit unterschiedlichen Farbmaterialien gestalteten Bildern entsprechende Geschichten entwickelt hat.“

Verzahnt

Jetzt denkt man, hat Franken beide Rollen verinnerlicht: Er ist zum Bilderlieferanten geworden, dessen andere Hälfte die Worte zur Verfügung stellt. Die Stärke liegt im Kindgebliebensein. Franken ist mit sich selber verzahnt: schwachstellenfrei. Längst ist man zum Mucksmäuschen geworden: Stille im Kopf. Da haust ja jetzt der Franken: „Ich hatte keine Ahnung, wo die Reise noch hingehen sollte. Was ich wusste, war, woher ich kam.“ Am Ende zwei neue Bücher. So geht Glück. Nebenwirkungen …
„Hingstberg“ (Auflage 50 Exemplare, Preis: 38 Euro) und „Die beste Pommes-Bude der Welt“ (Auflage 30 Exemplare, Preis 38 Euro) sind in der Buchhandlung Hintzen in Kleve zu haben. Kontakt zum Autor: . HFrost