Schreibkraft
Heiner Frost

Kurhauskörperwelten

Ming-Jing Tsai: Untitled, 2020

Lassen wir die anderen sprechen: „Wie der nackte Körper bewertet wird und ob ein Körper als nackt angesehen wird, hängt maßgeblich vom historischen, sozialen, religiösen und kulturellen, aber auch vom politischen Kontext ab. Nacktheit ist eine Frage der Perspektive.“

Reibefläche

So beginnt der Katalogtext zur Ausstellung „Der nackte Körper – Eine Frage der Perspektive“, die ab sofort im Museum Kurhaus Kleve zu sehen ist. Ist alles gesagt? Vielleicht ja. Ist alles gesehen? Bestimmt nicht. Die Ausstellung: Eine Koproduktion zwischen dem Klever Museum Kurhaus und der Hochschule Rhein-Waal.
Nacktheit – so viel steht fest – war immer schon eine Reibefläche. Was darf die Kunst? Darf sie nur „Schönes“ abbilden? Schon hier muss jeder Exkurs scheitern, denn Schönheit ist – siehe oben – eine Frage der Perspektive.

Andere Maßstäbe

Rubens‘ Frauen sind aus der Mode gekommen. Oder vielleicht doch nicht? Kunst ist die Suche nach dem Eigenen in der Darstellung. Wer sich nicht wiederfindet, scheitert am Scheinverständnis. Nacktheit setzt andere Maßstäbe. Da ist die Lust am Schönen, aber auch die Angst vor dem Geständnis. Es soll nicht gezeigt werden, was als nicht schön empfunden wird. Oder doch? Gerade jetzt? Wer entscheidet denn?

Kontroversen

„Der nackte Körper“ ist eines auf jeden Fall: Beihilfe zur Standortsuche. Nacktheit wird schnell zum politischen Statement. Was ist korrekt? Was nicht? Darf datt? Man muss kein Prophet sein um zu ahnen, dass manche der Darstellungen in der Ausstellung zu Kontroversen führen werden. Was soll man sagen? Gut so. Natürlich bildet Kunst das Leben ab, aber eines muss und sollte sie niemals sein: politisch korrekt. Oder etwa doch? Soll man – im Museum!!! – Männer beim Beischlaf zeigen?

Schere im Sehen

Auf dem Cover des Katalogs: Eine Bodybuilderin. Mit Nacktem Oberkörper posiert sie bizepszeigend für die Kamera. Eine Montage? Hat da jemand einem Mann Brüste montiert? Es spuken komische Fragen durch den Kopf. Und mit den Fragen spürt man die Schere, die sich ins eigene Sehen schleicht. Darf man gut finden, was man sieht? Was macht die Nacktheit der anderen mit dem eigenen Denken? Wie verändert sie die Kommunikation. Darf ein Mann über die weibliche Nacktheit schreiben? Vielleicht besser nicht. Mann könnte ja falsch verstanden werden.

Fallstricke

„Der nackte Körper“ ist eine Anregung zum Nachdenken, Hindenken – legt Fallstricke aus – trägt zur Selbstbespiegelung bei. „Der nackte Körper“ ist Befreiungseinengung. Das Konzept, liest man, stammt – in alphabetischer Reihenfolge – von Gerd Borkelmann, Alexandra Eerenstein, Crystal Hassell, Eva Maria Hinterhuber und Valentina Vlasic. Kuratiert haben Runa Autzen, Konul Bilalova Böcker, Stephanie Finkler, Karen Gumiel-Silva, Crystall Hassell, Farhin Sohan Kabir, Aylin Klisura, Jana Küppers, Luna Orsini, Rutu Gole, Zama Madondo, Yi-Ning Su, Tamunosiki Tende, Lynn Marie Watzka.

Etwas lernen

Eine Schlussfrage? Sollte man Kinder mitnehmen? Warum denn nicht. „Mama, warum ist die alte Frau nackt und warum liegen da zwei nackte Männer zusammen im Bett?“ Natürlich könnte die Frage auch mit „Papa, …“ beginnen. Überlassen wir das Schlusswort Luna de Paiva Orsini: „Von all den Möglichkeiten, wie man etwas lernen kann, ist die Kunst für mich die faszinierendste. Man muss Kunst nicht verstehen, um davon betroffen zu sein.“

Die Ausstellung