Schreibkraft
Heiner Frost

Herr B. glänzt durch Abwesenheit

Der Pressespiegel des Amtsgerichts Kleve beschränkt sich auf das Wesentliche: Ein Datum, eine Uhrzeit, ein Anlass, ein Tatort, ein Saal, ein Wohnort.( Letzterer bezieht sich auf den Angeklagten.) Nun denn …

Vier Zeugen

Donnerstag, 30. Juli; 10.15 bis 11.30; verbotenes Kraftfahrzeugrennen; Kleve; D 100, Kleve. Einfach mal hingehen und sehen, was dahinter steckt. Der Aushang am Eingang von D 100 vermerkt den Namen des Angeklagten und kündigt vier Zeugen an. Der Vorsitzende Richter ist Herr Soundso.

„Und Sie sind Herr B?“

Um 10.15 Uhr eine Lautsprecherdurchsage: Die Beteiligten in der Strafsache B. bitte eintreten. Auftritt: Zeuge 3, Zeugin 4 – beide sind Polizeibeamte. Der Richter erlaubt sich einen Scherz. „Und Sie sind Herr B.?“, fragt er den Beamten. Herr B. ist der Angeklagte. Der Zeige schüttelt demonstrativ den Kopf und irgendwie auch den ganzen Köprer. „Scherz“, sagt der Vorsitzende. Na bitte: Das kann ja heiter werden. Wird es aber nicht …

Zehn Minuten

Der Angeklagte – so die vorherrschende These des „Rechtspersonals“ – wird wohl nicht erscheinen. „Wir warten dann mal zehn Minuten“, sagt der Vorsitzende. Die Zeugen Eins und Zwei waren – erfährt man – im Wagen von B. mit unterwegs, als Es passierte. Was ist eigentlich passiert? Kein Angeklagter – keine Anklageverlesung.Schade. Man hätte es nun wirklich gern erfahren.

Zeuge Eins, geboren 1998, hat (kurz angebunden) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) an der Eingangspforte abgegeben. Ziemlich schnell ist er wieder weg gewesen. Er wäre besser geblieben. Die AU: nicht ausreichend. Die Folge: Ein Ordnungsgeld. 150 Euro, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft. Die Zeugin W.: Ebenfalls nicht anwesend, aber: Sie hat immerhin eine Bescheinigung eingereicht, der zu entnehmen ist, dass W. am Vortag operiert worden ist. Ausreichend.

Für die anderen

Und Herr B.? Er scheint der Justiz nicht gänzlich unbekannt. Es gibt vier Einträge. Die Gespräche am Richtertisch sind nicht gut zu verstehen. Man hört etwas von überhöhter Geschwindigkeit, von genommener Vorfahrt, abgefahrenen Reifen, unbefugtem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs. Herr B. scheint zu eben jener Klientel zu gehören, die mit der Straßenverkehrsordnung (StVO)bekannt sind, aber zu glauben scheinen, dass sie „für die anderen“ ersonnen wurde. Herr B. – zehn Minuten später ist es evident – wird nicht erscheinen. Für seine Ladung scheint Gleiches zu gelten wie für die StVO. Der Unterschied: Die StVO ist nicht an Herrn B. adressiert. Jemand sollte ihm bei Gelegenheit erklären, dass es besser ist, eine Vorladung (vor allem, wenn man Beschuldigter in einer Strafsache ist) Folge zu leisten.

90 Tagessätze

Vorn am Tisch herrscht partielle Einigkeit: Eine Geldstrafe muss her. Das zugehörige Adjektiv: empfindlich. Die Staatsanwältin schlägt 150 Tagessätze vor. („Ich weiß ja nicht, was hier so üblich ist.“) Der Vorsitzende lässt durchblicken, dass die 150 vielleicht zu hoch gegriffen ist. („Mindestens 90“, hört man die Staatsanwältin sagen.)

Einspruch?

Die Höhe der Tagessätze wird auf 15 Euro festgelegt. 90 Tagessätze sollen es werden. Auch von einskommafünf Jahren ist noch die Rede. Es scheint um den Entzug der Fahrerlaubnis zu gehen. Herr B. wird sich wundern.
Wieder werden die Zeugen in den Saal gerufen. Es kann nicht verhandelt werden. Der Angeklagte ist nicht erschienen. „Vielleicht werden wir Sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder vorladen“, sagt der Vorsitzende. (Das wird davon abhängen, ob B. Einspruch erheben wird gegen das, was sich in und wegen seiner Abwesenheit gegen ihn „zusammengebraut“ hat.) „Hatten Sie Auslagen?“, fragt der Vorsitzende und händigt über die Justizwachtmeisterin nach bejahter Frage Formulare aus. Und Tschüss.