Schreibkraft
Heiner Frost

Für die Zukunft alles Gute

Foto: Rüdiger Dehnen

Man ist sich schon begegnet. Zwei Jahre ist das her. Man saß nach der Mittagspause zur Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Es war ein schöner Sommertag. Dann die Nachricht: Der Angeklagte ist irgendwie verlorengegangen.

Nicht teilgenommen

Jetzt drückt der Richter es so aus: „Sie hatten seinerzeit an der Verkündung des Urteils nicht mehr teilgenommen.“ Die Staatsanwältin spricht von Flucht – die Verteidigung schließt sich dem „Fernbleibemodell“ an. „Das war keine Flucht.“ Und jetzt sitzt man wieder hier. Der Angeklagte wurde aus der Justizvollzugsanstalt „angeliefert“. Sie haben ihn damals gefasst und dann „mit Verzögerung“ zum Absitzen in den Knast gebracht. Presse hat es reichlich gegeben. Die Strafe seinerzeit: Fünf Jahre, sechs Monate. Es ging um acht Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung.

 

Irgendwie skurril

Man erinnert sich: Alles war gleichzeitig traurig und skurril. Die Verteidigung stellte den Antrag auf Einholung eines urologischen Gutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Penis des Angeklagten mindestens 18 Zentimeter lang sei und nicht, wie von Zeuginnen behauptet, sehr viel kürzer. Vorsitzender: „Meinen Sie den erigierten Penis?“ Verteidiger: „Nein.“ In allem diesem Desaster aus Elend geht es also um diese Form der „Ehre“? Es war irgendwie unglaublich. Damals: Ein reuefreier Angeklagter. Er hat Revision beantragt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil in Teilen aufgehoben. Wer die Begründung liest, sollte besser Jurist sein. Stimmt: Da sprechen Richter zu Richtern.
„Der 3. Strafsenat hat nach Anhörung des Beschwerdeführers … einstimmig beschlossen … Das Zurückziehen der in Frage stehenden Punkte … In den Fällen II. Tat 2 und II. Tat 7 der Urteilsgründe hält die jeweilige Verurteilung wegen versuchter sexueller Nötigung revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.“
Was folgt, nimmt Seiten in Anspruch. „Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen und ausgehend von seiner Wertung, dass der Angeklagte die sexuelle Nötigung jeweils nur versuchte, weil die Opfer das Eindringen seiner Zunge verhinderten, hätte das Landgericht indes prüfen und erörtern müssen, ob er strafbefreiend von der versuchten Tat zurücktrat. Es hat in der rechtlichen Würdigung zwar ausgeführt, der Angeklagte habe die Taten nicht freiwillig aufgegeben, vielmehr hätten die Zeuginnen durch ihre Gegenwehr den Erfolg endgültig verhindert; durch die Feststellungen wird aber weder belegt, dass der Nötigungsversuch jeweils fehlgeschlagen war, noch ist mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen, dass der Angeklagte jeweils freiwillig vom unbeendeten Versuch der sexuellen Nötigung zurücktrat, als er sein Vorhaben, die Zeuginnen mit Gewalt zum Zungenkuss zu zwingen, aufgab.“ Juristerei am Hochreck.

Minus fünf

Die Folge: „Wir haben heute nicht wirklich viel zu entscheiden“, sagt der Vorsitzende. Am Ende werden zwei der angeklagten Punkte zurückgenommen. Zu ihrer Klärung bedürfe es einer Einlassung seitens des Angeklagten. Der aber äußert sich nur zur Person und nicht zu Tatvorwürfen. Was bleibt?
Der Angeklagte möchte sein Leben ändern: wieder arbeiten, eine Therapie machen. Es geht um sein Sexualverhalten. Die Therapie, sagt er, soll ambulant sein. Das setzt die Außervollzugsetzung des Haftbefehl voraus. Ein bisschen klingt das nach … jetzt nur nichts Falsches schreiben. Vielleicht einfach mal eine Frage: Wie klingt es, wenn ein Angeklagter sagt, dass er eine Therapie machen möchte, wenn zuvor der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird?
Gut, dass man kein Jurist ist. So kann man alles als „irgendwie schräg“ empfinden. Natürlich: Jedem muss zugestanden werden, dass Besserung angestrebt wird. Schnell ist man an dem Punkt, der auch hier genannt wird: Was, bitte, soll den Frauen gesagt werden, die vorher zu Opfern wurden? Das formulieren auch die Nebenklagevertreter. Sie sprechen beim „Fallenlassen“ von zwei Anklagepunkten von Bauchschmerzen, aber: Es muss irgendwann auch alles einen Abschluss finden.
Aus den fünf Jahren und sechs Monaten der ersten Runde werden am Ende fünf Jahre und ein Monat. Ein Monat ist abzurechnen, weil das Verfahren elend lang gedauert hat. (Das sagt der Richter natürlich nicht so. )
Die Handschellen sind schnell angelegt. Die Kammer wünscht sich, dass die Besserung stattfindet und die Zukunftswünsche des Angeklagten „nicht einfach so gesagt wurden, um einen guten Eindruck zu machen.“ Und: „Wenn Sie das schaffen, werden wir uns hier nie wiedersehen.“ Der Richter wünscht alles Gute. Er meint das so.

 

(Der erste Teil des Prozesses ist unter dem Titel: Ein Nein ist kein Vielleicht erschienen.)