Schreibkraft
Heiner Frost

Einsteins Erbe

The Black Hole Shadow in M 87

Wer sagt denn, dass es keine Zeitmaschine gibt? Wer sagt denn, dass Physik langweilig ist? Wer sagt denn, dass Wissenschaftler nicht verschwiegen sind?

Michael Janßen kommt vom Niederrhein. Die Galaxie: Kalkar. Hier ging Janßen zur Schule. Hier machte er Abitur. Danach: Nimwegen. Studium der Astrophysik. (Nicht weglesen jetzt! Es ist ja alles weniger theoretisch als man denkt.) Derzeit schreibt der 27-Jährige an seiner Dissertation: „Very long baseline interferometry“. Zugegeben – das klingt jetzt irgendwie angsteinflößend, zumindest aber „very fremd“.
Janßen ist einer von über 200 Wissenschaftlern, die an einem Projekt gearbeitet haben, dass erst vor kurzem in Schlagzeilen die Welt umrundete. Es ging um das Bild eines Schwarzen Lochs. Dass es Schwarze Löcher gibt, ist quasi ein Nebenprodukt der Relativitätstheorie. Einstein? Ganz genau. Was aber ist ein Schwarzes Loch? „Das Ganze hat“, sagt Janßen, „mit Masse zu tun. Hier auf der Erde muss einer, wenn er hoch springt, eine gewisse Energie aufbringen, um gegen die Erdanziehung anzukommen.“ Auf dem Mond ist Hochsprung leichter. „Es gibt aber Objekte, deren Masse so groß ist, dass nicht einmal das Licht ihnen entkommen kann.“ Könnte man die Erde auf die Größe eines Fingernagels zusammenpressen, würde ein Objekt von ungeheurer Dichte entstehen, dessen Gravitation nichts und niemand – ja nicht einmal das Licht – entkommen könnte.

Drei Jahre

Hinweise auf die Existenz von Schwarzen Löchern gab es bereits nicht allzu lange nach Einsteins Relativitätstheorie. Jetzt kam das Team, zu dem auch Michael Janßen gehört, und arbeitete drei Jahre lange daran, ein schwarzes Loch sichtbar zu machen. Natürlich ist das, was am Ende dabei herauskam und als Weltsensation gewertet werden kann, nicht wirklich ein Foto im herkömmlichen Sinn. Das Bild des Schwarzen Lochs ist eine Art Simulation aus Abermilliarden erhobener Daten. Janßen: „Wir haben über Jahre mit acht verschiedenen Radioteleskopen Messungen vorgenommen.“ Es geht um Radiowellen mit einer Länge von 1,3 Millimetern. (Millimeterastronomie.) Ein einzelnes Teleskop würde übrigens für die Messungen nicht ausreichen. Janßen und das Team haben also acht Teleskope quasi zu einem gigantischen, virtuellen Messwerkzeug zusammengeschaltet. Das Ganze nennt sich Event Horizon Telescope (EHT). Zum „Verbund“ des EHT gehören unter anderem ein Radioteleskop in Spanien und ein anderes in Mexiko.
Michael Janßen: „Ideale Punkte für die Teleskope befinden sich oberhalb von 3.000 Metern Höhe und in Gegenden, in denen die Luftfeuchtigkeit gering ist, denn Feuchtigkeit würde unsere Messungen negativ beeinflussen.“ Das Foto des Schwarzen Lochs, das Janßen und seine Kollegen erstellt haben, ist kein Foto und die Farben sind nicht wirklich Farben. „Was auf unserem Bild farbig dargestellt wird, sind Punkte unterschiedlicher Intensität.“

Ein Jahr

Schon vor einem Jahr existierte eine erste Version des Bildes. Und was passierte in der Zwischenzeit? Michael Janßen: „In der Zwischenzeit haben wir immer wieder die Daten überprüft. Bei einer solchen Veröffentlichung will man sicher sein, dass auch wirklich alles seine Richtigkeit hat.“ Verschwiegenheit als Teil des Programms. (Fake News und Wissenschaft passen irgendwie nicht zusammen.) Zwischendurch immer wieder Videokonferenzen – mal mit den Amerikanern, mal mit den Japanern. Janßen: „Wenn wir eine Konferenz mit den Staaten abhalten, bedeutet das für uns: Lange wach bleiben, denn dann ist es bei denen Vormittag.“ Bei „Schalten“ mit den Japanern ist das Zeitfenster umgekehrt angeordnet. „Amtssprache“ in Sachen EHT ist übrigens Englisch.
Wer sich mit Janßen über Physik unterhält, merkt schnell, dass da ein Begeisterter begeistern kann. Janßen ist ein Wissenschaftler modernen Zuschnitts – eine Art „Harald Lesch in jung“.
Was macht denn eigentlich ein Astrophysiker in der Freizeit? Nun ja – die Grenzen sind da gewissemaßen fließend. Wenn Janßen nicht Rad fährt oder Gesellschaftsspiele spielt, kann es passieren, dass er sich … na was wohl … auch mit Physik befasst.

55 Millionen Lichtjahre

Zurück zum Thema und ab in die Zeitmaschine. „Was wir auf dem Bild sehen – dieses schwarze Loch also – ist 55 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.“ Nur, dass wir das noch mal klarstellen: Ein Lichtjahr ist die Entfernung, die das Licht in 365 Tagen zurücklegt – es geht also eigentlich um eine Entfernung. Also schnell mal gerechnet: Bei 300.000 Kilometern in der Sekunde schafft das Licht in einem Jahr 9,46 Billionen Kilometer. Das ist eine 13-stellige Zahl. In 55 Millionen Jahren kommen also 520.344.000.000.000.000.000 Kilometer zusammen.

So wird’s gerechnet:

300000 × 3600 × 24 × 365 = 9,4608E12 = 9460800000000 = 9.460.800.000.000
300000 × 3600 × 24 × 365 × 55000000 = 5,20344E20 = 520344000000000000000
= 520.344.000.000.000.000.000

Zurück zum schwarzen Loch: „Was wir auf dem Bild sehen, ist 55 Millionen Jahre alt“, sagt Michael Janßen. So also funktioniert die Zeitmaschine.

Ein Kreuz im Kalender

Was Janßen und das „Weltteam“ da „angerichtet“ haben, ist für den normal Sterblichen das Bild eines Schwarzen Lochs – für die Insider ist es, was Armstrong 1969 „one small step for man, one giant leap for mankind“ nannte: Ein kleiner Schritt für den Menschen, ein riesiger Schritt für die Menschheit. Natürlich wird da auch ein Wissenschaftler irgendwie emotional. „Ein Erfolg wie dieser zeigt, wozu Menschen in der Lage sind“, sagt Janßen, und er ist ein Teil dieses Erfolges. Auf dem Flur des Ganges, wo sich sein Büro befindet: Ein Poster mit den weltweiten Titelseiten, die sie mit „The Black Hole Shadow in M 87“ gemacht haben. The Times, El Pais, The Guardian, Die Welt, la Republica, The Sun … alle zeigen dieses Bild, das, wenn man‘s nicht genauer wüsste, auch das Bild einer ausglühenden Raketenbrennstufe aus der Rückansicht sein könnte.
Es könnte sonst was sein, aber es ist eben der Schatten des Schwarzen Lochs in der Riesengalaxie Messier 87, die kurz M 87 genannt wird und 55 Millionen Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Jungfrau zu finden ist. Existiert sie tatsächlich noch? Vielleicht mal ein Kreuz in den Kalender machen, denn um zu wissen, was dort gerade jetzt los ist, müsste man in 55 Millionen Jahren noch mal nachschauen.

Michael Janßen am Kontrollmonitor des EHT.