Schreibkraft
Heiner Frost

Frau Z. weint

Frau Z. braucht ein Taschentuch: Die Erleichterung bricht sich Bahn. Es war ein kurzer Prozesstag: 20 Minuten bis zum „Freispruch aus tatsächlichen Gründen“.


Herr Z. wird sich freuen – im Knast, wo er als verurteilter Brandstifter einsitzt. Das Urteil gegen ihn: vom Bundesgerichtshof bestätigt. Die Anklage gegen seine Frau: ein zerplatzter Ballon. Herr Z. hat – laut Urteil – seine einstige Firma angezündet. Eine andere Geschichte – es ist die Vorgeschichte. Am Ende war es wie bei vielen Prozessen: Nicken hier – Kopfschütteln dort.
Frau Z. wurde seinerzeit als Zeugin gehört und hätte – als Ehefrau des Angeklagten – schweigen können. Sie ließ sich befragen: Von den Richtern – vom Staatsanwalt. Sie hatte nichts zu verbergen. Sie könne sich, sagte Frau Z. damals, nicht vorstellen, dass ihr Mann in der Tatnacht Bett und Haus verlassen und diesen Brand gelegt habe.
Der Staatsanwalt von damals, Herr D., zeigte sich als schlechter Gewinner und klagte Frau Z. an: uneidliche Falschaussage. Eine Anklage auf tönernem Fuß. Im jetzigen Prozess galt es zu klären, was genau Frau Z. damals aussagte. Zwei Richter eben jener Kammer, die Herrn Z. verurteilte, wurden als Zeugen gehört.
Der Vorsitzende von damals: Er habe „keine dolle Erinnerung“ mehr und habe – nach Rechtskraft des Urteils – seine Aufzeichnungen vernichtet. Frau Z. habe nicht ausdrücklich gesagt, ihr Mann sei nicht weg gewesen. Frau Z.s Aussage – eher eine Hypothese. Man sei zusammen zu Bett gegangen und morgens zusammen aufgestanden. Sie müsse in der Regel zwei Mal nachts auf die Toilette. „Wie es in der fraglichen Nacht konkret war, hat Frau Z. nicht sagen können. Wir konnten mit der Aussage im Grunde nichts anfangen. Es ergab sich daraus kein Alibi für den Angeklagten.“ Na bitte. Für Herrn Z. war die Aussage seiner Frau keine Rettung. Man hat nicht verstanden, warum Herr D. Frau Z. an den Kragen will.
Die zweite Zeugin des Tages – damals Richterin, heute bei der Staatsanwaltschaft – hatte ihre Notizen dabei. Frau Z. – die Zeugin hat es sich wörtlich notiert – sagte, es sei „so gut wie unwahrscheinlich“, dass ihr Mann nicht da gewesen sei. Z.s Alibi also: bestenfalls eine Hypothese. Eine Schlussfolgerung.
Der Staatsanwalt, der Frau Z. anklagte, ist … nicht da. Sein Kollege kann sich – nach dem Abschluss der Beweisaufnahme – kurz fassen: Freispruch für Frau Z., da sich die in der Anklage erhobenen Vorwürfe nicht aufrecht erhalten lassen. Die Verteidigerin kann es, sagt sie, ebenfalls kurz machen und stößt ins gleiche Horn: Freispruch für die Mandantin. Frau Z. schließt sich dem Antrag ihrer Verteidigerin an.
Kaum 30 Sekunden dauert es, bis man sich zum Urteilsspruch erhebt: „Die Angeklagte wird aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.“ Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.

Strafprozessordnung, Paragraph 267, Absatz 5: Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist.
Jetzt: das Taschentuch. Frau Z. kann sich beruhigen, was einen Moment oder zwei dauern wird. Das Recht hat seinen Weg  gefunden. Z.s Mann muss weiter sitzen.

Die Vorgeschichte