Schreibkraft
Heiner Frost

Erfolg und Tücke

Neulich sagte ein guter Freund – Peter Busch, er ist Künstler – einen bemerkenswerten Satz: „Wenn du als Künstler anfängst, dich selbst zu kopieren, hast du verloren.“ Kann Erfolg zur Falle werden?

Harald Kunde: Das ist natürlich ein komplexes Thema. Für jemanden, der am Anfang steht, ist Erfolg sicherlich eine Art Zielvorstellung. Ich denke, wir müssen da unbedingt differenzieren. Es geht ja bei der Frage nach Erfolg im Kern darum, wie wir eigentlich Erfolg definieren. Viele denken bei Erfolg möglicherweise an etwas Kommerzielles. Künstler wünschen sich natürlich, von dem, was sie machen, auch leben zu können, aber ich glaube nicht, dass die Zielvorstellung das Reichsein ist.

Reichsein an sich ist ja auch inhaltslos.

Kunde: Wie definieren wir also Erfolg im künstlerischen Bereich? Da sind wir bei deinem Eingangssatz, der ja andeutet, dass jemand, der sich selbst kopiert, sich nicht mehr weiterentwickelt. Eine einmal gefundene „Masche“ wird dann immer wieder abgespult.

Ist Günther Uecker ein Beispiel? Nageln bis der Arzt kommt …

Kunde: Das, was viele Leute nicht wissen, ist ja, dass Uecker auch mit ganz anderen Materialien gearbeitet hat. Uecker ist aber durch die Öffentlichkeit irgendwie als ‚Nagelkünstler‘ so wahrgenommen worden, dass die Nägel quasi zu einem Image wurden, das ihm aufgeklebt wurde.

Eine Schublade …

Kunde: Irgendwie kam er dann kaum wieder weg davon. Das ist aber nur eine Seite, denn Uecker ist immer wieder ein Künstler, der im Umgang mit Materialien unterschiedlichster Art innovative Wege beschritten und den Rahmen erweitert hat.

Festlegung findet also von außen statt?

Kunde: Uecker ist mit einer sehr großen Weltneugier ausgestattet.

Weltneugier als Gegengift zum Stillstand?

Kunde: Dass er als Nagelkünstler apostrophiert wird, dagegen wehrt Uecker sich wahrscheinlich am meisten, aber er kann dem nicht mehr entkommen.

Erfolg und Stillstand haben ja eine Gemeinsamkeit. Es hängt beides von der Perspektive ab.

Kunde: Das ist richtig. Das Konstatieren von Stillstand – aber auch das von Erfolg – ist immer auch mit einer Art Anmaßung verbunden, wenn es von außen attestiert wird. Bevor man Stillstand für andere feststellt, sollte man vielleicht bei sich anfangen. Man kann ja fragen: Ist das, was ich mir für meine Arbeit und mein Leben vorgenommen habe, auch nur in Punkten eingetreten oder ist es völlig daneben gegangen? Inwieweit bin ich mit mir identisch? Spätestens dann wird klar, wie schwierig eine solche Standortbestimmung ist.

Bei anderen lässt sich das ja leichter feststellen. Wahrscheinlich, weil nicht so viel Ehrlichkeit dazu gehört … Ich denke, wir müssen noch mal zurück zum Anfang: zurück zur Definition von Erfolg. Auch da muss man ja verschiedene Standpunkte berücksichtigen. Zwischendurch denke ich – quasi parallel –, dass der Moment, in dem man über Erfolg redet, genau der ist, in dem man am weitesten davon entfernt ist. Erfolg ist eine Außenbordkategorie – etwas, über das ‚die anderen‘ reden. Was ist Erfolg aus der Sicht des Publikums? Was ist Erfolg aus der Sicht des Erfolgreichen?

Kunde: Wir müssen ja derartige Definitionsversuche in die mediale Realitität einordnen. Wenn man Erfolg mit Followerzahlen gleichsetzt, ist das etwas ganz anderes als wenn man früher sagte: „Wenn tausend Leute deine Ausstellung besucht haben, ist das ein Riesenerfolg.“ Wenn noch dazu zehn Bilder verkauft wurden, sind das ganz andere Dimensionen.

Ein Gedankenexperiment. Da ist der Künstler, der keine Zeitung liest und die Medien ignoriert – der quasi abgeschottet von Reaktionen lebt und trotzdem agiert … Kann es für den Erfolg geben? Vielleicht brauchen wir ein anderes Wort. Das Wort könnte Ziel heißen oder auch Synchronizität. Bin ich mit mir und meinen Träumen – Ziele sind ja eine Art Traum, bis wir sie erreicht haben – bin ich also mit meinen Zielen identisch? Das könnte ein Ansatz sein. Strawinsky sagt in seiner musikalischen Poetik, wenn er ein neues Stück plane, wisse er nicht, was er wolle, aber er wisse jederzeit ganz genau, was er nicht wolle. Vielleicht also ist sogar „Ziel“ das falsche Wort. Vielleicht muss es „Ahnung“ heißen …

Was mich betrifft, so überläuft mich eine Art von Schrecken, ween ich im Augenblick, wo ich mich an die Arbeit begebe, die unendliche Zahl der sich mit bietenden Möglichkeiten erkenne und fühle, dass mir alles erlaubt ist. Wenn mit alles erlaubt ist, das Beste und das Schlimmste, wenn nichts mir Widerstand bietet, dann ist jede Anstrenung undenkbar, ich kann auf nichts bauen, und jede Bemühung ist demzufolge vergebens. …
Wenn ich an die Arbeit gehe, so habe ich meistens ein klares Ziel vor Augen. Würde man mich in diesem Stadium meiner Operation fragen, was ich will, so hätte ich alle Mühe, es zu sagen; aber ich würde jederzeit präzis antworten, wenn man mich fragte, was ich nicht will. (Igor Strawinsky: Musikalische Poetik; Harvard University Press; B. Schott’s Söhne, 1949.)

Kunde: Wenn wir von der Seite des Künstlers aus denken, dann scheint es so, dass für die allermeisten das erste Ziel ist, durch die eigene künstlerische Arbeit ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das Leben als Gestaltungsentwurf des Kunstwollens umzusetzen …

Ich übersetze: frei zu sein.

Kunde: Ja. Dass man also seine Idee – das Ziel – nicht mit Taxifahren oder anderen Jobs bedienen muss.

Da steckt dann das Wort ‚dienen‘ drin. Es geht also darum, nicht jemandem zu dienen, nicht fremdbestimmt zu sein, sondern die Möglichkeit zu haben, die eigenen Ideen umzusetzen.

Kunde: Genau. Man möchte von der Arbeit leben können, die man machen möchte.

Luxus?

Kunde: Ich würde Konsequenz sagen. Es braucht eine Haltung. Diese Haltung und ihr Ergebnis sind immer auch eine Art Wette auf die Zukunft. Natürlich ist es gut, dass in freien Gesellschaften Menschen entscheiden können, Künstler zu werden, aber damit ist natürlich nicht gleichzeitig eine Verpflichtung der Gesellschaft verbunden, das dann auch anzuerkennen. Künstler zu sein ist eines der härtesten Geschäfte, die man sich vorstellen kann. Darin steckt ja eine lebenslange Verpflichtung, neue Wege zu finden und sich also permanent in Frage zu stellen. Die künstlerische Betätigung ist quasi gleichzeitig mit der Verpflichtung verbunden, einen Markt für das eigene Tun zu schaffen. Sobald diese Konstruktion außer Balance gerät, bricht das Ganze zusammen – löst sich in Luft auf.

Das ist dann die Luft des Ignoriert-Werdens?

Kunde: Ignoranz setzt ja bewusstes Handeln voraus. So weit würde ich nicht gehen. Schlimmer als Ignoranz – die ist ja willensgesteuert – schlimmer als Ignoranz ist ein einfaches Nichtstattfinden. Nichtstattfinden ist eine Art von Zwangsvakuum. Der Künstler befindet sich in einem Pendelzustand zwischenKreation und Vermarktung. Es gibt Kunstschaffende, die ein derartiges Maß an Kreativität mitbringen, dass sich der Marktgedanke für sie nicht stellt – die Vermarktung ergibt sich dann quasi ohne eigenes Dazutun.

Das Dazutun ist dann die Kreativität.

Kunde: Stimmt. Es gibt auch Menschen, die alles in diesen abstrakten Verwertungsgedanken stecken und dann nach fünf Jahren verglüht sind. Das sind die sogenannten Kunststernchen. Sie glitzern eine Saison lang und verschwinden.

Vorhin sagest du, dass es für die Künstler nicht primär darum geht, reich zu werden, aber ist es nicht so, dass finanzieller Erfolg – da ist er wieder: der Begriff Erfolg – dass also finanzieller Erfolg Geradlinigkeit leichter macht und also das Freiwerden erleichtert, wenn nicht gar ermöglicht?

Kunde: Auch da gibt es alle möglichen Klischees. Natürlich muss der Künstler nicht der arme Poet in der Dachkammer sein. Jeder Künstler wird durch andere Umstände angetrieben. Das lässt sich nicht einfach verallgemeinern. Ich kann nicht einschätzen, ob ein Künstler, der alles erreicht hat – nehmen wir Gerhard Richter – ob Richter also diesen Zustand als Freiheit empfindet.

Wieder eine Frage der Außensicht … Ich stelle die These auf, dass Richter aus seiner Sicht noch Ziele hat. Es braucht Treibstoff. Wenn der Tank leer ist, gibt es keine Wege mehr, die man gehen kann. Wir verglühen in der Außensicht. Man müsste Richter fragen und womöglich würde er die Frage für akademisch und nicht seiner Wirklichkeit entsprechend halten.

Kunde: Um etwas Neues zu machen, hilft ja nicht der Blick zurück. Ueckers Atelier ist beispielsweise leer.

Er will nicht in Erinnerungen ertrinken?

Kunde: Ja. So könnte man es sehen. Wenn ein Schaffensraum vergangenheitsfrei ist, wird der Blick nach vorn zur Schaffensstrategie.

Ist Strategie nicht ein Konstrukt?

Kunde: Wenn die Leere zum Trigger wird – zum Treibstoff also – dann ist das völlig legitim, oder? Geld jedenfalls und Erfolg sind in den seltensten Fällen der Motor. Viele von denen, die wir erfolgreich nennen und die ich kennenlernen durfte, haben mir gesagt, dass sie in dem Augenblick, in dem etwas Neues entsteht, den Gedanken an Erfolg als Last empfinden.

Die Uecker-Strategie?

Kunde: Ja. Genau. Wenn du dich als Künstler auf dem Geld ausruhst, solltest du den Beruf wechseln. Das führt ja zu nichts. Künstler sind Menschen, die nicht anders können. Sie müssen schaffen.

Klischee?

Kunde: Ich denke nicht. Es geht um Leidenschaft. Um Obsession und um Nicht-Anders-Können.

Und Nicht-Anders-Wollen?

Kunde: Beides. Wenn einer es schafft, mit dem, was er tut, nicht an der Armutsgrenze leben zu müssen, ist schon viel erreicht. Dann gibt es eine materielle Grundlage.

Ich stelle es mir schmerzhaft vor, als Künstler, der etwas Neues macht, vom Publikum an der Vergangenheit gemessen zu werden. Uecker – der Nagelmann …

Kunde: Natürlich kann eine festgefrorene Erwartungshaltung auf Seiten des Publikum lähmend wirken, aber in aller Regel kann der Künstler ja nichts dafür.

Hauptsache, er kann etwas dagegen.

Kunde: Das ist ein ungeheuerlicher Kraftakt. Aber es gibt ja auch auf Seiten des Publikums Kreativität – Menschen also, die sich über das Neue freuen, weil es neue Aufgaben an ihre Wahrnehmung stellt. Das ist aus Sicht des Künstlers eher inspirierend als das Publikum, dass ein permanentes Wiedersehen mit dem Bekannten einfordert.

Wir sind wieder dabei, dass es selbstverständlich unterschiedliche Perspektiven gibt. Das Letzte, was wir brauchen, ist der Versuch einer moralischen Einordnung. Es geht um ein Maximum an Erklärungen. Wir könnten ja auch andere Vergleiche anstellen. Zwischen Künstler und Publikum gibt es eine Beziehung. Das ist vielleicht sogar ein schönes Bild, weil es ja ins eigene Leben eingreift. Eine Beziehung, die zur Tapete verkommt, ist ja eine, in der die Wahrnehmung des Gegenüberskaum noch  stattfindet. Wenn es nur noch um die Erfüllung der eigenen Wünsche geht, dann gibt es statt Miteinander nur noch Nebeneinander. Es braucht zwei gleichberechtigte Individuen. Es braucht das, was wir Augenhöhe nennen. Aber – um auf die Kunst zurückzukommen: Der Künstler ist in der Regel durch seine exzessive Beschäftigung mit der Kunst dem Publikum einen Schritt voraus. Kunst ist ja das Aufwerfen von Fragen und ein Versuch, auf die entstandenen Fragen Antworten zu geben – der Versuch, gestalterische Probleme zu lösen Augenhöhe zwischen Künstler und Publikum findet also immer mit einem Hauch von Verzögerung statt. Wenn aber Augenhöhe hergestellt werden kann – in welchem zeitlichen Abstand auch immer – tritt Befriedung ein und damit auch Befriedigung.

Kunde: Wenn wir uns die Künstler anschauen, die wir erfolgreich nennen, dann geht es nie um einen Kurzzeiteffekt. Da sind Menschen am Werk, die jahrelang eine Idee verfolgen. Dazu gehört eine unglaubliche Hartnäckigkeit. Dazu gehört ein unglaubliches Durchhaltevermögen. Erfolg fällt niemandem in den Schoss. Das ist kein Geschenk. Das ist kein Lottogewinn. Dahinter steckt eine Lebensleistung. Wenn es jemand schafft zu sagen: Ich zeige euch immer nur meine neuesten Sachen, denn ihr kennt den Rest ja schon, dann ist das eine unglaubliche Herausforderung an das Publikum. Es gibt natürlich populäre Künstler, die sich – ich sage mal – der Erwartungshaltung des Publikums öffnen. Jeff Koons bedient ja alles, was mit glitzernden Oberflächen zu tun hat und baut trotzdem immer noch kleine Wahrnehmungsfallen in seine Arbeiten ein. Im Einzelfall ist es nahezu unmöglich zu bestimmen, wie sehr jemand durch seinen eigenen Erfolg korrumpiert wird.

Man müsste also wirklich ein paar dieser Künstler nach der Innensicht fragen. Andererseits sitzt mir ein Museumschef gegenüber. Auch in der Museumslandschaft geht es um Erfolg und Misserfolg. Museumserfolg ist ja auch eine vielschichtige Sache. Ist eine gute Mischung Teil des möglichen Erfolgs? Anders gefragt: Braucht es eine gute Mischung oder kann man sich leisten zu sagen: Ich zeige nur Avantgarde?

Kunde: Beides ist möglich. Aber auch hier geht es um Perspektiven. Es geht um die Spezifik des jeweiligen Hauses.

Nehmen wir das Museum Kurhaus Kleve …

Kunde: Bei uns ist es ja nicht zuletzt durch die Sammlung eine Tradition, äußerst vielschichtige Gebiete zu be- und durchleuchten. Das reicht vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Das ist unser Center Court, und dieses Profil versuchen wir in der Ausstellungspolitik umzusetzen. Wichtig zu erwähnen: Kunsthistorische Ausstellungen stellen ganz andere – sprich meist wesentlich komplexere – Anforderungen als Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst. Die konservatorischen Hürden sind enorm hoch, um nicht zu sagen: Das geht zum Teil ins fast Unerfüllbare.

Liegt es auch daran, dass bei einer kunsthistorischen Ausstellung quasi eine wissenschaftliche und ein wahrnehmungstechnische Perspektive voreingestellt sind, gegen die man nicht an-kuratieren kann?

Kunde: Es gab bedeutende und großartige kunsthistorische Ausstellungen an großen Häusern. Da ist dann klar, dass wir etwas Vergleichbares nicht leisten können. In solchen Fällen ist dann ein vielköpfiges Team jahrelang mit der Vorbereitung einer einzigen Ausstellung befasst.

Vermeer?

Kunde: Ja. Das könnte ein Beispiel sein. Wir versuchen, immer da, wo es Anknüpfungspunkte zu unserer Sammlung gibt, anzusetzen und das Mögliche zu machen.

Golzius, Flinck oder jetzt Baegert?

Kunde: Ganz genau. Es steht selbstredend von vornherein außer Frage, dass wir nicht mit dem Louvre oder dem Rijksmuseum konkurrieren können. Für uns geht es darum, jeweils eine Form zu finden, die für unser Haus und in unserem Haus funktioniert. Es auch darum, dass unser Publikum anschließend sagt: Das war spannend. Wir haben neue Dinge erfahren.

Das ist sozusagen der innere Gradmesser für Erfolg?

Kunde: Wir sind ein Museum mit internationaler Ausrichtung und regionaler Verankerung. Wir operieren nicht im luftleeren Raum und wir sind keine Metropole, aber wir sind auch keine Provinzler. Wir wissen, was ‚da draußen‘ los ist und versuchen immer, phantastische Künstler, die international eine Rolle spielen, zu uns nach Kleve zu holen.

Ist das schwierig?

Kunde: Ja. Das ist schwierig. Schwierig und spannend zugleich. Da gibt es circa 20 Künstler, die weltweit permanent angefragt werden. Alle Museen wollen sie. Da muss man als Museum lokale Argumente entwickeln, die dafür sorgen, dass der oder die gerade nach Kleve kommen möchten.

Wie ist es dazu gekommen, dass das Museum Kurhaus Kleve als erstes Haus in Deutschland John Akomfrah zeigen konnte?

Kunde: Ich habe in London eine seiner Filmarbeiten gesehen: „Unfinished Conversation“. Diese Arbeit hat mich in ihrem akomfrah-typischen Sound- und Bildermix unmittelbar gepackt. Akomfrah erzählt da eine komplexe Geschichte des 20. Jahrhunderts mit den Vermischungen aus britischer Identität und zugewanderter ethnischer Erfahrung. Das ist Akomfrahs Lebensthema, aber er ist in der Lage, Dinge so zu erzählen, dass sie abseits des Persönlichen für jeden eine Bedeutung entfalten und also spannend sind. Das ist der Punkt, an dem Kunst sprichwörtlich ergreifend wird. Es ist der Punkt, an dem ich als weißer Mann plötzlich die Geschichte eines Haitianers in London begreife. Da entsteht eine Parallele. Ich habe mich beispielsweise gefragt: „Ist das ähnlich wie deine Situation, als du als Ossi in den Westen gekommen bist?“

Kunst am Schnittpunkt von Biografien?

Kunde: Genau. Die Arbeit jedenfalls hat mich begeistert und es entstand die zunächst aberwitzige Idee, Akomfrah nach Kleve zu holen. Er war also auf der inneren Liste. Das ist der Punkt, an dem dann die praktische Arbeit beginnt: Finde heraus, wer den Künstler vertritt. Das war in diesem Fall eine Galerie in London. Irgendwann bleibt dann nur der Versuch, Kontakt aufzunehmen. Man ruft also an. Bestenfalls kennt man jemanden, was die Sache natürlich erleichtert. „Wir wären an dem und dem Werk interessiert.“ Parallel dazu schickt man Unterlagen über das eigene Haus. Das ist ganz wichtig. Da muss jemand sehen: Tolles Haus. Sehr schöne Räume. Man informiert selbstverständlich auch über die Sammlung und die Ausstellungsgeschichte des Hauses.

Kurhaus-DNA also.

Kunde: Genau. Natürlich schauen sich Galerie und Künstler an, wer da schon ausgestellt hat. Es gehört zur Erfolgs-DNA eines Museums, dass da immer wieder wichtige Namen auftauchen. So etwas fortzuführen ist auch ein Gradmesser für den Erfolg von Museumsarbeit. Geschichte muss fortgeschrieben werden. Am Ende steht dann die persönliche Begegnung. Das ist dann der letzte Mosaikstein. Akomfrahs Galerie hat also ein Treffen vermittelt und was soll ich sagen: Da hat es irgendwie gleich gefunkt. Akomfrah war unglaublich offen und sympathisch. Wir kannten uns vorher nicht und die Begegnung hätte auch anders ausgehen können. Zum Glück hatte Akomfrah auch großes Interesse, sich mit mir über Beuys zu unterhalten und vielleicht war das auch einer der Angelpunkte. Dazu kam, dass er bis dahin noch in keinem nennenswerten deutschen Museum ausgestellt hatte. Das war für ihn ebenfalls wichtig: Er wollte in Deutschland ausstellen.

Akomfrah war ja anschließend in Frankfurt zu sehen. Die haben aber quasi gefeiert, sie seien die Ersten.

Kunde: Nennen wir es die Arroganz der Big Player. Bei uns war Akomfrah vom März bis September 2020 zu sehen.

Das unheilvolle Corona-Jahr.

Kunde: Ja. Die Folge war, dass die Ausstellung de facto leider nur zwei Monate zu sehen war. Ende `23 war Akomfrah dann in Frankfurt zu sehen. Ich springe mal zurück: Wir hatten also die Zusage, aber dann ging es um die Probleme der Umsetzung. Am Ende haben wir eine große Arbeit – „Purple“ – gezeigt und es war im Rahmen unserer Möglichkeiten genau das richtige Konzept. Wir hatten quasi den ganzen Akomfrah in einer Arbeit.

Gehört zum Erfolg immer auch die Bereitschaft, dem Publikum richtig was zuzumuten?

Kunde: Auch. Man muss sich unbedingt trauen. Aber: Wer den Menschen nur permanent etwas zumutet, wird keinen Erfolg haben.

Zuckerbrot und Peitsche?

Kunde: Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, ein wahnsinnig mutiger Mensch zu sein. Es ist aber so, dass man Dinge anpacken muss, von denen man vorher nicht weiß, ob sie gelingen. Im Museumsalltag ist es ja sehr oft so, dass programmatische Entscheidungen getroffen werden müssen, aber es gehört ja auch dazu, die Verantwortung für alle anderen – also beispielsweise finanziellen oder politischen – Aspekte zu übernehmen. Dazu zählen auch die Fragen nach den Publikumszahlen und der öffentlichen Wahrnehmung durch die Medien. Das ist auch vollkommen richtig so. Es ist am Ende die Aufgabe eines Museums, nicht private Interessen sichtbar zu machen, sondern nach Möglichkeit ein Programm anzubieten, das viele unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Wir versuchen also, auf einem gleichbleibenden Qualitätsniveau verschiedene Segmente anzusprechen. Gesetzt ist, dass wir immer Gegenwartskunst im Programm haben: Das ist sozusagen Teil unserer inneren DNA. Zusätzlich bieten wir Veranstaltungen an, die ganz unterschiedlichen Menschen Lust auf das Museum machen sollen. Wir veranstalten Lesungen, Konzerte, das Sommerkino. Das ist der Unterschied zur Zeit davor. Da gab es natürlich hervorragende Ausstellungen, aber es herrschte eine hermetischere Atmosphäre.

Wie definiere ich hermetisch?

Kunde: Damals war die Kernbotschaft: Das Museum Kurhaus ist ein Kloster für die Kunst. Das war ein Gedanke, der mit dem Haus verbunden wurde. Das war von Anfang an nicht mein Motto.

Was wäre das Motto?

Kunde: „Wir sind ein Marktplatz für Ideen und Begegnungen.“ Ausstellungen sollen lange dauern, aber das ergibt nur dann einen Sinn, wenn während der laufenden Ausstellung eine Vielzahl an Veranstaltungen stattfindet, die das jeweilige Thema aus- oder durchleuchten. Das lässt sich nicht immer umsetzen, aber das ist der Anspruch. Es geht darum, Punkte eines zielgruppenspezifischen Interesses zu schaffen und zu treffen – durch Lesungen, durch Sommerkino, durch Konzerte, durch Diskussionen. Das ist alles nicht neu. Manchmal ist die Umsetzung das Problem. Ein solcher Anspruch stellt sehr hohe Anforderung an unser kleines Team. Alle müssen sozusagen auf unterschiedlichsten Ebenen permanent unter Strom stehen. Unser Wunsch ist ja, dass die Leute am Ende sagen: „Ich gehe gern ins Museum Kurhaus Kleve. Es lohnt sich immer wieder, denn mir wird etwas geboten und ich kann selber etwas in Erfahrung bringen.“

Kommunizierende Röhren?

Kunde: Ja, genau. Ein Museum ist keine Berieselungsanlage – es ist ein Ort aktiver Kommunikation von beiden Seiten. Nur so kann ein Museum ein lebendiger Ort werden, sein und bleiben. Natürlich lässt sich das mit den großen Häusern nicht vergleichen. Paris, London, New York – das sind andere Resonanzräume. Für uns geht es darum, einerseits internationale Positionen nach Kleve zu holen und gleichzeitig die regionale Verankerung nicht zu vergessen.

Internationale Ausrichtung, lokale Verankerung …

Kunde: … und das mit dem Marktplatzgedanken vereinigen.

Erfolg …

Kunde: Natürlich ist mir klar, dass man als Museumsdirektor am Erfolg gemessen wird, was immer das sei. Erfolg drückt sich aber nicht nur in Besucherzahlen aus. Es ist vollkommen legitim, so etwas im Blick zu haben, aber es ist eben nicht der alleinige Gradmesser für erfolgreiche Arbeit. Die Frage ist ja: Was können wir einerseits an ‚populären Motiven‘ bedienen, um andererseits Freiräume für Experimente zu schaffen?

Bedienen kommt ja von dienen.

Kunde: Richtig. Ein Museum hat auch eine dienende Funktion. Auch das ist mir wichtig. Letztlich ist ja auch die Herausforderung des Publikums ein Dienst.

Stichwort Museumslogistik.

Kunde: Im nächsten Jahre soll im Haus W-Lan installiert werden. Wie ich gehört habe, bedeutet das: drei Monate Ausnahmezustand. Da wird so gut wie nichts stattfinden können.

Die Aufforderung zur Improvisation? Daraus ließen sich ja auch Konzepte entwickeln … Letzte Rückkehr in die „Erfolgsspur“.

Kunde: Erfolg kann auch Droge sein. Erfolg beflügelt. Ein Leben ohne jegliche Resonanz auf die eigenen Signale erfordert unendlich viel Energie. Da setzen dann Selbstzweifel ein. Jeder zweifelt bisweilen am eigenen Weg. Ich denke, das ist auch richtig und wichtig … aber gänzlich ohne Erfolg möchte ja niemand sein.

Überwiegen die positiven Auswirkungen des Erfolges?

Kunde: Das denke ich auf jeden Fall. Es gibt ja große Künstler, die vorgemacht haben, wie man ohne jegliche materiellen Sorgen trotzdem innovativ sein kann. Eines der besten Beispiele ist doch Picasso. Der Mann hat 90 Jahre lang gearbeitet und stand immer wieder an der Spitze von künstlerischen Innovationen. Picasso war – von den Anfängen einmal abgesehen – nie arm. Er wurde immer reicher, aber das hat ihn und sein Schaffen nie korrumpiert.

Kunst entsteht ja in den seltensten Fällen aus einem permanenten Gefühl von Glückseligkeit. Wenn wir Erfolg als Zielerreichung definieren, dann tritt schlimmstenfalls im Augenblick der Erfüllung ein Vakuum ein. Erfolg ersetzt nicht die Aufrichtigkeit gegenüber dem eigenen Weg.

Kunde: Vielleicht liegt da ein Teil des Geheimnisses: Sich Ziele zu setzen und am Ende nicht abzuweichen. Erfolg ist eine Zwischenstation. Wenn dem Erfolg die Leere folgt, dann muss man diese Leere zulassen und aushalten können, um am Ende neue Kraft zu schöpfen. Das mag paradox klingen, aber Künstler sein ist ja der Umgang mit dem Paradoxen. Zeit ist da ein zentrales Element, denn auch Ideen müssen wachsen. Heute passieren Dinge oft in einer rasenden Geschwindigkeit. Erfolg braucht Timing. Oft folgt auf einen rasanten Aufstieg ein Absturz. Erfolg ist etwas, auf das man sich vorbereiten muss.

Manchmal wartet einer sein Leben lang vergebens … ich habe eine van Gogh Biografie gelesen [Steven Naifeh / Gregory White Smith: Van Gogh – Sein Leben, S. Fischer 2012.], die beim Lesen Schmerzen verursacht hat. Man folgt einer nicht endenden Spur von Niederlage und Untergang. Da arbeitet einer unentwegt und es kommt nichts zurück. Hätte man van Gogh gefragt – vielleicht hätte er geantwortet: „Ich kann doch nichts sonst.“

Kunde: Kunst war das, was er wollte, konnte und folglich musste.

Irgendwer hat mal gesagt: Das Einzige, was schlimmer ist als ein unerfüllter Wunsch, ist ein erfüllter.

Kunde: Ein Künstler findet immer neue Ziele. Stillstand ist nicht Teil der Aufgabe.

Jürgen Vogdt: You are on your own. Foto: Lucas Hans

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