Schreibkraft
Heiner Frost

Ein Mann, ein Wort: Beuys und der Nationalsozialismus

Ausschnitt aus dem Buchcover von Marija Skara

Es wird jetzt ein bisschen kompliziert, denn es geht an die Grundfesten der Rezeption. Heutzutage wird ja gern hinterfragt, was der Mensch weißwestig gut finden darf und allerlei Berufene schwingen sich zu Aposteln auf …
Caravaggio zum Beispiel. Ist der Name bekannt? Der Mann ist Maler. Er war Maler. Aber was bedeutet in der Kunst schon ‚ist‘ und ‚war‘? Caravaggio lebte von 1571 bis 1610. Ein Genie der Malerei, und …: ein Mörder. Frage: Darf gut gefunden werden, was ein Mörder gemalt hat? Vielleicht hängt das vom Standpunkt ab – und von der Profession. Kanndarf Wagner, das großdeutsche Komponistenschlachtross, gut gefunden werden, wenn man um seinen Antisemitismus weiß?


Die Beurteilung des Vergangenen ist an das Zeitpodest gebunden, auf dem sie aufgetragen wird. Es geht um die „Bahnsteige der Deutung.“ Immer schon wurde das Gegenwärtige für das Richtigste gehalten. So viel mal vorneweg.
Szenenwechsel. Ron Manheim hat ein Buch geschrieben. „Beim Wort“ genommen heißt es und es geht um Beuys. Schon mal gehört den Namen? Richtig: Es ist der Mann mit Hut und Anglerweste, der mit seinem 100. Geburtstag das Kunstjahr 2021 regierte. Beuys – ein Mann der Bildenden Kunst. Müsste man da nicht ein Buch mit dem Titel „Beim Bild genommen“ schreiben?
Das hängt vom Standpunkt ab und von der Profession. Ron Manheim ist einer, der die Kunst liebt. Das ist die eine Seite. Und dann ist da die Seite, in der er sich mit Kunstgeschichte auseinandersetzt. Ein Bild zu genießen – das ist die eine Sache. Manheim ist einer, der in jungen Jahren nach Italien reiste oder nach Wien – nur um dort ein einziges Bild zu sehen. Sich verzaubern zu lassen.
Anders ist es, wenn man den Kunsthistoriker in ihm herausfordert. Wer sich als Kunsthistoriker bei Beuys auf dessen Denken berufe, sagt Manheim, der dürfe nichts auslassen. Das Motto: ‚Ganz oder gar nicht.‘ Oder: ‚Wenn schon, denn schon.‘ Manheim hat in seinem Buch Beuys ‚aufs Maul‘ geschaut – hat sich um die Worte gekümmert, seien sie gesprochen oder geschrieben. „Glauben Sie mir, das hat an vielen Stellen keinen Spaß gemacht“, sagt er. Manheim – das stellt er gleich in den ersten Sätzen seines Buches klar, gehört zu den uneingeschränkten Bewunderern dessen, was er das materialisierte Werk Beuys‘ nennt.
Anders sieht es aus, wenn man Manheim auf Beuys‘ ideologische Grundhaltung anspricht und auf die ‚missionarische Haltung‘ des Mannes, der wohl zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhundert zu zählen ist.
Beuys, so viel sollte klar sein, ist nicht einfach Beuys. Wer alles unsortiert in einen Topf wirft, kann – nicht nur hier – scheitern. Natürlich gibt es Multi-Begabungen und nicht jeder Künstler, Komponist, Choreograph ist nur auf seinem Spezialgebiet zitierfähig. Aber Kunst ist Lebensbeschreibung auf einer anderen Ebene. Schon als Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhielt, gab es kritische Stimmen. Da wurde ein Dichter nicht als Dichter ernst genommen. Im Fall Beuys gilt es, den Künstler vom Redner/Schreiber zu trennen. Aber: Geht denn das?
Beuys ist längst zur Gallionsfigur verschiedenster Interessen geworden: ein Säulenheiliger für Zukunftsvisionen oder soziales Interagieren. Beuys‘ künstlerisches Werk – für Manheim ist diese Feststellung immer wieder wichtig und zentral – ist großartig, aber da ist auch der Beuys, der „unter einer ideologischen Käseglocke“ lebte. Manheim begibt sich in ‚Beim Wort genommen‘ auf eine akribische Spurensuche und analysiert unter anderem Themen wie Beuys‘ „Aussagen über die Zeit des Nationalsozialismus im Allgemeinen“, „Schüler im Nationalsozialismus“, „Die Kriegsursachen“ und „Das deutsche Volk“ – und schon verspürt man dieses Grimmen in der Magengegend. Hier sei – der Vollständigkeit halber – der Untertitel von Manheims Buch genannt: ‚Beuys und der Nationalsozialismus‘. Ist da einer (Manheim) auf der Anreise zur Demontage eines Denkmals? Darf man den Mann mit Hut und Weste denn noch gut finden? Redundante Fragen allemal – zumindest für alle diejenigen, die sich dem künstlerischen Werk hingeben möchten – uneingeschränkt.
Manheim ist kein Gesinnungspolizist, aber, wenn einer (Beuys in diesem Fall) sich äußert, wird man(heim) sich wohl doch auf die Spur des Gedachten begeben dürfen. Es wäre mit Sicherheit spannend, einige der Beuys-Zitate aus Manheims Buch ohne Autorennennung Menschen zur Begutachtung vorzulegen, um zu sehen, als wes Geistes Kind sie am Ende den Zitat-Urheber einstufen würden.
Es bleibt die Frage, als wen oder was man Beuys sehen möchte/muss. Kann man die eine Seite loben, ohne die andere zu tadeln? Längst hat man philosophisches Terrain betreten. Kann man Beuys beim Bild nehmen und das Wort auslassen? Die gute Nachricht: natürlich. Die Einschränkung: Natürlich nicht, wenn es um eine ganzheitliche Einschätzung geht. Nächste Frage: Wer wäre dann zuständig für eine solche 360-Grad-Einschätzung, die ja – in der ‚Causa Beuys‘ die kunsthistorischen Grenzen weit hinter sich ließe?
Manheims Buch ist die Inaugenscheinnahme einer Schattenseite, die sich nur schwerlich schönreden ließe. Prominente, denkt man, waren schon immer Steinbrüche. Jeder schlägt ab, was sich brauchen lässt. „Lesen Sie das Buch“, sagt Ron Manheim und da blitzt der Gedanke auf, dass womöglich das Eigenhirn kontaminiert werden könnte. Kann man nach der Lektüre noch zurück hinter die neue Erkenntnis? Natürlich nicht. „Beim Wort genommen“ wird also zum Paradoxon und zum Lehrstück dafür, dass taube, pardon: blinde Verehrung auch nicht die Lösung sein kann. Da ist der Gedanke: Bücher und Gedanken sind ja nicht unbedingt als finale Lösungen gedacht. Sie sind Zutaten, Aromen, Schaltkreise für die Großbaustelle des eigenen Weltbildes. Wer sich zum Beuys-Prediger aufschwingen will, sollte, so ist Manheim zu verstehen, die Diretissima wählen. Umleitungen helfen nicht weiter. Alles oder nichts. Wenn schon, denn schon.
Selbsterforschung? Hat sich nach 40 Minuten Gespräch mit dem Autor Manheim mein Beuys-Bild auf das materialisierte Werk verbogen? Nicht wirklich. Keine Kontamination, aber Gesichtskreiserweiterung. Gut so.
Überlassen wir Ron Manheim das letzte Wort: „Ohne Zweifel sind von Beuys positiv anregende Impulse ausgegangen. Es gibt aber […] gute Gründe, dem Denken von Beuys mit äußerster Vorsicht und mit einem entschieden kritischen Ansatz zu begegnen. Eine grenzenlose Bewunderung für Beuys als großen Denker ist naiv und gefährlich.“ Heiner Frost

Das Buch – der Autor

Ron Manheims Buch „Beim Wort genommen – Joseph Beuys und der Nationalsozialismus“ ist bei ‚Neofelis‘ erschienen. ISBN 978-3-95808-344-8.
Der Autor: Ron Manheim, geboren 1943 in Amsterdam, studierte Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität von Nimwegen. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Expressionismus und Kunstpolitik im Nationalsozialismus. Außerdem befasst er sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Werk von Joseph Beuys. Er war viele Jahre Direktionsmitglied des Museums Schloss Moyland, wo er ab 1991 das Beuys-Archiv aufbaute. Seit seiner Pensionierung ist er freischaffender Autor und Ausstellungskurator.