Beuys ist ein Name, den die meisten (nicht nur am Niederrhein) zumindest schon einmal gehört haben. Filz und Fett und Hut und Weste … Vielleicht kennen sie auch die Geschichte von der Badewanne, die ein Kunstwerk war und dann zur Kühlung von Getränken missbraucht wurde: ein veritabler Skandal.
Mehr Teile, mehr Geld
Sie kennen Jan Baegert? Baegert ist ein Maler aus dem Mittelalter. Dass es Menschen gibt, die Baegerts Altäre zersägt haben, um sie dann in kleineren Tranchen für mehr Geld zu verkaufen, ist ein Skandal der anderen Art, der aber zeigt, dass mit Kunst schon immer „eigenartig“ umgegangen wurde. Derzeit arbeitet Valentina Vlasic, ihres Zeichens Kuratorin des Museums Kurhaus Kleve, an einer Ausstellung mit Werken von Jan Baegert, der übrigens in Wesel geboren wurde und auch dort gestorben ist.
Madrid
Ersten Kontakt zu Baegert hatte Vlasic im vergangenen Jahr im „Museo Thyssen-Bornemisza“ in Madrid. Was sie angesichts Baergerts Werk empfunden haben mag, verrät der Titel einer Ausstellung, die – wenn alles gut läuft – am 15. November im Kurhaus eröffnet und dann bis zum 11. April eben dort zu sehen sein soll: ‚Schönheit & Verzückung‘. Wenn Vlasic von „ihrer“ Ausstellung erzählt, wird schnell klar: Der Titel trifft in die Zwölf.
Best-Case-Scenario
Wie stellt man sich die Vorarbeit zu einem Mammutprojekt wie der Baegert-Ausstellung vor? Die Ausstellung besteht zu über 90 Prozent aus Leihgaben. Das macht die Dinge kompliziert. Vlasics Best-Case-Scenario: Wenn alles klappt, werden am Ende rund 70 Exponate zu sehen sein – fünf stammen aus dem Besitz des Kurhauses. Logische Schlussfolgerung: Da muss eine Menge „angeliefert“ werden. Es sind – wenn alles läuft wie gewünscht – Stücke aus Xanten, Wesel und Münster dabei. (Das wären dann die vermeintlich einfachen Dinge.) Zu den Leihgebern zählen am Ende jedoch auch Häuser aus Stockholm, Madrid, London und Los Angeles.
Am Anfang steht: Recherche und noch mal Recherche – eine Tätigkeit, die quasi zum Kuratorengrundhandwerk gehört. Im Anschluss an die Recherchen folgen, denkt man, die Leihanfragen. Von wegen.
Leihanfragen
„Sie können sich vorstellen, dass eine solche Ausstellung sehr kostspielig ist. Daher geht es zunächst darum, Anträge zur Bewilligung von Fördergeldern zu stellen.“ Förderung, so Vlasic, sei in 90 Prozent der Fälle Excellenz-Förderung. Merke: Förderung möchten viele. Zurück zu den Leihanfragen: Sie dürfen erst nach erfolgter Bewilligung stattfinden. „Natürlich hat man im Lauf der Recherchen schon mit den Kuratoren vor Ort Kontakt aufgenommen – aber es werden dann noch keine Leihanfragen gestellt“, erklärt Vlasic. Wieso ist das eigentlich so? „Das hat etwas damit zu tun, dass Projekte gefördert werden sollen, die nicht schon jahrelang in einer Museumspipeline schmoren. Es geht bei den Förderanträgen um neue Projekte.“ Also: Recherche, Bewilligungsanträge, Leihanträge. „Die Leihgeber“, so Vlasic, „wollen alles wissen. Davon machen sich die wenigsten ein Bild.“
Facility-Report
Zeit, über die „Facility Reports“ zu sprechen – das sind seitenlange Beschreibungen dessen, was das ausleihende Museum zu leisten imstande ist. „Da müssen Sie sich als Museum quasi nackig machen“, sagt Vlasic. Wie viele Aufsichten gibt es? Wie ist die klimatische Situation? Wie lang brauchen Polizei und Feuerwehr, bis sie das Museum erreichen können? Merke: Facility-Reports sind streng vertraulich. Klar. Steht ja alles drin, was böse Buben gern wüssten über ein Museum.
[*Na bitte – eine Sondermeldung in den Medien: Aus einem niederländischen Museum soll ein van Gogh gestohlen worden sein: nachts. Und: Das gestohlene Bild war eine Leihgabe. Es wurde, liest man, Alarm ausgelöst, aber als die Polizei eintraf, waren die Diebe bereits verschwunden.]
Klimamessung
Valentina Vlasic: „Eigens zur Beantwortung der Frage nach dem Museumsklima wurden jetzt fünf Klimamessgeräte angeschafft.“ ‚Wie jetzt – gab es die denn noch nicht?‘, denkt man. Doch, die gab es: analog. Jetzt geht es um‘s Digitale. Das klingt gut: Klimageräte installiert und dann täglich digitale Werte abrufen, aber: da gibt es dieses Compositum aus Atem und Süßigkeit – wie hieß es noch gleich? Genau: Pustekuchen. Pustekuchen, denn: Noch fehlt im Kurhaus ein W-Lan, das eben solche Erhebungen zur Kleinigkeit machen würde.
Aber: Es geht ja auch anders. Täglich (oder wöchentlich) mal eben auf die Leiter gestiegen, das Gerät mittels Kabel verbinden, Werte auslesen, fertig.
Begeisterung
Valentina Vlasic ist weiterhin im Best-Case-Scenario unterwegs. „Schaun Sie mal“ sagt sie – und da ist es wieder: ‚Schönheit & Verzückung‘. Wer Vlasic eine vermeintlich einfache Frage stellt, muss (Worst- oder Best-Case-Scenario) schon mal mit einer Zehn-Minuten-Antwort rechnen. Die findet dann nicht nur mündlich statt, sondern wird quasi auch vorgetanzt: Da steht die Kuratorin auf (sie widersetzt sich der Erdanziehung), breitet die Arme aus und plötzlich ist auf ihrem Gesicht mehr Lächeln als die Fläche eigentlich zulässt. So geht Begeisterung. Ja, denkt man: Die Ausstellung sollte man sich ansehen.
Baegert-Puzzle
Die Frage taucht auf: Wie kann jemand einen Altar zersägen? Wie kann jemand sich derart an der Großartigkeit vergehen? „Es geht immer um Geld“, sagt die Vlasic.
„Wer kauft einen vier Meter breiten Altar?“ Wenn man ihn zerlegt, lässt sich mit den Einzelteilen mehr Geld machen. Ein Teil der Vlasic-Mission: Die Zusammensetzung der zersägten Wirklichkeit. Das Baegert-Puzzle. Natürlich ist das spannend, wenn man ein zerstörtzersägtes Kunstwerk in der Welt zusammensucht. Detektivarbeit vom Feinsten.
Willkür ist nie
Natürlich zeigt die Kuratorin, was im Kurhaus schon an Baerget vorhanden ist. Zwischendurch – beim Treppensteigen – Exkursionen ins Kunsthistorische. Die Vlasic spricht von „versteckten Botschaften“ – sie erklärt, dass nichts auf einem Bild zufällig ist.
Man denkt einen Augenblick nach: Stimmt. Bilder sind Kompositionen und Kompositionen sind Gewolltes, Durchdachtes. Wenn also auf einem Baum ein Vogel sitzt, so Vlasic, müsse man sich fragen, wieso es dieser Vogel und dieser Baum sei. „Es ist nichts einfach so gemacht“, sagt sie und: „Willkür ist es nie.“
Think big
Zurück zu ‚Schönheit & Verzückung‘. Ordnerweise liegt Planung vor: Alles steht zu Buche.
Wer im Vorfeld nicht an alles denkt, wird in der Regel von der einbrechenden Wirklichkeit abgestraft. Ausstellungsmachen ist, denkt man, eine Kombination aus Wunderbarem und Bürokratischem. Woran ist – abseits der Kunst – zu denken: Transport, Versicherungen, Besorgen Umwerben) der Katalog-Autoren, Werbung überhaupt und – natürlich: Ausstellungsarchitektur. Der Plan: im Kuratorinnenkopf. Das wird dann, je konkreter das Projekt ist, mit den Ausstellungstechnikern besprochen. Sie müssen umsetzen, was Kuratoren träumen. Schließlich reicht es nicht, Bilder einfach an die Wand zu hängen oder einen Altar aufzustellen. Fest steht, Vlasics Motto lautet: Think big. Aber auch für sie gilt: Sie ist Teil eines Teams und was im Kurhaus läuft, fußt auf einem Gesamtplan. Merke: Nichts geht ohne den Chef.
Plakate überall
Zwei Wochen, bevor ‚Schönheit & Verzückung‘ ‚auf Sendung‘ geht, wird es sich anfühlen wie bei einer Landtagswahl: Plakate allüberall.
Und dann noch die Einladungskarten und und und. Dann schellt das Telefon: Ein Kurator am anderen Ende der Leitung: „Natürlich, Herr Soundso – gerade noch habe ich von Ihnen gesprochen. Das ist doch magisch.“ Ja, die Vlasic weiß wie‘s geht. In diesem Sinne: „Tschüss und bis neulich“ „Aber ich wollte Ihnen noch vom 3-D-Scan erzählen.“ Next Time.