Die Einladung kommt per SMS. Ich bin der Testfall. Das Thema: Fernklavier. Eigentlich ist das nicht ganz richtig. Fernunterricht müsste es eigentlich heißen.
Wir können zwar nicht fliegen …
Bevor es losgeht, soll ich eine App installieren. Eingeladen werde ich von Anja Speh. Sie ist Klavierlehrerin und ganz neben bei – es muss ja niemand wissen – meine Gattin. Sie sitzt Parterre – an ihrem Flügel – ich bin eine Etage drüber: an meinem. Motto: Wir können zwar nicht fliegen, aber unsere Flügel sind uns wichtig. Ich lade also die App. Dann die nächste Einladung. „Bitte hier klicken, um dem Meeting beizutreten“. Jawoll.
Einfach mal alles vergessen, was sonst zur Datenschutzüberlebensgrundstrategie gehört: Mikro an, Kamera an. Sonst geht‘s ja nicht. Mir fällt der ministeriale Satz ein, dass 5G schließlich nicht an jeder Milchkanne gebraucht werde. (Anja Karliczek) „Doch, wird es“, denke ich, als Bild und Ton im Halbsekundenabstand eintreffen. Neandertal, denke ich. Jemand sollte der Ministerin Klavierunterricht übers Smartphone anbieten.
Trommeln hilft (nicht immer)
Der Schul-Shutdown ist bereits zwei Wochen und zwei Tage alt. Das Kontaktverbot tut ein übrigens. Was machen Musiklehrer, um den Kontakt zu Schülern halten?
Längst hat man es im Fernsehen gesehen: Musiklehrer weichen ins Netz aus: Video-Teaching. Meine Frau probt den Ernstfall. Beim Musikunterricht ist es – andere Nachrichten wären fake news – nicht nur wichtig, etwas zu hören. Die Lehrer sollten auch etwas sehen. Es geht um Technik – nein, nichts Digitales: ganz analog. Merke: Mit verknoteten Fingern ist schlecht Klavierspielen.
Ben Hogan
Mir fällt Ben Hogan ein. Er war ein sehr erfolgreicher Golfer – im vorigen Jahrhundert. Einem Journalisten antwortete Hogan einst auf die Frage, warum er so erfolgreich sei: „Junger Mann, Golf ist ein reines Glücksspiel, aber komisch ist da schon: Je mehr ich trainiere, desto mehr Glück habe ich.“ Schwieriger fällt die Zuordnung des folgenden Zitats: „Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es; wenn ich zwei Tage nicht übe, merkt es meine Frau; wenn ich drei Tage nicht übe, merkt es das Publikum.“ Auch Lehrer sind eine Art Publikum: die kritische Masse.
Also: Ich habe die Einladung zum Fernklavierspiel angenommen. (Ein Link ist mir geschickt.) „Bitte klicken Sie hier, wenn Sie dem Meeting beitreten möchten.) Da – ich sehe meine Frau. Eigentlich sehe ich die Tasten ihres Flügels. „Ich höre nichts“, schreit sie von unten. „Du musst das Mikrofon freischalten.“ Ja, Buana. „Auf deinem Bildschirm“, sagt sie, „siehst du jetzt meine Tastatur, „jetzt musst du dein Smartphone so ausrichten, dass ich deine Tastatur auf meinem Bildschirm sehen kann.“ Gar nicht mal so einfach.
Improvisation mit Notenständer
Unten hat sich meine Frau ein provisorisches Kamerastativ gebaut. (Merke: wofür ein Notenständer doch gut sein kann.) „Die Klarinetten haben es einfacher“, sagt meine Frau und meint nicht die Instrumente, sondern die Kollegen. Das stimmt. Da kann sich jemand frontal vor die Kamera stellen: die richtige Kameraposition ist schnell gefunden. Beim Klavier ist die Sache einen Tick komplizierter. Klavierspieler sitzen in der Regel mittig vor der Tastatur. Die Kamera im Rücken – da würde der wichtigste Bereich zur „dark side of the moon“. Also am besten irgendwie seitlichschrägvonoben. Es dauert, bis ich das Smartphone justiert habe. Leider sind ja keine Haken in der Zimmerluft.
„In der Basisversion des Programmes ist jede Sitzung, die nicht länger als 40 Minuten dauert, kostenlos“, sagt meine Frau. Übersetzung: mach hinne. Super, denke ich, lege auf und justiere weiter. Dann brülle ich nach unten: „Wir können.“ Die nächste Einladung. (Bitte klicken Sie auf den Link …) Ich nehme das Smartphone in die Hand. Ganz blöde Idee. Jetzt muss neu justiert werden.
„Hört ja niemand!“
Mittlerweile ist Rüdi eingetroffen. Er ist der NN-Fotograf, der das Chaos ins Bild setzen muss. Bild- und Tonverbindung stehen“, sagt er. „Leg die Finger auf die Tasten. Und nicht bewegen.“ „Aber ich muss doch spielen.“ „Quatsch. Musst du nicht. In der Zeitung hört keiner was.“ Okay. „Die Finger ganz weit nach rechts.“ „Da würde doch niemals jemand dauernd spielen.“ „Mach einfach.“ Ich mach‘s. „Ich schick dir dann fünf Versionen. Such dir was aus.“ Immerhin: Es könnte funktionieren.
Meine Frau ist kaum noch zu sprechen. Sie probt den Ernstfall. Könnte ja sein, dass der Video-Unterricht demnächst gebraucht wird. Geht es eigentlich auch um Datenschutz? Das müsste man mal klären. Die Plattform, die den Test meiner Frau bestanden hat, wird unterschiedlich bewertet. Es ist wie immer: Die einen sagen so (keine Bedenken in Bezug auf die Datenschutzgrundversordnung) – die anderen sagen: Die Plattform Zoom leitet die Daten gleich ans „Gesichtsbuch“ weiter. Nicht toll. Wahrscheinlich wird demnächst Unterricht nur im Beisein von Juristen erteilt.
Nicht zum Nulltarif
Für Musiklehrer – seien sie nun als Privatlehrer oder für Musikschulen unterwegs – läuft die Sache nicht wirklich gut: Musikunterricht ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Eltern bezahlen – und wer zahlt, legt irgendwie Wert auf die Ware. Meine Frau arbeitet für eine Musikschule. Kann ja sein, dass demnächst auf diese Form des Unterrichts gesetzt wird, denke ich.
Vielleicht mal bei der Kreismusikschule anrufen und nachfragen, wie dort das Problem gehandhabt wird. Ist ja nicht einfach. Das Programm zu bedienen kann man lernen, denke ich, aber wie sieht die rechtliche Seite aus? Klar: Man könnte die Schüler einfach anrufen und sich was vorspielen lassen. Aber siehe oben: Etwas zu sehen, ist mehr als hilfreich.
Fernklavier, denke ich und mir fällt Grass` Blechtrommel ein. Da gibt es ein Kapitel mit dem Titel: „Fernwirkender Gesang vom Stockturm aus gesungen“. Fast schon visionär, denke ich.
Speckig … auch egal
Zwei Stunden später schickt der Fotograf mir seine Beute. Irgendwie sehen meine Finger speckig aus, denke ich. Egal: weiß ja niemand, dass die mir gehören.
Unten höre ich meine Frau mit einer Freundin telefonieren. „Ich schicke dir mal eine Einladung …“ Viel Spaß, denke ich.