Schreibkraft
Heiner Frost

Zwei Mal Werner und ein Leben

Foto: Rüdiger Dehnen

Liebe auf den ersten Blick – die romantischste aller Vorstellungen. Für die meisten jedenfalls …

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Werner war eingeladen. Es war der Buß- und Bettag des Jahres 1972. Werner war – wie soll man sagen – einer Freundin in Marburg beim Verfassen ihrer Examensarbeit behilflich gewesen. Jetzt also die Fete zur Arbeit. Nun ist der Buß- und Bettag kein klassischer Fetentermin, aber: Fertig ist fertig. „Auf der Fete waren viele Leute, die im Marburger Bach-Chor sangen“, erinnert sich Werner. Er gehörte nicht dazu.
Es wird jetzt ein bisschen kompliziert. Unter den Partygästen: Werner – Mitglied in eben jenem Marburger Bach-Chor. Wie bitte? Genau: Zwei Werner sind im Spiel: Werner Steinecke, Bauernsohn aus dem Harz, evangelisch, und Werner Deutsch, gebürtiger Niederrheiner, katholisch – beide 25. Werner Steinecke: „Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns gleich für den nächsten Tag im Café Elwert verabredet. Werner aß Torte.“ Schwule Beziehungen waren damals alles andere als alltäglich. „Du musst dir vorstellen, dass erst seit 1969 Homosexualität in der Bundesrepublik nicht mehr unter Strafe stand.“ Steinecke und Deutsch wurden ein Paar. „Ein Freund von mir sagte damals: ‚Das wird keine Woche gut gehen mit euch‘.“ Es kam anders: Zwei Mal Werner und ein Leben. 2001 verpartnerten sich die beiden, die mittlerweile in Bedburg-Hau im Elternhaus von Deutsch lebten. Deutsch: Professor für Psychologie – Steinecke: Lehrer an einem Gymnasium.
„Schwul sein – das ist heute offen möglich“, sagt Steinecke. „Wenn ein 16-Jähriger sich outet, wird er wahrscheinlich von der Mama in den Arm genommen: ‚Alles wird gut‘, wird sie sagen.“ Für Steinecke und Deutsch war es anders. „Wir konnten  mit unserem Schwulsein nicht überall offen umgehen. Manchmal, wenn Werner mich mit zu Leuten nahm, stellte er mich so vor: ‚Das ist der Herr, der in meinem Haus wohnt.‘ Bei guten Freunden war ich dann der Partner.“ Tut das weh? Steinecke lächelt. „Hat mich nicht interessiert“, sagt er und für einen Augenblick glaubt man, einen Spalt zu erkennen zwischen Satz und Wirklichkeit.
„Irgendwie waren wir ziemlich verschieden“, sagt Steinecke: Hier der Kathole vom Niederrhein, dem sein Glauben wichtig war und da der Evangele aus dem Harz – ein Mann für die Mittelpunkte. Trotzdem war es eine Liebe fürs Leben. „Manchmal, wenn wir eingeladen waren, sagte Werner: ‚Du musst heute nicht die Handgranate spielen.‘“
Von Deutsch habe er, sagt Steinecke, die Liebe zur Musik gelernt. „Irgendwann musste ich mit nach Bayreuth. Eigentlich wollte ich nicht, aber dann war ich total geflasht.“ Später war Steinecke der Opernfreak, „und der Werner ist dann schon mal neben mit eingenickt“.
Zeit ging ins Land: Aus dem einst schlanken Deutsch war ein leicht übergewichtiger Deutsch geworden. Wie es so ist: „Ich habe ihm zu einer Diät geraten. Am Ende habe ich die Schonkost gegessen.“
Im Oktober 2010 waren Deutsch und Steinecke auf einer Wandertour in Meseberg am Gransee. Deutsch erlitt einen Herzinfarkt und starb in Steineckes Armen. Die Beerdigung: Das volle katholische Programm. In der Trauerrede des Pastors kam Steinecke nicht vor: Auch ein Kommentar. Mittlerweile hat Steinecke einen neuen Partner gefunden. Die beiden haben geheiratet. Wird Werner irgendwann neben Werner die letzte Ruhe finden? „Nein. Ich habe mich für einen Platz im Friedwald entschieden. Den Baum habe ich schon ausgesucht.“ Deutsch liegt im Familiengrab. „Da will ich nicht stören.“