Schreibkraft
Heiner Frost

Was du nicht willst, dass man dir tu

Opferschutzbeauftragter der Kreispolizeibehörde Kleve: Jonas Meurs.

Jonas Meurs ist Polizist. Er arbeitet als Opferschutzbeauftragter. Für ihn und seine Kollegen ist Mobbing längst ein Thema. Mobbing kann in unterschiedlichsten Formen auftreten.


Wir fangen mal breitestmöglich an. Was ist eigentlich Mobbing? Lässt sich das definieren?
Jonas Meurs: Mobbing hat ja etwas mit Anpöbeln zu tun. Pöbeln an sich aber ist ja noch keine Straftat. Wenn jemand zur Polizei geht und sagt „Ich will eine Anzeige machen. Ich werde gemobbt“, dann kann die Antwort sein: „Das steht bei uns in keinem Paragraphen.“ Mobbing – also Anpöbeln als solches – ist noch keine Straftat. Trotzdem sind im Mobbing, wie wir es verstehen, ganz viele Elemente enthalten, die mit einer möglichen Straftat zu tun haben, denn Mobbing kann Beleidigung sein oder auch Körperverletzung (also mal ein bisschen rumschubsen), Mobbing kann aber beispielsweise auch üble Nachrede beziehungsweise Rufmord sein. Fest steht: In dem, was wir Mobbing nennen, können eine ganze Menge unterschiedlicher Straftatbestände enthalten sein. Der „Urbaustein“ ist aber erst einmal ein Pöbeln.

Zum Beispiel?
Meurs: Na ja, das können Sätze sein wie: „Wie sieht der denn aus? Guck dir die mal an.“ Menschen, die Mobbing ausgesetzt sind, werden krank. Mobbing ist also ein ganz wichtiges Thema. Es ist ja in unserer Gesellschaft oft so, dass Dinge ‚hinten rum‘ gemacht werden. Wenn wir zwei uns unterhalten und ich dich frage „Was hast du denn für komische Klamotten an?“, dann ist das eine Unterhaltung, aber wenn ich mit dir eine Unterhaltung über jemanden führe, der nicht anwesend ist, dann kann das eine erste Stufe von Mobbing sein: „Hast du gesehen, wie der gestern wieder rumgelaufen ist?“ Das hat eine ganz andere Qualität. Ich fange dann an, jemand „hinten rum“ schlecht zu machen.

Was tut man in einem solchen Fall?
Meurs: Wichtig ist vor allem, früh genug dagegen anzugehen. Wenn wir uns unterhalten und du ziehst über jemanden her, der nicht dabei ist, kann und werde ich sagen, dass ich das nicht mitmachen will.

Aber da sind die Grenzen ja auch irgendwie fließend, oder? Denn über jemanden lästern, der nicht dabei ist, macht ja manchmal auch Spaß.
Meurs: Ja, vielleicht, aber es ist ja alles eine Frage des Maßstabes. Ich glaube schon, dass jeder erkennt, wenn da Grenzen überschritten werden.

Vielleicht liegt ja genau da ein Teil des Problems, dass eben heutzutage nicht jeder erkennt, wann und wie Grenzüberschreitungen stattfinden.
Meurs: Wenn jemand nicht da ist und ich schlecht über ihn rede, fängt es schon an. Dann sind wir schon mitten drin. Da müssten dann auch die, die vielleicht nur zuhören, einschreiten und sagen: „Hey, lass stecken. Nicht gut. Du sprichst gerade über jemanden, der nicht da ist.“ Das wäre meiner Ansicht nach der Idealfall. Und dann ist doch die spannende Frage: Würden die, die das gesagt haben, es wiederholen, wenn der- oder diejenige, um die es geht, dabei ist?

Ist ja auch irgendwie vielsagend, dass ein Begriff wie Opfer heute auch als Beschimpfung gelten kann.
Meurs: Es ist unglaublich wichtig, sich im Bereich Mobbing Hilfe zu suchen. Wenn ich also merke, da wird schlecht über mich gesprochen und ich selber kann das vielleicht „nicht wechseln“ – komme also nicht damit klar und kann mich nicht wehren –, dann muss ich mir Hilfe suchen.

Das „Verrückte“ heutzutage ist ja, dass es sein kann, dass da jemand über mich herzieht – zum Beispiel im Internet – und ich es gar nicht weiß.
Meurs: Trotzdem ist es meist so, dass die Leute, die gemobbt werden, das mitbekommen und davon richtig krank werden. Mobbing zielt auf das Selbstwertgefühl. Die Betroffenen ziehen sich zurück – sie verkriechen sich und versuchen, das Unerträgliche zu vermeiden. Diese Menschen bringen sich dann auch nicht mehr ein. Ihr Selbstwertgefühl hat so gelitten, dass sie ihre Meinung nicht mehr sagen. Parallel zur Psyche erkrankt dann in vielen Fällen auch der Körper. Menschen, denen das passiert, brauchen Hilfe. Wenn jemand solche Symptome zeigt, dann läuft das Ganze aber meist schon länger. Das geht nicht von heute auf morgen. Daher der Appell: Jeder kann helfen, indem er rechtzeitig Stopp sagt, wenn über andere hergezogen wird, ohne dass die anwesend sind.

Wir müssen ja unterscheiden: Was kann ich als Mitglied einer Gruppe tun und was können die Betroffenen selber tun?
Meurs: Noch mal: Betroffene müssen sich ganz ganz dringend Hilfe holen. Ich als Mitglied einer Gruppe kann „Stopp!“ sagen.

Wo holt man sich Hilfe?
Meurs: Na ja – in Schulen könnten das beispielsweise Lehrer oder Schulsozialarbeiter sein – in einer Firma wäre es dann der Vorgesetzte, in einem Sportverein vielleicht der Trainer. Und natürlich können sich Menschen in einer solchen Situation immer an uns – also an die Polizei – wenden. Zumindest werden wir dann geeignete Ansprechpartner suchen. Natürlich ist wichtig, dass sich am Ende geschulte Leute um die Betroffenen kümmern, aber häufig geht es ja zunächst mal um eine erste Station – um einen ersten Anlauf. Wichtig ist, das System zu kennen, in dem man unterwegs ist. Diejenigen, die andere mobben, müssen begreifen, dass sie jederzeit auch selber zum Opfer werden könnten.

Zeit für das Thema Cybermobbing …
Meurs: Da sind wir dann wieder bei der Hilfe. Hilfe kann meiner Erfahrung nach gut funktionieren, solange es noch Ansprechpartner gibt – also in der Schule, bei der Arbeit, im Verein und so weiter. Da gibt es den Lehrer, den Chef, den Trainer. Die spricht man an und die können sich dann um Hilfe bemühen, sich beraten lassen. Wir als Polizei haben sehr häufig mit den sogenannten sozialen Medien zu tun.

Da ist ja Vieles anonym.
Meurs: Genau das ist das Perfide. Solange man „Ross und Reiter“ kennt, gibt es einen Absender. Man kann sagen „der oder die hat das gemacht“ und wir als Polizei haben einen Ansprechpartner.

Da sind wir schnell bei den verschiedenen Gruppen.
Meurs: Gruppen können da großen Schaden anrichten: Man schreibt irgendwas in eine Gruppe und die Leute setzen einen Like oder schreiben noch einen Kommentar. Das wird dann schnell zum Selbstläufer. Bei Whatsapp kann man ja noch sehen, wer etwas in die Gruppe schreibt, aber bei Facebook und Instagram gehen wirklich unglaubliche Sachen ab. Unsre IT-Abteilung hat es mit vielen Anzeigen in Sachen Beleidigung zu tun. Es geht aber auch um sexuelle Anzüglichkeiten nach dem Motto: „Der oder die macht es ja wohl auch mit jedem“. Cyber-Mobbing ist eine brandgefährliche Geschichte, eben weil es schwer bis gar nicht nachzuverfolgen ist. Die Betroffenen sitzen dann oft hier in der Beratung und ich sage denen: „Die einzige Möglichkeit ist, einfach mal auszusteigen aus den sozialen Medien, aus einer bestimmten Gruppe.“

Wie kommen die Leute zu dir?
Meurs: Menschen kommen zur Polizei, weil sie Anzeige erstatten. Die Anzeige bezieht sich dann aber wie eingangs gesagt nicht auf das Mobben als solches – es geht um Beleidigung oder üble Nachrede. Im Gespräch stellt sichdann oft heraus, dass es einen Mobbing Hintergrund gibt. Die Kollegen schicken dann diese Leute zu mir und ich sage dann: „An Ihrer Stelle würde ich mich beraten lassen.“ Aufgrund meiner Tätigkeit beim Opferschutz bin ich natürlich gut vernetzt und kann in den meisten Fällen an eine geeignete Stelle verweisen.

Da erstattet also jemand Anzeige bei der Polizei und deine Kollegen schicken den oder die dann zum Opferschutz?
Meurs: Ganz genau. Und vor mir sitzen dann häufig völlig aufgelöste Menschen, die mir sagen: „Gucken Sie sich mal einen Account an.“ Ich versuche erst mal, die zu erden. Und dann kommt der Rat, der zwar hilft, aber natürlich schwer umzusetzen ist: Einfach mal keine Notiz davon zu nehmen. Das stoppt in der Regel solches Mobbing, denn die Täter wollen, dass die Betroffenen zurückschreiben. Gibt es kein Echo, verlaufen solche Angriffe irgendwann im Sand. Aber natürlich ist es schwer, einfach gar nicht zu reagieren. Die Täter wollen jemanden treffen und sie wollen merken, dass sie getroffen haben. Es ist wirklich so: Wenn Betroffene es aushalten, einfach mal eine zeitlang nicht zu reagieren, hört das Mobbing in der Regel auf. Es würde ja auch niemand irgendwo einbrechen, wenn von vornherein klar ist, dass es nichts zu holen gibt.

Das Motto für die Betroffenen ist also: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?
Meurs: Ganz genau. Es ist leider ganz oft so einfach. Und noch was in Sachen „Soziale Medien“: Gute Freunde erkennst du daran, dass sie zu dir nach Hause kommen. Die sagen dann: „Wie geht‘s dir? Ich hab dich lange nicht gesehen.“ Wahre Beziehung ergeben sich eher über den persönlichen Kontakt.

Wir sollten aber auch erwähnen, dass soziale Medien natürlich auch segensreich sein können, denn sie ermöglichen auch Kontakt über große Entfernungen.
Meurs: Natürlich. Aber manchmal habe ich den Eindruck, dass der unsoziale Einsatz der sozialen Medien längst Überhand genommen hat. Wenn man sieht, welche Belanglosigkeiten heute als Kommunikation bezeichnet werden, ist das schon verrückt. Sich mit Menschen und Freunden auszutauschen, ist unglaublich wichtig. Aber es gehören Regeln dazu, die sich im direkten Gegenüber viel besser erschließen lassen. Man sollte sich immer fragen, ob man über Menschen auch herziehen würde, wenn sie einem gegenüber sitzen. Die Antwort ist meist schnell gefunden. Diese Art von Umgang müssen wir anscheinend wieder lernen. Das ist zumindest mein Eindruck.

Ist das eigentlich eine Altersfrage?
Meurs: Ich bin natürlich kein Wissenschaftler, aber mein Eindruck aus der Praxis ist: Je jünger die Menschen sind, desto schwerer fällt ihnen der dosierte Umgang mit den Medien. Mir wäre wichtig, dass in einem Text auch steht: „Beteiligt euch nicht an solchen Aktionen. Jeder Kommentar ist ein Echo und jedes Echo bedeutet: Es geht weiter. Mobbing ist eine Sache, bei der auch Passivität schnell zum Teil des Mitmachens werden kann. Es muss darum gehen, sich aktiv zu verweigern, Stopp zu sagen, Flagge zu zeigen.“ Ein Like bei Facebook – das ist ein Tastendruck. Man muss nicht einmal was schreiben. Ein Tastendruck macht mich zum Unterstützer und also irgendwie auch zum Mittäter. Da liegt die Gefahr. Wenn einer Mist schreibt, wird mein Like zu einem Teil des Mobbings. Zum Mitmachen gehört in der Regel kein Mut. Aber „Nein!“ sagen erfordert Zivilcourage.

Gibt es einen Einstiegspunkt?
Meurs: Auch hier muss ich wieder sagen, dass ich natürlich kein Wissenschaftler bin, aber nach meiner Einschätzung beginnt Mobbing, sobald ein Mensch – und das ja auch schon im Kindergarten der Fall – lernt, sich als Teil einer Gruppe zu begreifen. In den sozialen Medien muss jemand ja nicht einmal schreiben können: Manchmal reicht es ja, ein Bild zu posten, das jemanden schlecht aussehen lässt. Die wenigsten denken beim Posten darüber nach, dass Menschen ein Recht am eigenen Bild haben. Aber das ist jetzt noch mal ein Fass, dass wir besser nicht aufmachen – das führt zu weit. Wichtig ist: Natürlich kann auch das Posten von Bildern Mobbing sein. Und noch etwas: Das Internet vergisst nichts. Das machen sich viel zu viele Menschen nicht klar.

Mit Bildern ist ja auch der Manipulation Tür und Tor geöffnet.
Meurs: Das ist leider wahr. Es passiert heute schon an Grundschulen, dass jemand einen Lehrerkopf auf ein Nacktbild montiert und das Ergebnis dann weitergeschickt wird. Ist ja sooo witzig. Natürlich ist das Mobbing. Und: Das ist nicht witzig. Wir müssen lernen, bestimmte Dinge zu ächten. Da macht also einer so eine Fotomontage. Da muss ich doch sagen: „Ey, hast du den Knall nicht gehört? Das ist nicht witzig. Lösch das.“

Da braucht es aber Mut.
Meurs: Ist doch verrückt, dass es Mut braucht, um Unrecht zu verhindern und nur einen Tastendruck am Smartphone, um es zu verbreiten. Das muss uns doch zu Denken geben. Es muss um Dialog zwischen Menschen gehen. Um das Zwischenmenschliche. Das findet im direkten Gegenüber statt. Also: Nicht den Mund halten. Nein sagen. Für andere eintreten. Es ist wichtig, dass jeder von uns sich klarmacht: Mobbing ist Gewalt. Ich erlebe es oft, dass die Folgen psychischer Gewalt viel gravierender sein können als alles andere. Im Unsichtbaren liegt die Gefahr.