Ein Mann kauft einen Unfallwagen. VW T5 sind begehrte Objekte, selbst wenn sie sieben Jahre alt sind und 172.000 Kilometer gefahren haben, liegt ihr Wert immmer noch bei circa 20.000 Euro. Kein Wunder, dass Menschen mit krimineller Energie sich etwas einfallen lassen. Das System: Kaufe Schrottauto, klaue dazu ein identisches Modell und verleihe mit den Papieren des Wracks dem Beutewagen wieder eine „neue“ Identität.
Paragraph 243
Auf dem Weg dorthin ist in der Regel das erforderlich, was das Gesetz als besonders schweren Diebstahl bezeichnet. Die Fahrzeuge sind mit Wegfahrsperren gesichert und eben das ruft den Paragraph 243, Absatz des Strafgesetzbuches auf:
Ein besonders schwerer Fall [des Diebstahls] liegt vor, wenn der Täter eine Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist.
Schmiere stehen
Ein Mann steht vor Gericht. Er war beteiligt an einem solchen „Recycling-Modell“: Seine Rolle: Handlanger. Zuerst steht er Schmiere, während der – sagen wir – auftraggebende Haupttäter das Auto öffnet und den Tacho ausbaut. Schritt 1: Der ist notwendig, um Daten auszulesen und anschließend die Wegfahrsperre zu überwinden.
Schritt 2: Die beiden fahren nach Holland. Der Haupttäter liest die Tachodaten aus, damit anschließend das Fahrzeug „bewegt“ werde kann. Es geht zurück zum Tatort. Schritt 3: Der Handlanger fährt nun das Auto zu einer Scheune in Holland. Sein Auftraggeber fährt im eigenen Wagen eine andere Strecke. (Sicher ist sicher.) Der Auftraggeber wird auch „gesondert Verfolgter“ genannt. Er ist nicht anwesend.
Man kennt sich
Der Handlanger stand – dumm gelaufen – wegen eines fast identischen Vergehens (ebenfalls engagiert durch den Haupttäter) schon einmal vor demselben Richter. (Nicht gut!) Der hat dem Handlanger seinerzeit mit Ach und Krach eine Bewährung gewährt.
Bewährungen zeugen vom Vertrauen der Justiz, die sich ungern enttäuschen lässt. Der Richter nimmt‘s – hat man den Eindruck – persönlich. Vor allem, dass die zweite Tat nicht allzu lange nach der ausgesprochenen Bewährung nebst Belehrung verübt wurde, kommt nicht wirklich gut an. Vielleicht ist es nicht der Richter, der‘s persönlich nimmt. Das System Justiz ist enttäuscht und zeigt das durch seinen Repräsentanten.
Family Business
Der Handlanger ist geständig. Es tut ihm leid. Das sagt er gleich zu Beginn der Verhandlung. Er hat übrigens bei der Fahrt im gestohlenen Auto mutwillig die Tatsache übergangen, dass in Deutschland ein Fahrverbot gegen ihn ausgesprochen war.
Es gibt keine Zeugen. Der Angeklagte räumt ein, dass die Anklage den Tatsachen entspricht. Er erklärt so gut er kann/will das Geschäftsmodell des gesondert Verfolgten, der übrigens dem Gericht bekannt ist. „Der arbeitet seit Jahren mit seinem Vater zusammen“, sagt der Richter. (Family Business.)
Falsches Register
Längst ist die Bewährung gegen den Angeklagten widerrufen. Er ist aus dem Knast angereist. In Handschellen. Justitia ist nicht zu Späßen aufgelegt. Vorstrafen in Deutschland? Ja, eine. Und in Holland? Der Richter zieht einen Zettel aus der Akte. „Neun.“ Schon nach der Zweiten (Besitz von Schusswaffen und Sprengstoff) schickt der Angeklagte ein ungläubigmürrisches „Was?“ in Richtung der Richterbank. Der Vorsitzende entschuldigt sich. Versehentlich hat er das Register des gesondert Verfolgten aus der Akte gezogen. Kann passieren.
Zweisechs
Der Staatsanwalt beantragt zwei Jahre sechs Monate und die Einziehung von 750 Euro – eben jener Summe, die der Angeklagte vom gesondert Verfolgten als Lohn erhalten hat. Nein – die Staatsanwaltschaft ist nicht der Meinung, dass der Wert des Fahrzeugs (20.000 Euro ungefähr) vom Vermögen des Angeklagten einzuziehen ist. Die Rechtslage: Diffus. Es wird Zeit für eine Blaupause in Form eines Urteils vom Oberlandesgericht (OLG). Eigentlich hat es noch kein „Paradeurteil“ gegeben. Drogenkurieren, die Geld von A nach B brachten, wurde das Geld nicht vom Vermögen eingezogen. Sie besaßen es ja nicht – hatten es also nicht erlangt. Die Tat, so der Staatsanwalt, irgendwie fast schon an der Schwelle zur Beihilfe – zum weniger also –, aber: Der Handlanger hat den Wagen gefahren. Das ist nicht Beihilfe. Das ist Tat. Wäre es beim Schmierestehen geblieben …
Verbrannt
Die Verteidigung sieht die beantragte Strafe als zu hoch. Natürlich haben sich die Vorwürfe gegen den Mandanten als richtig erwiesen, aber er hat ja gleich anfangs alles eingeräumt. Er ist einer, der bereut. Er hat den Ermittlern mit erhellenden Informationen unter die ermittelnden Arme gegriffen. In der Szene ist er jetzt verbrannt. Niemand wird mehr mit ihm arbeiten wollen. Er hat Informationen preisgegeben.
Das Urteil
Das Gericht bleibt bei den zwei Jahren und sechs Monaten des Staatsanwalts (das Straffenster für besonders schweren Diebstahl wäre bis auf zehn Jahre erweiterbar) und ordnet die Einziehung von 20. 000 Euro an: Wertersatzeinziehung. Das Gericht sieht es durchaus so, dass der handlangende Angeklagte das Fahrzeug erlangt hat. Eingestiegen, Schlüssel gedreht, losgefahren, verloren. Und apropos ‚verbrannt‘: „Das ist der Angeklagte keinesfalls“, sagt der Richter. Schon die erste Tat hat der Angeklagte auf Anfrage des gesondert Verfolgten begangen und anschließend dessen Namen genannt. („Was glauben Sie, woher wir den kennen?“)
Und das noch: In Deutschland gilt die Fahrerlaubnis des Angeklagten fortan nicht mehr.
Rechtsmittel
Die Verteidigung kündigt an, keine Rechtsmittel einzulegen. Der Angeklagte könnte bei Inkrafttreten des Urteils beantragen, seine Strafe in Holland abzusitzen. Die Staatsanwaltschaft allerdings wird zuerst noch einmal prüfen lassen, ob die 20.000 Euro Wertersatz auch wirklich einziehbar sind. „Das könnte sich durchaus zum Nutzen des Angeklagten auswirken“, sagt der Staatsanwalt und irgendwie scheint das Gericht mit einem Schlag verschnupft.
Man brauche, sagt der Staatsanwalt nach Ende der Verhandlung, vielleicht mal eine OLG-Entscheidung, um künftig mehr Handlungssicherheit zu haben. Was abzuwarten wäre …
Der Haftbefehl bleibt aus den Gründen seiner Anordnung weiterhin in Kraft. Die Handschellen klicken. Es geht zurück in den Knast.Heiner Frost