Schreibkraft
Heiner Frost

Pensionär zur Ausbildung

„Sex & Drugs & Rock `n`Roll“ gehört zu den großen und auch bedeutenden Forensischen Fachtagungen der Republik. Das Datum für 2020: 5. bis 7. Mai. „Ich habe mich schon angemeldet“, sagt Jack Kreutz. (???)

Die Uhr tickt

Kreutz ist Fachbereichsarzt Forensik und stellvertretender ärztlicher Direktor der LVR-Klinik Bedburg-Hau. Muss der sich wirklich anmelden? Im Prinzip nicht, aber: Die Uhr tickt. Kreutz ist 65 und Gequetschte und am 29. Februar (richtig, es ist ein Schaltjahr) hat Kreutz seinen letzten Arbeitstag. Das Ding ist durch und die Fachtagung wird Kreutz demnach „nur“ als Gast erleben.

… nihil nisi bene

In Erweiterung einer lateinischen Weisheit sei gesagt: Nichts Schlechtes über die Toten und diejenigen, deren Tätigkeit infolge des Erreichens des Rentenalters mit dem Job … Nun – hier gilt es einzuhalten. Kreutz wird zwar in Sachen LVR (Landschaftsverband Rheinland) seinen Dienst beenden, aber zwei anderen Institutionen wird er erhalten bleiben. Zu nennen wären Gericht und Justizvollzugsanstalt. Irgendwie hat ja das eine mit dem anderen zu tun. Kreutz ist als psychiatrischer Gutachter gefragt, aber eben auch als einer, der sich im Knast um die psychiatrische Behandlung von Straftätern kümmert. Ab März wird Kreutz in Pfalzdorf in einer Bürogemeinschaft arbeiten. „Stellen Sie sich das aber nicht so vor, dass ich Sprechstunden abhalte. Ich werde meine gutachterliche Tätigkeit weiterführen.“

Seit `84 für den LVR

Kreutz hat im Lauf seiner Tätigkeit ziemlich viele Gutachten erstattet und war an „spektakulären“ Fällen beteiligt.
Seit 1984 arbeitet Dr. Jack für den LVR. Er fing in Bedburg-Hau an (12 Jahre war er dort leitender Oberarzt), ging dann für viereinhalb Jahre als Chefarzt für Sucht- und Psychotherapie an die LVR-Klinik in Viersen und kam Mitte 2005 zurück nach Bedburg-Hau: als Fachbereichsarzt der Forensik. „Ich war damals der erste Fachbereichsarzt für Forensik im Rheinland“, sagt Kreutz.

Pensionär in Ausbildung

Ab 1. März nun also der Ruhestand, der ja keiner wird. Kreutz wird quasi Pensionär in Ausbildung, denn es fehlt noch an einer Grundvoraussetzung für eine anschließende Vollbeschäftigung: Enkel. Kreutz‘ Sohn hat im vergangenen Jahr geheiratet und jetzt ist „der Alte“ quasi eine Art Möchtesehrgerngroßvater in Lauerstellung.

Toccata

Natürlich muss nach anderen „Freizeit“-Beschäftigungen gefragt werden. Und siehe da, der forensische Gutachter rückt mit einem Geständnis an: Er spielt Klavier. Oder soll man sagen: Er hat Klavier gespielt? Wie auch immer: Das heimische Klavier ist spielfertig. Und was wird gespielt? Als ob man‘s nicht geahnt hätte: die unverwüstliche und eigentlich von einem Herren namens Johann Sebastian Bach für die Orgel gedachte … genau – die gutealte d-moll-Toccata. Die könnte er – nun, sagen wir – andeuten. Noch ein Geständnis: Der Mann hat früher quasi als Eigensponsor fürs Studium Tanzmucke gespielt. Echt jetzt? Jau. Und was so? Die Aussage wird zunächst verweigert. Nach Versicherung der Tatsache, dass nichts gegen ihn verwendet wird, folgt eine Teileinlassung. „Eine Schwarzwaldfahrt“. Okay – ein Ausflug zu Youtube. Musikhorizontale Erweiterung. Diagnose: Leichtfüßigkeit ist gefragt. Ein Stück am entgegengesetzten Ende der Demolltoccatenwelt. Diagnose: enkeltauglich. Und was hat der Doktor sonst noch so gespielt? Jetzt wird vielsagend geschwiegen. Nur so viel: In Koblenz hat er einst zusammen mit seiner Kombo die Rhein-Mosel-Halle bespielt. Zu Karnevalszeiten. Lang, lang ist`s her. Okay – vielleicht müssen Leben und Noten ab März neu teilsortiert werden. Weiß man‘s?

Kommissarisch

Dann die Frage nach der Nachfolge. Da gäbe es Kommissarisches zu berichten. Endgültig entschieden wird über die Kreutz-Nachfolge erst im Herbst. Erst einmal übergibt der gerade-eben-noch-Chef den Staffelstab an seinen Kollegen Manfred Adomat.
Wie man hört, ist die Marktlage, wenn es um das Thema Ärtze geht, sagen wir angespannt. Der untere Niederrhein ist nicht nur, wenn es um (Chef)Arztstellen geht (auch die Justiz wäre arientauglich – könnte also ein Liedchen singen) nicht unbedingt eine Top-Adresse. Das aber muss nicht Kreutz‘ Problem sein. Er steht in den Abschiedsstartlöchern. Die Uhr tickt. Im Büro finden sich erste Umzugskartons.

Pappkartons

Ein Berufsleben landet in Pappschkartons und ist fertig zum Abtransport. Na ja – ein bisschen ist noch hin. Den Karneval erlebt Kreutz noch in Amt und Würden und dass ein Psychiater in einem Schaltjahr die Kurve kratzt, hat ja irgendwie Stil.

Knast und Gericht

Vor Gericht wird man Kreutz auch weiterhin erleben, die Eintrittskarte in den Klever Knast sollte man sich besser sparen, denn man würde den Doktor auf der falschen Seite der Stäbe treffen. Kreutz war, ist und bleibt, eine lebendige Lobby für Menschen, die sonst wenig Lobby haben. „Ein Straftäter ist mehr als seine Straftat“, sagt er.

FPI

Wie wär‘s abschließend mit einem „Freiburger Persönlichkeitsinventar“ (FPI)? Der Infragestehende hat das in seinen Gutachten hunderte Male angewendet. Es geht um Lebenszufriedenheit (positiv), soziale Orientierung (engagiert), Leistungsorientierung (ja, wann arbeitet der eigentlich nicht?), Gehemmheit (da machen wir uns mal keine Sorgen), Erregbarkeit (da müsste man jetzt mal die „Angestellten“ fragen), Aggressivität (nö), Beanspruchung (wen soll man fragen?), Körperliche Beschwerden (Beichtgeheimnis), Gesundheitssorgen („Ich bin viel zu fit zum Aufhören!“), Offenheit (ja, aber …), Extraversion (ochottja), Emotionalität (doch, doch).

Kartoffeln?

Man würde dem Mann also eine hohe Lebenszufriedenheit attestieren und das Ganze mit einer Spur Narzismus (das sagt er nicht selten über sich selbst – freilich eher in therapeutischer Scherzhaftigkeit) aufmischen. Vorlieben? Angeblich hegt Kreutz eine Vorliebe für Kartoffelanbau. Vielleicht ließe man diese These jedoch aus Mangel an Beweisen besser wieder fallen. Am Ende stimmt‘s nicht. Was dann? Wie schnell sind Gerüchte in der Welt. Dann schon lieber bei den Gerichten bleiben … Adieu, monsieur.