Schreibkraft
Heiner Frost

… und draußen brennt die Welt

Susanne Figner: Kuraotrin. Foto: HF

Vielleicht diesmal statt Block und Stift mal Eimer und Wischlappen zurechtlegen? Das Museum Kurhaus hat zur Pressekonferenz geladen. Das Thema der neuen Ausstellung: ‚Hausputz‘. Vorbeimarsch von Signalvokabeln aus der Gedankenmaschine: betrachten, überdenken, entrümpeln. Muss man sich Sorgen machen …?

Schweres Gerät

Es geht an die Grundfesten: Auseinandersetzung mit der Lokalität des Hauses, kuratorische Konzepte, museale Verantwortung und die Möglichkeiten, etwas Neues zu schaffen. Mit anderen Worten: schweres Gerät. Vielleicht reichen Eimer und Putzläppchen am Ende nicht aus.
Betrachtungen auf fundamentalen Ebenen sind nützlich – und nicht selten gefährlich. Was tun, wenn sich am Ende herausstellt: Das Museum gehört abgeschafft und ist aus der Zeit gefallen?

Entbildert

Kuratorin Susanne Figner führt durch annähernd leere Räume. Die Wände: entbildert. Auf den Böden: Monitore. Darauf: Filme von Räumen, die es sonst nicht zu sehen gibt. An einer Wand ein Zettel: Archiv. An einer anderen: Keller. Was geht ab? Susanne Figner, das wird schnell klar, geht es um einen Perspektivwechsel. Es geht um die Frage nach einem zentralen musealen Auftrag.

„Wir versuchen nicht, Produkte zu verkaufen; wir initiieren Prozesse.“ (Harald Kunde, Direktor Museum Kurhaus Kleve.)

Energieübertragungsapparate

Museen sind Energieübertragungsapparate. Ja – Apparat klingt immerhin besser als: Maschine. Museen sind Heilungsorte und Zerstörungsorte. Sie sind Orte für das Anders-Sein-Dürfen. Museen sind Geschichtsorte, Geschichtenorte, Orte der Auseinandersetzung und des Zusammensetzens. Jetzt ist das Kurhaus ein Ort nach der Entschlackung. Man muss die Leere aushalten lernen und in einem bewusstseinsöffnenden Augenblick versteht man, dass es auch um Erwartung geht. Wie jetzt? Es gibt nichts zu sehen? Wie oberflächlich man doch geworden ist und wie kleinigkeitsignorant.

Zustandspräparatorin

Die Künstlerin Marlin de Haan kommt als Chirurgin daher – als Zustandspräparatorin. Sie rückt dem Institutionalen auf die Pelle – betreibt Seelenforschung am lebenden Objekt. Das Museum wird zu einem Ort, der die Rückseite seines Glanzes offenbart. Es spielen sich andere Dinge ab als die Ausstellungen es vermuten lassen. Es fühlt sich an, als sei man in die Umkleidekabine eines Magiers geraten: ans Ende der Illusion. Natürlich darfmuss gefragt werden, ob der Perspektivwechsel eine Bereicherung darstellt. Die Beantwortung dieser Frage hängt allerdings davon ab, wie Reichtum definiert wird. Der Blick in eine Schachtelwelt wird freigelegt …

Museum, Kopftuch, Kittelschürze

‚Hausputz‘ bietet Einblick in museale Eingeweide – es ist ein Blick, der dem Betrachter Disziplin in der Selbstbefragung abverlangt. Man könnte ‚Hausputz‘ als albern abtun. Man könnte ‚mkk‘ [museum kurhaus kleve] umdeuten in ‚museum, kopftuch, kittelschürze‘ und würde schnell zum Opfer der eigenen Oberflächlichkeit.
Für Susanne Figner, die – über den Sommer verteilt – Künstler eingeladen hat, ein Institut durch Bespielung/Bespiegelung zu hinterfragen und vorzustellen, spielt der Blick über den Tellerrand eine wichtige Rolle. Muss ein Museum politisch sein? Wer da glaubt, es gäbe nur eine Antwort, ist dem ersten Irrtum aufgesessen.

Da darußen brennt die Welt

„Da draußen brennt die Welt“, sagt die Figner und fragt sich, wie ein Museum mit dieser Situation umgehen – wie es an ihr teilhaben, sie bschreiben und interpretieren kann. Das ‚kann‘ steht zentral, denn von einem ‚muss‘ ist nicht die Rede. Marlin de Haans Beitrag zum Kurhausputz trägt den Namen ‚Vehikel‘: Fotos, Filme, Texte: eine Gedankenfund- und Fallgrube. ‚Hausputz‘ – das ist, als dürfte man einem Pianisten beim Proben zuhören. Konzerte sind ja wie Ausstellungen auch Endproduktpräsentationen. Proben sind Wegfindungsprozesse und Weg-Erfindungsprozesse. ‚Hausputz‘ macht den Besucher zum Sucher. Nichts Fertigpoliertes verstellt den Blick. ‚Hausputz‘ ist Expedition ins eigene Denken. Gut – das sind andere Ausstellungen auch. Aber ein (fast) leeres Museum stellt andere Anforderungen. Die Leerstelle wird zur Lehrstelle …

Vor/nach dem Urknall

Der Unterschied liegt darin, dass „herkömmliche“ Ausstellungen immer wie eine bemalte Leinwand scheinen. Sie sind belichtete Negative. ‚Hausputz‘ – das ist die Welt eine Sekunde nach (oder vor) dem Urknall. Die Schöpfungsgeschichte bleibt dem Betrachter überlassen. Aber natürlich ist das nur scheinbar so, denn es gilt zu begreifen, dass de Haans Expedition durch die Kulissen nicht weniger determiniert ist als die Einzelausstellung eines (un)bekannten Künstlers. Es braucht denselben Apparat zum Verständnisgewinn. ‚Hausputz‘ ist ein genial-museales Pseudoverwirrspiel – eines, das Lust aufs Denken macht, weil es ohne Denken nicht funktioniert. Da streut jemand Krumen aus. Wir müssen lernen, uns selbst auszuhalten – dem eigenen Blick zu trauen. ‚’Hausputz‘ ist eine Aufforderung zum Dialog – ein mutiges Projekt: Katharsis fürs Museum, Katharsis fürs eigene Oberstübchen. Quatsch: Weg mit der Katharsis – Gedankenwaschmaschine klingt besser. Ist besser. Marlin de Haans ‚Vehikel‘: eine Ouverture. De Haan – die erste in der Sommerstaffel. Fortsetzungen folgen …

Museum Kurhaus Kleve