Schreibkraft
Heiner Frost

Stephan Fritsch – ein Portrait

Stephan Frisch hat einen wichtigen Platz in meinem Leben. Ich habe ihn öfter getroffen. Wir wurden Freunde. Ich habe seine Totenrede gehalten. Stephan fehlt.

Akademie

Ich habe eigentlich schon mit neunzehn meine erste Krise gehabt. Damals habe ich mich gefragt: Hast du eigentlich als ‚Rohstoffverzehrer’ eine Lebensberechtigung? Langsam bin ich dann zu dem Entschluss gekommen: Trau dich, mach Kunst. Bei der ersten Bewerbung an der Akademie wurde ich abgelehnt. Die Begründung war, ich sei zu jung. Die Akademie – das war am Anfang für mich furchteinflößend. Da thronten die Fürsten. Du hast schüchtern deine Arbeiten gezeigt, und jede Bemerkung konnte dich vernichten. Die haben das natürlich genossen. Fanden das toll … Innerhalb von anderthalb Jahren war mir dann aber klar: Ich möchte das. Dann ging’s ganz normal weiter. Ich habe
dann quasi meinen Beruf gelernt.

Sturm

Ich war Schüler von Helmut Sturm. Bei dem hab ich studiert. Ich musste immer nebenbei jobben. War immer der Außenseiter in der Klasse. Mein Lehrer hat nicht wirklich viel geredet. Er hat mir schon signalisiert, dass er meine Arbeit schätzt. Er hat aber auch immer gezeigt, dass er vieles an meinen Denkansätzen völlig g’spinnert fand. Ohne groß drüber zu reden hat er also gezeigt, dass er’s nicht hundertprozentig teilt. Das hatte ich auch nicht erwartet. Ich wollte nie ein kleiner Nachäffer werden. Ich habe großen Respekt vor ihm gehabt, ich habe seine Arbeit wirklich geliebt – liebe sie noch immer. Trotzdem stand für mich immer fest: So willst du nicht unterwegs sein. Ich wollte einfach meine eigene Denkrichtung einschlagen dürfen. Das hatte schon eine zentrale Bedeutung.

Zenuik

Als ich zwischen 1996 und 2002 die Assistentenstelle bei Jerry Zeniuk hatte, war das irgendwie meine Versöhnung mit der Akademie. Plötzlich gab es für mich die Gelegenheit, ganz normal über Kunst zu reden und speziell über das, was mich wahnsinnig interessiert: Farbe.

Qualität

Natürlich bin ich manchmal sauer, wenn ich merke: Da liefert einer schlechte Arbeit ab und kann damit wunderbar durchs Leben hüpfen. Musik zum Beispiel: Das meiste, was heute Geld bringt, ist doch total blöde Kaufhausmusik. Ohne Bedeutung. Malerei? Da gibt’s schon ein paar Leute, die zu Recht da sind, wo sie sind. Und es gibt viel Schrott. Für mich ist beispielsweise Gerhard Richter einer von den Großen. Wo der jetzt im Ranking steht – ob das nun Platz sechs oder sieben ist – das ist doch eigentlich total egal. Richter ist jedenfalls absolut oberste Liga, und ich finde, da g’hört er auch hin – mit dem, was er so entwickelt hat. Es gibt aber eben auch total Schlechte. Die kommen in den Kunstmarkt und werden weiter gereicht. Am Ende finden sich dann immer Leute mit viel Geld und wenig Hirn, die das gut finden und kaufen.

Kunst – Politik

Meine primäre Denkrichtung lautet: Ich male gern. Ich muss nichts ausdrücken. Ich muss nicht politisch sein in meiner Arbeit, obwohl ich glaube, dass gute Kunst immer politisch ist. Die Kunst muss sich immer ihrer Zeit vergewissern, und damit ist sie natürlich politisch. Aber nichts davon muss ich über die Arbeit drüberstülpen. Das will ich nicht.

Zeichnen

Ich zeichne auch. Früher war der Zugang zum Malen immer das Zeichnen. Heute ist das Zeichnen manchmal ein guter Klärungsprozess. Du bist im Kopf gezwungen, dir Dinge sofort klar zu machen. Beim Zeichnen gibt es praktisch keinen Zufall. Der Strich folgt unmittelbar dem, was ich mit der Hand mache. Die Hand ist viel klarer mit dem Kopf verbunden.

Der Zufall und Cezanne

Beim Malen habe ich viel mehr Möglichkeit, mit dem Zufall umzugehen. Der Zufall existiert tatsächlich. Das ist mir aber erst nach der Studienzeit wirklich klar geworden. Das war in Zürich bei einer Ausstellung von Cezanne. Da ist mir aufgefallen: Bei den letzten Bildern hat er so ganz dünn mit Farbe gemalt  – Ölmalerei, sehr stark mit Terpentin verdünnt – und da ist ihm dann die Brühe runtergelaufen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie der da saß und sich
gedacht hat: „Mist! Jetzt läuft mir da was runter. Was mach’ ich nur?“ Und er hat dann nicht angefangen, das irgendwie wegzuwischen oder drüber zu malen – er hat einfach einen Strich daneben gemacht. Der Fehler wurde also zum Teil des Bildes.

Farbe und Schwerkraft

Das war für mich sowas wie eine Initialzündung. Das ist etwas, das mich noch immer beschäftigt – diese Schwerkraft, die bei dünner Farbe immer vorhanden ist, die baue ich – nicht immer – aber oft in meine Bilder ein. Da passiert dann was, das ich nicht in der Hand habe. Ich hab’s aber dann wieder in der Hand, wenn ich’s mir anschaue und drauf reagiere. Das ist für mich ein schönes Vorgehen. Der Zufall führt dann zu etwas und ist Teil des Prozesses. Du reagierst, baust ein …

Die Bilder

Ich kann ja, wenn ich über meine Bilder spreche, bestenfalls über die Dinge reden, die vielleicht im Hintergrund eine Rolle spielen. Was an Eigenart im einzelnen Bild steckt, kann ich nicht im Nachhinein durch Erklären wieder herausholen. Die Eigenart in einem speziellen Werk muss ich als Künstler meist erst selber wieder entdecken. Diese Bereitschaft, sich in ein Werk zu knien, findet man nicht bei vielen Menschen. Verstehen fängt immer damit an, sich auf den Weg zu machen. Hinzuhören. Hinzuschauen.

Geschichten – Handwerk

Gute figurative Maler würden sich nie damit abfinden, dass sie nur eine Geschichte erzählen. Das Motiv ist immer nur Transportmittel. Was hat ein Maler schon großartig an Geschichten zu erzählen? Die tollsten G’schichten hörst du von einfachen Leuten, die wirklich was erlebt haben. Was sollten wir uns einbilden, dass wir was erzählen müssen. Bullshit! Das einzig entscheidende: Wir haben ein Handwerkszeug in die Finger bekommen, und mit dem haben wir etwas anzufangen. Was daraus entsteht, sollte in jedem Fall mehr sein als das, was wir uns denken können. Wenn wir uns die Kunst denken können, dann brauchen wir sie nicht zu machen.

Richtungen

Natürlich ist das Feld viel reicher, offener und weiter, wenn du nicht konkret die Richtung vorgibst – wenn du nicht so tust, als würdest du dich beispielsweise mit einer Flasche – sagen wir Bier – beschäftigen. Viel spannender ist es doch, sich mit dem Geschmack zu befassen, der entsteht, wenn du ein Bier trinkst. Oder vielleicht die Erinnerung an den Geschmack eines Bieres, das du in Gegenwart einer schönen Frau getrunken hast. Was von beidem ist nun gegenständlich und was nicht? Es ist doch am Ende wirklich eine Frage der Sichtweise. Gegenständlichkeit kann immer eine Täuschung sein, nicht wahr? Es geht also nicht um die Flasche – es geht um den Geschmack. Das ist spannend. Das ist Reichtum. Du bleibst nicht am Vordergrund hängen. Das ist natürlich nicht bei aller gegenständlichen Malerei der Fall, dass du am Vordergrund hängen bleibst. Aber das Motiv – das will ich sagen – ist selten das Zentrum. Es geht um anderes. Auch bei der gegenständlichen Malerei steckt doch am Ende immer die Auseinandersetzung mit dem Hand-
werk, der Farbe, dem Raum. Was man am Ende sieht, überdeckt das Eigentliche.

Im Zentrum die Farbe

Es ist offensichtlich, dass es in meinem Bildern primär um Farbe geht. Um Spiel von Farbe. Natürlich ist es nie nur eine Farbe – es sind mindestens zwei. Sehr starke, extreme Farbtöne, die miteinander zu tun haben. Sie haben so miteinander zu tun, dass immer erkennbar sein muss: Es gibt da eine Beziehung.

Dialog

Ich mag es, wenn ein Bild in sich eine Beziehung zeigt; wenn die Farben harmonisch miteinander zu tun haben; wenn sie miteinander kämpfen; wenn sie sich gegenseitig steigern – sich in Frage stellen – wenn aus der Fragestellung im Bild eine Fragestellung außerhalb des Bildes entsteht – ein Dialog mit dem Betrachter. Zwischen einem Bild und dem Betrachter muss eine Beziehung entstehen können – eine dauerhafte Beziehung. Diese Beziehung muss sich im Idealfall immer wieder neuen Platz suchen. Es muss immer wieder ein neuer Platz entstehen. Es darf nie langweilig werden.

Erkenntnis – Entscheidung

Es gibt keinen Kanon, und es gibt während des Malens für mich keine stringente Erkenntnis. Es gibt immer nur eine Erkenntnis während des Malens. Es geht immer um Entscheidungen. Eine solche Entscheidung kann die Frage sein, wie groß sich eine Farbe in einem bestimmten Bild zeigen darf. Wie wichtig darf sie werden? Da ist halt dieser künstliche Raum, der ja meist aus einem Rechteck besteht. Auf dem musst du was organisieren. Damit kommst du an
Proportionen natürlich nicht vorbei.

Erwartungen

Natürlich kann man Vieles bewusst anders machen, als es erwartet wird. Das bedeutet aber immer: Zunächst musst du die Regeln eines Bildes verstehen. Jedes gute Bild stellt seine eigenen Regeln auf. Die musst du begreifen. Danach
die Entscheidung: Du hältst dich an die Regeln, oder versuchst sie zu beeinflussen. Cézannes Streifen im Bild. Das meine ich.

Lernen

Entscheidungen kann ich nur treffen, wenn ich mich im Handwerk auskenne. Ich muss gelernt haben, was geht und was nicht geht. Ich glaube, ich bin gut. Das kann ich schon sagen. Ansonsten hätte ich die schlechten Zeiten, die ich schon hatte, nicht ausgehalten. Das Tolle ist doch, dass ich beim Arbeiten immer wieder etwas dazulerne. Es gibt da kein Ende. Ich lerne, obwohl ich manchmal gar nicht will. Was ich sagen will: Da gibt es manchmal ein Gefühl, dass du dich auf einem Niveau ganz gut aufgehoben fühlst. Du würdest gern einfach da bleiben. Es funktioniert ja. Ich hätte zum Bei-
spiel wahnsinnig gern mal das Gefühl, zu wissen, wie meine Bilder in Zukunft aussehen. Ich könnte dann also sagen: „Hier, das ist mein Katalog, und in zwei Jahren sehen meine Arbeiten noch immer so aus.“ Das klingt vielleicht ein
bisschen naiv, aber manchmal hätte ich es wirklich gern genau so. Natürlich funktioniert das nicht. Aber ein Traum ist es schon.

Der Punkt

Ein Maler ist natürlich immer mehr als die Bilder, die an einer Wand hängen. Die Kunst ist der Vorposten. Im Hintergrund ist da immer der Wunsch: Du hast ein Repertoire. Darauf verlässt du dich jetzt. Aber natürlich funk-
tioniert das nicht. Sich weiter zu entwickeln – das ist immer auch unangenehm. Es gibt keinen Zielpunkt. Du läufst auf etwas zu, aber es verschiebt sich weiter nach hinten. Wie der Punkt, an dem sich Bahnschienen treffen. Den erreichst du nie. Entwicklung kostet Kraft und ist mit Selbstzweifeln verbunden. Ich will eigentlich nicht regelmäßig an einen Punkt kommen, an dem ich meine Arbeit in Frage stellen muss.

Objektiv – subjektiv

Objektivität in der Kunst ist doch nur möglich, wenn ich mich radikal subjektiv verhalte. Ich würde sogar noch weiter gehen: Wir brauchen generell wieder mehr Subjektivität. Niemand braucht diese Scheinobjektivität, die uns überall umstellt. Wir müssen uns aus der Deckung der Objektivität herauswagen. Das ist sehr wichtig. Es gibt immer weniger Kriterien, auf die wir uns einfach verständigen oder verlassen können. Positionen sind gefragt. Noch mal: Ich rede da keineswegs nur von der Kunst. Äußern, was man meint, was man gerne hätte, was man meint … was man fühlt. Natürlich setzt das voraus, dass man sich klarmacht, was man denkt, was man meint, was man möchte, was man fühlt.

Sinn

Ich male mit dem Gefühl: Es macht Sinn. Das Gefühl, mit seiner Arbeit manchmal nicht leben zu können, ist ein nachgeordnetes Problem, das allerdings oft auch zum übergeordneten wird. Alles, was leicht daherkommt, was so dahinplätschert, verliert mit der Zeit den erkennbaren Wert. Man sieht bei vielen Künstlern, wie der Erfolg sie korrumpiert und leer macht. Wie die Arbeit verdünnt und verwässert. Da entsteht nix mehr. Da fehlt es an Reibung und
dem kritischen Hinterfragen. Bei der Musik ist es ja so: Das meiste, was heute Geld bringt, ist ja total blöde Kaufhausmusik.

Farbe – Klang – Tür

Ich denke, dass so gut wie jeder auf Farbe anspricht, so, wie jeder auf Klang anspricht. Du kannst immer nur ein bisschen die Tür öffnen. Mehr kannst du nicht machen. Mehr möchte ich auch nicht machen müssen. Das würde dem Verständnis von meiner Kunst widersprechen.

Galerie

Ich finde nicht, dass Kunstgeschichtler immer Galerien betreiben müssen. Gute Galeristen sind total wichtig. Leider sind auch schlechte Galeristen sehr wichtig, weil sie dir das Leben schwer machen. Was Galerien angeht, musst du heutzutage die romantische Note herausnehmen. Da geht es um Überlebenkönnen. Es geht um Geschäft. Daran kommst du nicht vorbei – auf beiden Seiten.

Kunst im sakralen Raum

Kunst in Kirchen … das hat ja eine andere Bedeutung. Du musst dir klar machen: Es gibt da nicht mehr den Moment, den es sonst bei der Malerei gibt, dass jemand an das Bild hinkommt und sagt: „Das gefällt mir nicht“, und geht weiter. Die Leute haben nicht die Möglichkeit. Die müssen sich damit auseinandersetzen. Du kannst da nicht einfach arrogant auftreten und dein Ding machen. Wenn du dein Ding machst, musst du überlegen, wie du eine Möglichkeit findest, den Menschen einen Zugang zu geben. Das ist eine besondere Aufgabe. Das hat etwas mit Verantwortung zu tun. Dem musst du dich stellen. Das kostet Kraft.

Iim Zentrum die Farbe II

Wenn die Bilder von Stephan Fritsch eine Türe wären, stünden sie nicht sperrangelweit offen, obwohl jeder herein darf. Fritschs Bekenntnis ist schnell erzählt: „Ich male gern.“ Sein Thema hat zwei Silben: Farbe. Fritschs Bilder sind keine Romane – erzählen keine Geschichten und haben doch viel zu sagen. Fritschs Erzählungen finden in einer anderen Sprache statt – einer Sprache, die nicht jedem gleich verständlich ist. Trotzdem erzählen sie – weit abseits von einer vorgetäuschten Gegenständlichkeit – Geschichten, und die handeln – siehe oben – von Farben. Fritschs Malerei ist ein Heranzoomen an vermeintliche Nebenhandlungen. Fritsch setzt die ästhetische Lupe des Hinsehens ein und rückt das vermeintliche Abseits ins Zentrum seines Malens. Farbe ist bei Fritsch kein Zustand, kein Material, mit dem sich Handlung anstreichen lässt. Farbe ist für einen wie Fritsch das Zentrum des Malenshandelnsdenkensempfindens. Farbe ist die Essenz im Epizentrum des Geschehens. Fritsch ist eine Art malender Verhaltensforscher in Sachen Farbe. Wer sich mit ihm über die Kunst im Allgemeinen und seine Bilder im Besonderen unterhält, merkt schnell, dass da einer am Werk ist, der unter anderem deswegen stark ist, weil er sich selbst in Frage stellt. „Es wäre so schön, ein System zu haben“, sagt er „eines, auf dass du dich einfach verlassen kannst.“ Freilich hat der Mann, der in Salzburg lebt, ein System: Nie stehenbleiben ist ein Teil davon. Es geht immer um eine Form der Ästhetik, die sich in den Farben ausdrückt – in ihrem Zusammentreffen. Dieses Treffen kann in Kampf ausarten oder ein friedliches Nebeneinander. Es entstehen: rauschhaft ruhige Stillleben, aufwühlende weil aufgewühlte Protokolle des Aufeinanderprallens. Wenn Fritsch in den Kunstunterricht ginge, würde er die Kinder zuerst einmal zwei Dinge tun lassen: „Die Farbe suchen,
die sie lieben. Die Farbe, die sie hassen. Wählen heißt immer: Position zu beziehen.“ Das Ziel: Subjektivität. Wer sich ins Subjektive traut, macht sich verletzbar – angreifbar. Wer angreifbar ist, hat eine Chance auf Erkenntnis. Mit dem inneren Kompass die Welt der Farben nachzuleben – immer wieder neu – ist Teil der Aufgabe. Rezepte gibt es nicht. Rezept ist Reproduktion. System bedeutet Stillstand. Fritschs Bilder sind fern von Beliebigkeit. Sie handeln von Handwerk. Sie fordern den Betrachter heraus – lassen ihn nicht einfach in Frieden ruhen und bedingen eine andere Form des Hinsehens – verhalten sich im Vordergrund anders als ein Rembrandt – vielleicht. Auch bei den Großen der Gegenständlichkeit ist das Bild Transportvehikel für handwerkliche Ästhetik – transportiert immer auch die Geschichte hinter der Geschichte. Man glaubt zu verstehen – ist in Schönheit gefangen, und nur wenige schaffen es ins Zentrum des Verstehens. Bei der Musik ist es ähnlich: Hinter dem Deckmantel der Klänge kommen Welten daher. Am Ende triumphiert die Ästhetik selbst über das Wissen um ihre Inhalte. Nicht jeder, der Mozart liebt, versteht die Mechanik hinter den Tönen. Bei Fritschs Malerei ist es nicht anders – es fehlt einzig an der Gegenständlichkeit – am gauklerischen Element des Erzählens. Wer allerdings glaubt, es fehle Fritschs Farbszenen die Poesie, kann sich bei genauerem Hinsehen eines Besseren belehren lassen. Man muss das Schöne nicht lange suchen. Im Gespräch mit dem Maler wird schnell die Synchronität von Denken und Handeln klar. Es geht nicht um den schnellen Effekt sondern um den Tiefgang unterhalb der sichtbaren Fahrrinne.

Im Zentrum die Farbe

Aus einem anderen Leben

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Die Einladungskarte: Bilder. Text. Zahlen. Spartanisch irgendwie.  Stephan Fritsch – Malerei 1994-1999. Bilder vom Rand des Jahrtausends. Fast schon frühe Bilder – Bilder, die man noch nicht gesehen hatte.

Zum Auftakt: Ratlosigkeit. Es ist die Ratlosigkeit der unerfüllten Erwartung. Der Fritsch an der Wand ist ein Fremder – einer, den man so nicht gekannt hat. Nicht erlebt. Nicht verdaut. Vielleicht ist es ein anderer Fritsch. Einer, den man nicht gekannt hat. Nicht erlebt. Erfahren. Berührt. Vielleicht ist es der Namensdoppelgänger aus dem Internet: Stephan Fritsch, geboren 1984 in Stralsund. Nein – es passt nicht, was der andere Fritsch da malt. Das lässt sich nicht ineinanderdenken. Dann fällt der Groschen: Was da an der Wand hängt, ist der Fritsch, den man kennt. Den man mag. Den man begriffen zu haben glaubte, bis man diese Bilder sah. Stephan Fritsch, geboren 1962 in Stuttgart, gestorben 2014 in Salzburg. Es ist ein Fritsch der 1990-er Jahre. Einer, der unterwegs war. Wie schnell verwechselt man zeitliche Ebenen mit Qualität. Jeder, denkt man, muss mit den Jahren besser werden. Vielleicht. Man muss sich lösen. Man muss begreifen, dass es um unterschiedliche Stationen geht, unterschiedliche Fragestellungen, unterschiedliche Ansätze. Genau. Darum geht es. Und dann begreift man, dass auch das nicht zählt. Jemand stellt sich nicht plötzlich neue Fragen. Ein Maler ist ein Maler ist ein Maler. Ein Maler ist ein Maler ist ein Eroberer. Ist das hier Malerei aus einem anderen Leben? Natürlich nicht. Es ist Malerei aus einer anderen Zeit. Was Fritsch am Ende seines Lebens virtuos zu beherrschen schien, ist in den 90-er Jahren eine Art Suchprotokoll. Es geht – mehr vielleicht als später – um Grundsätzlichkeiten. Es geht um die Bestimmung der eigenen Position: Zur Form. Zur Farbe. Man steht vor diesen Bildern und fragt sich, wie Fritsch wohl in zehn Jahren gemalt hätte? Aber: Es geht nicht um Hypothesen. Das Geheimnis liegt an eben jenem Punkt, an dem man mit sich selbst einen Standpunkt zu verhandeln hat. Was beim ersten Hinsehen eigenartig vorgekühlt wirkte, nimmt, sobald man sich den Besserwisser ausgetrieben hat, Temperatur an und wird beseelt. Es geht nicht um Vergleiche. Es geht nicht darum, was einer zuerst machte und dann später machte und noch später vielleicht gemacht hätte. Es geht darum, jemanden beim Fragen zu erleben. Im Fragen. Mit dem Fragen. Sind drei Worte mehr als drei Worte?

ich uns er

Zeit ist ein Continuum, denkt man. Es gibt ein Vorher. Ein Nachher. Wenn man es schafft, im Werk von Fritsch keine Abfolge zu sehen, wenn man es schafft, die Ebenen auszutauschen, ersteht eine völlig andere innere Haltung – sie ermöglicht, das Späte dem Frühen voranzusetzen. Genau dann entsteht Kontakt zu den Arbeiten. Da verdaut einer quasi vor dem Essen. Noch besser als das Nacheinander funktioniert die Gleichzeitigkeit. Es hat nicht das eine zum anderen geführt – es war alles immer gleichzeitig da. Aber niemand kann das Gleichzeitige auch gleichzeitig abrufen, ohne am Überfluss zu ersticken. Die Versuchung: Ein Künstlerleben vom Ende aus zu denken – vorauszusetzen, dass der Endpunkt ein Zielpunkt war. Fritschs Arbeiten aus den 90ern sind nur scheinbar fremd – nur scheinbar aus einem anderen Leben. Was an ihnen fremd wirkt, ist nicht mehr als das Fremdeln, das man selber dabei hat, weil der Fritsch an der Wand einen anderen Dialekt spricht. Wieder dieser Denkfehler: Es ist kein anderer Dialekt. Es ist dieselbe Sprache. Es sind dieselben Worte. Aber es ist nicht derselbe Text.

Wer sich Fritschs Arbeiten aus den 90ern anschaut, darf das eigene Leben dabeihaben, aber es hilft, die Idee vom Continuum zu vergessen. Keine Bilder aus einem anderen Leben. Nichts, was vom Ende aus gedacht werden müsste. Diese Bilder hinter die anderen zu denken – hinter die, die man kennt und als Ziel begriff … Vielleicht nur ein anderer Ausschnitt. Eine andere Frage. Vordenken ist Nachdenken. Fritsch dekliniert Kleinigkeiten auf kleinstem Raum. Da sucht einer die Form seiner Farben. Alles geschieht fast insgeheim. Dem Auge werden Formen angeboten – Formen, um die es nicht geht. Fritsch ist immer auf dem Weg in die Farbe. Die Malerei von 1994 bis 1999: Luftaufnahmen des Späteren als Vorgriff auf das Hinterher. Das Hinterfragen des Gewichts der Worte. Plötzlich „funktionieren“ die Bilder und gerade in dem Augenblick, in dem man über die Liebe auf den zweiten Blick nachdenkt, wird klar: Es ist der erste Blick. Die Ebenen lösen sich auf. Das Denken in Reihenfolgen führt zu keinem Ergebnis. Vielleicht ist das Kunst: An mehreren Zeitpunkten gleichzeitig zu sein …

Aus einem anderen Leben

In Memoriam: Final Call – Gegenwart als Haltung

BEN HOGAN
„Golf is a game of luck. The more I practice, the luckier I get.“

Es gibt kein Mittelfeld. Grandios scheitern – das ist die Rückseite. Die Vorderseite: Unbeschreibbar.Unbeschreiblich. Was ist schon das Gegenteil von Scheitern? Erfolg vielleicht. Aber Erfolg ist eine Hülse. Heute bedeutet Erfolg Geld. Vielleicht aber ist Erfolg der Eintritt in die kollektive
Erinnerung. Vielleicht geht es am Ende darum, hoch zu fliegen. Wie ein Drachen: Solange die Leine
Erdung stiftet, ist oben alles möglich. Kappt jemand die Basis, bleibt nur der Absturz.

Kunst ist kein Ziel. Es geht um einen Zustand. Der Zustand heißt Gegenwart. Gegenwart ist eine Haltung. „Kultur ist ein Kitt, der die Menschen verbindet“, sagt Stephan Fritsch. Wo findet er seine Gegenwart? Nicht in der Zeit jedenfalls. Zeit ist ein Konstrukt. Wenn Gegenwart eine Einstellung ist, gibt es vielleicht Worte ein Bekenntnis: Beschreibung. Fritschs Gegenwart kann viele Gesichter haben. Eines gehört immer
dazu: Sich einlassen. Im Denken. Im Machen. Im Malen. Fritschs neue Bilder: Überall zwischen den Pinselspuren hockt Freiheit. Freiheit ist
ein Atem. „Ich habe nie so viel gearbeitet wie in den letzten anderthalb Jahren.“
Ben Hogan … Golf is a game of luck. The more I practise, the luckier I get. Malerei als Glücksspiel? Klar. Gegenwart und Glück erzeugen ein
Schwerefeld – eine Art von Lebenskosmos, in dessen Zentrum mehr steht als Arbeit und Eigennutz.

ZUGABE

Wie spricht man über das Humane, die Moral, das Gute im Kern? Heutzutage vielleicht am besten gar nicht. Aber es muss doch besprochen werden, dass einer wie Fritsch Pinselsprache findet, die das Hinsehen zum Hinschweben werden lässt und zu einem dieser Momente macht, in denen die Gegenwart im eigenen Kopf einzieht. Das Wunderbare kann keine Absicht sein. Es ist immer eine Zugabe des Gegenwärtigen. Trotzdem wohnt es nicht im Zufall. „Jedes gute Bild stellt seine eigenen Regeln auf. Die musst du begreifen. Danach die Entscheidung: Du hältst dich an die Regeln oder
versuchst sie zu beeinflussen.“ Ein Fritsch-Satz aus einem Gespräch von vor vier Jahren. Ein Satz ohne Halbwertzeit. Ein Eroberungssatz – je mehr er nachhallt, desto mehr gewinnt er an Terrain im Hirn. Wo steckt die Entwicklung im Abstrakten? Da muss sich einer auskennen mit dem Raum der Leinwand, mit den Gesetzen der Farbe. Er muss verstehen, wohin ein Bild ihn schickt, nachdem er die Koffer gepackt und hingestellt hat. Da muss einer den Widerspruch aushalten: Was er macht, macht ihn. Was er losschickt, gibt ihm die Richtung an, die er vorgegeben hat.

FARBE ALS BEKENNTNIS

„Meine primäre Denkrichtung lautet: Ich male gern. Ich muss nichts ausdrücken. Ich muss nicht politisch sein in meiner Arbeit, obwohl ich
glaube, dass gute Kunst immer politisch ist. Die Kunst muss sich immer ihrer Zeit vergewissern, und damit ist sie natürlich politisch. Aber nichts
davon muss ich über die Arbeit drüberstülpen. Das will ich nicht“, sagt Fritsch. Farben sind ein Bekenntnis, und Malerei ist mehr als ein Selbstge-
spräch. Natürlich es beginnt irgendwo mit einem Impuls im eigenen Kern. Danach ist alles Dialog. Mindestens. Einer wie Fritsch stellt sich dem Augenblick. Der Augenblick ist ein Schmetterling. Ein Aroma des Gegenwärtigen auf der Rückseite der Tage.

FLUCHT INS FREIE

Ein gutes Bild ist die Summe der Erfahrungen – des Verstandenen. Ein gutes Bild entsteht beim Vergessen des Erfahrenen und Verstandenen. Ein gutes Bild ist der immerneue Versuch, sich selbst den eigenen Standpunkt zu erklären. Ein gutes Bild ist ein Gedanke, der zu handeln beginnt und sich auf die Suche macht. Gesucht werden die Orte des Unsagbaren. Wer sie besetzt, besitzt sie nicht. Ein gutes Bild ist eine Flucht ins Freie. In den unbesetzten Raum. Auch Malen ist der Versuch, dem dauernden Verlust etwas entgegenzusetzen. Erkenntnis ist irreversibel. Es gibt kein zurück zum Bild von gestern. Es gibt Resignation. Resignieren bedeutet: Das Bild von heute ist auch das Bild von morgen.

Eine Trauerrede

Es ist schwer auszuhalten, dass Trost und Tod am selben Ort zuhause sind. Ich bin kein Trauerredner. Wollte nie einer werden, aber es gibt
Wünsche, die zu respektieren mehr ist als eine Frage des Respekts. Ich habe Stephan viermal gesehen. Wir trafen uns beruflich. Ich, der
Schreiber – er der Maler. Ein Interview anlässlich einer Ausstellungseröffnung. Man redet über die Kunst und das Leben – dies und das. Die
Trennlinien verwischen schnell. Ein Interview ist eine Tür. Jemand muss aufmachen. Keine Wörter ohne Einlass. Stephan machte auf. Es entstand
ein Text: Im Zentrum die Farbe. Beim zweiten Treffen ging es um  einen neuen Text. Stephan stellte vier Bilder vor mich auf den Boden. „Such dir eines aus und schreib mir einen Text“, sagte er. Ich suchte mir eins aus. „Nimm’s gleich mit“, sagte er. „Ich möchte erst den Text schreiben“, sagte ich. „Nimm’s jetzt mit. Wenn du schreibst, kann nichts  schiefgehen“, sagte er. Ich nahm das Bild mit und fühlte mich eigenartig fremd. Einen Tag später habe ich es zurückgegeben. Ich konnte nichts schreiben. Niemand kann schreiben, wenn nichts schiefgehen kann. Niemand kann malen, wenn nichts schiefgehen kann. Und leben …? Zuletzt traf ich Stephan vor vier Wochen. Er war wieder für eine Ausstellung am Niederrhein. Wir gingen ins Café und redeten. Eine Unterhaltung über das Leben. Über die Kunst. Zwei Stunden. „Du musst demnächst nach Salzburg kommen
und die Akademie sehen“, sagte er. Wir sprachen über mögliche Termine. Dieser Samstag heute war keiner der möglichen Termine. Es wurde kein Text gebraucht. Also schrieb ich. Wir waren ungefähr gleich alt. Themen kreuzen sich. Ich hatte Stephans neue Bilder gesehen. Besser als alles vorher – getaucht in eine Art von Freiheit. Selten kommt das Gute als Gepäck des Glücks. Ich verbrachte die Nacht am Rechner und schrieb:
„Stephan Fritsch – Gegenwart als Haltung“. Er las den Text am nächsten Tag. Er mochte ihn, und ich steckte ihn wieder ein. Ich fand, der Text war nicht fertig. Der Schluss war kein Schluss. Manchmal ist der Rückspiegel ein grausames Instrument. Drei Wochen später hatte ich einen Schluss, der den Bildern standhalten konnte, veröffentlichte den Text, und schrieb eine Mail: Hallo Stephan, ich habe jetzt mal „Gegenwart als Haltung“ auf meine Homepage gesetzt. Es war Donnerstag. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Lese gerade den Text – mir geht’s dort oben am Ende der Schnur beschissen … der Text ist wundervoll, gerade jetzt. Danke, lieber Heiner.“
Ich habe nicht geantwortet. Der Rückspiegel ist ein grausames Instrument – eines, das Schuld verteilen möchte. Eines, das keine Ruhe lässt. Am Montag der Anruf. Klaus sagt: Ich habe eine schlechte Nachricht. Und sagt’s. Das Nein ist ein Reflex. Die Nachricht sackt nicht ein. Das Nein ist schneller als der Kopf. Die Zunge schneller als das Hirn. Ich war im Auto unterwegs. Zuhause ausgestiegen, in den Wald gerannt. Geschrien: Warum? Stephan, hörst du mich? Warum? Der Kopf beginnt seine Arbeit. Er durchkämmt die Tage. Die Unterhaltungen, die Gesten. Alles. Es lässt sich nichts finden. Da sind nur diese letzten Bilder – so schwerelos. Das Gute kommt nicht als Gepäck des Glücks. Abends ein Anruf aus Salzburg. Alles wird sich aufklären, denke ich. Ja, alles klärt sich auf. Stephan ist tot. Er starb am Samstag. Ich soll sprechen. Das hat er sich gewünscht. Ich stünde so gern hier und würde die Leine festhalten, an der sein Drachen aufgestiegen ist. Ein geerdeter Drachen stürzt nicht ab. Ich weiß nicht, wer
die Leine gekappt hat, ich weiß nur: Überleben findet in den Köpfen der Überlebenden statt. Überleben ist Erinnerung. Wir überleben in unse-
ren Kindern. In unseren Texten. In Tönen. Bildern. Gedenken – das sind die Gedanken. Nicht mehr. Nicht weniger. Es gibt keine Schuld. Es gibt
den Respekt. Wenn einer die Schnur kappt, bleibt ein Bild. Es ist schwer auszuhalten, dass Trost und Tod am selben Ort zuhause sind. Der eine wohnt beim Vergessenkönnen, der andere beim Vergessenwerden.
Beim Abschied wuchs mir ein
Kloß im Hals und ein Bild im Kopf.
Wenn du fort bist, weit genug, werde
ich den Kloß verschlucken, aber das
Bild wird bleiben.
Lieber Stephan, was kann man wünschen? Ich wünsche dir, dass dein Leben bleibt und nicht dein Tod. Alles Gute. Heiner
Stephan Fritsch starb am 31. Mai 201

Stephan Fritsch: Final Call

Gegen das Vergessen

„Kommt der Künstler?“, fragt der Fotograf. Nein. Er ist tot. Die Geschichte des Lebens von Stephan Fritsch ist eine traurige – die Geschichte seiner Bilder nicht.

Fritschs malerisches Universum steht im Gegensatz zu den Depressionen, an denen er immer wieder litt. Vielleicht, denkt man, ist er dem Schwarz in der Seele mit Farbe entkommen. Fritsch Bilder stellen – wenn man sie einmal kennt – einen Hafen des Sehens zur Verfügung. Man fühlt sich zuhause. Fritsch zu sehen ist eine Art Heimkehr ohne Wiederholungseffekt. Die Farben atmen und mit jedem Atemzug halten sie der Gegenwart stand – wachsen mit ihr oder schrumpfen. Fritschs Malerei ist, wenn man sich einlässt, ein Spiegel, in den man schaut. Er stellt ihn zur Verfügung – steckt Rahmenbedingungen ab, aber atmen muss man selbst. Es gibt nichts für nichts.
Fritschs Bilder lehnen sich auf gegen das Continuum der Zeit. Mal sehen, was man schon über ihn geschrieben hat: „Zeit ist ein Continuum, denkt man. Es gibt ein Vorher. Ein Nachher. Wenn man es schafft, im Werk von Fritsch keine Abfolge zu sehen, wenn man es schafft, die Ebenen auszutauschen, ersteht eine völlig andere innere Haltung – sie ermöglicht, das Späte dem Frühen voranzusetzen. Genau dann entsteht Kontakt zu den Arbeiten. Da verdaut einer quasi vor dem Essen.“ Fritschs Malerei erzählt keine Geschichten – nicht solche jedenfalls, die sich in Wortfolgen kleiden ließen. Fritschs Malerei ist ihre eigene Geschichte, aber es ist eine Geschichte, die nicht in zeitlichen Ebenen funktioniert. Fritschs Malerei ist eine Malerei der Spuren – Spuren, die sich eingraben: ins Hirn, in die Leinwand, ins Leben.
„Meine primäre Denkrichtung lautet: Ich male gern. Ich muss nichts ausdrücken. Ich muss nicht politisch sein in meiner Arbeit, obwohl ich glaube, dass gute Kunst immer politisch ist. Die Kunst muss sich immer ihrer Zeit vergewissern, und damit ist sie natürlich politisch. Aber nichts davon muss ich über die Arbeit drüberstülpen. Das will ich nicht“, hat Fritsch gesagt – in einem unserer letzten Gespräche. Farben sind sein Bekenntnis, und Malerei ist mehr als ein Selbstgespräch. Einer wie Fritsch stellte sich den Augenblicken. Der Augenblick ist ein Schmetterling. Ein Aroma des Gegenwärtigen auf der Rückseite der Tage.
All das sieht man in der Ausstellung. Die Bilder sind wie ein Handschlag: „Mensch, Stephan, lange nicht gesehen und doch wiedererkannt.“ Stephan Fritsch starb am 31. Mai 2014. Eigentlich ist das falsch, denn ein Maler stirbt erst, wenn seine Bilder vergessen werden – wenn niemand mehr hinsieht.

Nachsatz: Es gibt kein Mittelfeld. Grandios scheitern – das ist die Rückseite. Die Vorderseite: Unbeschreibbar. Unbeschreiblich. Was ist schon das Gegenteil von Scheitern? Erfolg vielleicht. Aber Erfolg ist eine Hülse. Vielleicht aber ist Erfolg der Eintritt in die kollektive Erinnerung. Vielleicht geht es am Ende darum, hoch zu fliegen. Wie ein Drachen: Solange die Leine Erdung stiftet, ist oben alles möglich. Und: Der Künstler ist anwesend, denn die Bilder sind ja da.

Gegen das Vergessen