Schreibkraft
Heiner Frost

Theaterwege

Foto: Rüdiger Dehnen

Vielleicht lässt es sich so zusammenfassen: Theater ist Teamsport – betrieben von Individualisten. Theaterarbeit ist Zusammen-Arbeit.

Auf die Beine

Am Wolfsberg haben eine Woche lang 20 Jugendliche an einer Kultur-Projektwoche teilgenommen. Das klingt irgendwie technokratisch und beschreibt nur marginal, was es bedeutet, in sieben Tagen zusammen etwas auf die Bühne zu bringen – auf die Beine zu stellen. Yvonne Campbell Körner weiß, worum es geht. Sie hat – zusammen mit Harald Kleinecke – oft genug Projekte wie dieses durchgeführt. „Am Wolfsberg müssten wir schon um die 20 Mal gewesen sein“, sagt sie und fügt hinzu: „Diesmal bin ich eigentlich nur Assistentin.“ Geleitet wird die Projektwoche von Lena und Janis. „Die beiden waren jahrelang in den verschiedenen Theatergruppen bei uns“, sagt Campbell Körner.
Theater machen – das bedeutet für die 20 jungen Leute: Nach dem Frühstück geht‘s los und nach dem Abendessen ist es noch nicht zu Ende. Die größte Herausforderung am Beginn eines Workshops ist es, alle in das Projekt zu integrieren. „Es gibt Teilnehmer, die noch nie dabei waren und welche, die sich und unsere Arbeit schon kennen“, beschreibt Campbell Körner. Besonders am Anfang ist beim Leitungsteam also Fingerspitzengefühl gefragt. Fragt man Lena und Janis nach den wichtigen Dingen, sprechen beide von Akzeptanz. „Akzeptanz ist das zentrale Element der Arbeit.“ Der Weg zum Darstellen beginnt mit Übungen – Aufgaben. „Da ist es einfach wichtig, sich nicht zu sperren.“ Akzeptanz, Integration, Kooperation.

Foto: Rüdiger Dehnen

 

Der Ursprng der Dinge

Dienstag, Tag zwei des Workshops. In Zweiergruppen sollen die Teilnehmer den Ursprung von Dingen erklären. Das ist die einzige „Spielanweisung“. Die Orte, an denen gespielt wird: frei wählbar auf dem Gelände des Wolfsbergs. Den Ursprung von etwas erklären – das klingt viel einfacher als es ist. Schließlich müssen am Ende – da ist es wieder – zwei Individuen ein Konzept entwickeln. Eine Geschichte erzählen und dabei – so ganz nebenbei – ein kritisches Publikum in den Bann ziehen. Wer kann schließlich kritischer sein als die eigenen Kollegen? Szenen wie die, die nun gespielt werden, sind Endpunkte – Ergebnisse. Aber sie sind auch Startpunkte. Alles, was die Teilnehmer spielen, wird aufgezeichnet. Sich selber in einer Szene zu sehen, ist oft die beste Manöverkritik.
Was da an jedem Tag passiert, ist Spaß auf der einen Seite, aber eben auch Anstrengung auf der anderen. Theater ist mehr – viel mehr – als ein Augenblicksgefühl. Theater ist – auch das lässt sich nachvollziehen – ein Handwerk. Werkzeuge sind Körper und Stimme. Nichts ist näher an der Seele.

Theaterparadox

Verfolgt man die Szenen, die da aufgeführt werden, kann man nicht nur den Akteuren beim Denken zusehen – auch das Publikum hat zu arbeiten. Theater ist immer auch Mitarbeit. Man muss das verstehen: Theater ist ein Prozess und nur wer auszuhalten in der Lage ist, dass es kein Ende gibt – dass sich immer noch etwas lernen lässt –, der kann auf der Bühne überleben: im Kleinen. Im Großen. Alle hier sind angereist mit einem Traum, einer Vorstellung – einer Angst vielleicht auch. Nur wer sich öffnet, wird zum Teil des Kollektivs. Je mehr man eintaucht in diese Herausforderung, auf die alle hier sich einlassen, um so größer wird die Hochachtung vor dem, was hier geleistet wird. Am Ende geht es um die Ausgewogenheit von Teamgeist und dem Durchsetzen der eigenen Vorstellungen. Rollen sind nicht aus sich heraus lebendig. Rollen sind Worte, die es mit Leben zu füllen gilt. Wer viel beobachtet, lernt viel über das Leben, aber Beobachten allein macht nicht lebendig. Theater bedeutet: Sich selbst auszuhalten – und die anderen. Sich selbst zu übertrumpfen. Und die anderen. Da liegt das Theaterparadox. Alle hier arbeiten am Zusammenwachsen.

Theaterspiele

Fragt man Yvonne Campbell Körner, wie sie empfindet, was da passiert, kommt viel Lob: „Die machen das ganz fantastisch“, sagt sie und meint sowohl ihre Teamkollegen als auch die Teilnehmer – 14 Mädchen und sechs Jungen im Alter zwischen elf und 19 Jahren. Das ist eine ziemliche Alterspanne. „Ja“, sagen Janis und Lena, „aber alle arbeiten super zusammen.“ Am Tag Drei des Workshops wird es unter anderem um Arbeiten mit dem Green-Screen gehen. Das ist eine Technik, die man vom Film kennt. Die Schauspieler agieren vor einer grünen (beziehungsweise blauen) Leinwand, die dann mit beliebigen Szenen „gefüllt“ werden kann. Da muss sich dann zeigen, wie jeder einzelne sich auf die wechselnden Umgebungen einstellen und mit ihnen spielen kann. Klar: Auch Spontanität ist wichtig und die Fähigkeit zum Improvisieren. „Abends spielen wir oft Theaterspiele“, erklärt Janis. Das geht vom pantomimischen Darstellen von Begriffen bis hin zu Rollenspielen, bei denen man die eigene Rolle nicht kennt. Lena: „Stell dir vor, du kommst in ein Geschäft und möchtest etwas umtauschen. Alle, die vor dir sitzen, wissen, was du da umtauschen willst, aber du selbst weißt es nicht.“ Das klingt nach Spaß. Ist es auch. Aber es steckt eben mehr dahinter. Aus der Reaktion der anderen lassen sich Rückschlüsse ziehen. Und auch darum geht es beim Theater: Empathie.
Am Ende denkt man, dass Theaterschule eigentlich Lebensschule ist. Das Leben ist Material. Am Ende des Workshops wird es – für Freunde und Verwandte – eine Vorstellung geben. Lena, Janis und Lucas kennen das Thema bereits. Die Teilnehmer wissen noch nicht, dass es am Ende „Zurück zu den Wurzeln“ (Back to the roots) gehen wird. Es ist der Tag zwei. Das Theaterleben steht noch am Anfang. Jetzt spielen die Gruppen ihre ersten Szenen – ernten Lachen und Applaus und werden sich später die Aufnahmen ansehen. 20 junge Leute auf dem Weg zur Bühne – Alice, Arthur, Ben, Joana, Joshua, Lilli, Lotta, Lucia, Luna, Mara, Marie, Mathilda, Moritz, Ruth, Salome, Samantha, Samuel, Sofia, Theresa, Tom – machen den Wolfsberg zu einem Energiespeicher und – spender der besonderen Art.

Die Dozenten;: Lucas, Lena, Janis. Foto: Rüdiger Dehnen

 

Theater im Fluss im Internet