Schreibkraft
Heiner Frost

Richard Schur: Zoom in

Richard Schur führt ein strenges Regiment. Wenn er malt, sind Flächen und Linien klar umrissen – alles wirkt, als sei es am Lineal entlanggewachsen.


Die Kranenburger Galerie Ebbers zeigt Schurs Malerei nicht zum ersten Mal. Man bildet sich ein, ein wenig in der Handschrift des Malers lesen zu können. Aber so sind die Künstler: Immer auf der Überholspur. Man blickt ihnen nach und wenn man den Punkt erreicht, an dem sie gerade noch zu sein schienen, sind sie längst wieder voraus.
Was ist anders am Schur dieser Tage? Schräg gelegte Linien fallen auf – Linien, die sich dem Parallelen entziehen. Und dann der Zoom: Was Schur jetzt gemalt hat wirkt wie das Einzoomen in den eigenen Kosmos. Aus den „Gruppenaufnahmen“ von Farben, Flächen und Linien sind jetzt „Portraitstudien“ geworden, in denen plötzlich den Außengrenzen eine weitaus größere Bedeutung zuzukommen scheint. Zusätzlich wird den so entstandenen „Solisten“ eine Ausdehnung spendiert. Konturen entstehen. Aus dem Ursuppen-Orchester entstehen Ensembles. Sie entstehen nicht nur durch das Austreiben der Malerei in den Raum – sie entstehen in und auf den Leinwänden, die zu Greifbarkeiten und somit Begreifbarkeiten geworden sind. Untergründe sind nicht spurlos übermalt sondern hinterlassen „Fingerabdrücke“. Es ist das Eintreten des Betrachters in die Welt jenseits der Leinwand. Man spürt dem Großen hinterher. Was vorher im Schutz der Leinwand entdeckt werden musste, offenbart sich jetzt unverhohlen als verselbständigtes Ursprungsbestandteil. Auf den großen Leinwänden findet Staffelung virtuell statt. Das Gehirn sortiert vorn und hinten. Verschwindet eine Farbfläche hinter einer anderen, sagt die Logik: Es gibt ein Davor und ein Dahinter.
Schurs kleine Ensembles sind wie ein simulierter Flug über die Leinwand. Was vorher gedacht war, scheint jetzt real. Farbe ragt aus der Wand – besetzt den Raum, der sie umgibt. Es ist der vemeintliche Perspektivwechsel, der den Dialog zwischen den virtuellen Räumen und der Erorberung des Wirklichen spannend macht. Man glaubt, in die Architektur der Bilder vordringen zu können – dem Maler hinterherzutauchen in die Grenzregion zwischen Bild und Gegenstand. Wenn man sich von den Ensembles zurück zu den Großaufnahmen dreht, spürt man eine veränderte Rhetorik. Jetzt hat die Fläche eine neue Grammatik. Die Gewichte sind anders verteilt. Es ist irgendwie wunderbar und löst die Zeitachsen auf. Man steht und staunt.

Foto: Rüdiger Dehnen