Schreibkraft
Heiner Frost

Rechnen geht aufs Haus

Charly kann Cobol

Charly beherrscht eine Menge Sprachen. Deutsch. Englisch. Niederländisch. Cobol. Bash. Pascal. Perl. Drei Semester VHS-Japanisch kommen noch dazu. Nicht alle Charly-Sprachen sind für Urlaubsreisen nützlich — es sei denn, man ist reif für die Insel: Rein virtuell, versteht sich.

Charly ist Security-Mann. Aber er misst keine einsfünfundneunzig und trägt keinen Colt im Halfter. Wenn sie im Kommunalen Rechenzentrum Niederrhein (krzn)  „Unser Charly“ sagen, reden sie eher nicht vom Affen oder samstäglicher Vorabendunterhaltung, obwohl Charly sehr unterhaltsam ist. Aber: Der Reihe nach …

Coming Out

Charly ist Baujahr ’73 und wurde in Donsbrüggen geboren. Da blieb er nicht lange. Es zog die Eltern in die große, weite Welt. Nach Kellen. Outsider brauchen Übersetzungsbeihilfe. Von Donsbrüggen nach Kellen, das ist der Umzug vom Arsch der Welt genau dahin, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Noch war Charly wie alle anderen Kinder auch. Dann kam sein neuntes Lebensjahr, und es kam: PET 4032. Man sagt, der PET 4032 sei ein Computer gewesen. Der PET 4032 verhält sich zum Computer wie die Draisine zum Carbonfaserrennrad. Mehr muss nicht gesagt werden. Trotzdem: Der PET 4032 veränderte Charlys Leben. Es war eine Art virtuelles Coming Out. Der PET war nicht Charly seiner, aber Charly war eine Art Mitbenutzer. Charly sprach Deutsch. Jetzt kam die erste Fremdsprache: Basic. Charly ging zur VHS. Das Szenario: The Kid trifft auf beschlipste Bänker. Das Ergebnis: The Kid geht als Sieger vom Platz.

Basic Charly

1985 schlägt Fortuna zu: Eine Verlosung beschert Basic-Charly den ersten Eigenrechner. Es ist das Rechentraumschiff der frühen Jahre. Vorname: Commodore. Nachname: 64. Die 64 steht für den internen Speicher. 64 KB.

Charly ist jetzt kurz nach zwölf und macht sich einen Namen: Er schreibt Artikel zum Thema Basic. Für Fachzeitschriften. Die Artikel bringen Kohle und Charly investiert. Längst hat er gelernt, den C64 zu tunen. Mit dem Lötkolben. Basic-Charly wird zum Abziehbild: Der Computerjunge Charly ist der Herr in seinem lichtfernen Keller-Universum mit seperatem Stromkreis. Die Eltern wollen nicht beim Fernsehen unterbrochen werden, weil unten der Bub mit Lötexperimenten für Kurzschlüsse sorgt.

 

„Willst du nicht mal in die Disco?“

Als Charly 14 ist, nimmt ihn der Vater zur Seite: „Junge, willst du nicht mal in die Disco?“ Sohnemann tut Paps den Gefallen und geht ins World-Center, Kleves erster Discoadresse. Charly ist begeistert. Nicht von der Musik oder den Mädels. Es ist die hypermoderne Laserlichtanlage, die es ihm angetan hat. „Voll fett“, würden sie wohl heute sagen.

In der Schule gehört Charly zu den Arbeitsbienen. Kein Glühwürmchen vom anderen Mathe-Stern. Bestenfalls Physikalisches kann ihn zu freiwilligem Tun reizen. Ein Abitur von der Stange. Aber in Sachen Computer (längst hat Basic-Charly zwei C64 verschlissen und ist auf Amiga umgestiegen) macht ihm so schnell keiner was vor. Die Fachgemeinde kennt den Artikelschreiber vom Niederrhein. Charly Kühnast. Kühn wie kühn und ast wie Ast.

Was tun mit dem post-abituriellen Leben? Charly bekommt Rat von einem Mathematiker. „Bewirb dich doch in Moers.“ (Gemeint ist das krzn.) Charly macht’s und — wird genommen. Noch wissen die nicht, dass sie auf einen wie ihn nur gewartet haben. Charly lernt offiziell Programmieren. Ein Jahr lang. Die Grundausbildung. Dann Studium. Sechs Semester an der Fachhochschule Duisburg. Das gehört zur Ausbildung. Und was wird studiert? Informatik? Von wegen. Charly lernt, was er ‚Jura für Arme‘ nennt. Übersetzung: Jura ohne Strafrecht.

In Sachen Fremdsprachen bildet er sich höchstselbst weiter und steigt auf. Zu Deutsch, Englisch, Niederländisch und Basic gesellen sich nun andere ziemlich lebendige Sprachen, die trotzdem nirgends gesprochen werden. Man braucht sie zum Programmieren, und sie heißen: C, Perl, Cobol, Bash. Zwischendurch drei Semester VHS-Japanisch. („In Japan würde ich schon die richtige Toilette finden“, beschreibt Basic-Charly seine Sprachkompetenz.) Ach ja: Charly ist, Insider wird es nicht wundern, ein Linux-Mann. Windows kommt bei ihm nicht in die Tüte.

 

500.000 Spams pro Tag

Längst ist er für die ‚innere Sicherheit‘ des krzn zuständig. Er ist der oberste Datenbeschützer: Er wehrt die Angriffe ab; er kennt sich aus mit den Tricks und Finten der Hacker. Dabei ist Charly doch selber einer. Er ist Mitglied im legendären Chaos Computer Club. Aber es gibt eben schwarze Hacker und weiße. Charly ist einer von den Weißen — den Guten. Sicherheitslücken in Systemen finden und darauf aufmerksam machen — darum geht es für die Guten. Wenn demnächst in Hannover zur Cebit geblasen wird, ist Charly dabei und wird Vorträge halten: Vorträge zum Thema Sicherheit. Man kennt ihn in der Security-Gemeinde. Der bunte Hund vom Niederrhein.

Wer die Sprechblase Charly ansticht, sollte sich Zeit nehmen. Der Mann hat viel zu sagen. Und: Der Mann kennt sich aus. Längst ist die Welt der Rechner zu seinem Paralleluniversum geworden, an- und abgefüllt mit demselben Freud- und Leidenspotential wie das wirkliche Leben, und Charly Kühnast ist so eine Art höchstentwickelter Türsteher an der Schwelle zur virtuellen Welt.

 

Paralleluniversum

Getreu nach dem Motto „Das Leben spiegelt sich im Rechner“ ist die unterste Stufe dessen, womit sich Charly befassen muss, das Feld der Spams. Wäre der Rechner ein Briefkasten, würde an diesem Feld stehen: „Bitte keine Werbung“. Spam ist nichts anderes als Werbepost. Hätte das krzn einen wirklichen Spam-Briefkasten — er müsste schon einen Tick größer sein, denn an einem ganz normalen Tag trudeln in Moers rund 500.000 Spams ein. „Die Spamer“, sagt Charly, „wollen Geschäfte machen. Sie sind lästig, aber nicht gefährlich.“ Charly muss wissen, was in den virtuellen Papierkorb kommt und was nicht. Das Schlagwort: Spamfilter. Spreu und Weizen. Auf dem Bereich des Email-Marketings (so klingt es vornehmer) werden Adressen in handlichen Millionenpaketen angeboten: Die Million Email-Adressen gibt’s schon für 8 Dollar. Wer mit Spams sein Auskommen sprich: ein geregeltes Einkommen machen möchte, braucht pro 10.000 versandter Werbebriefe (= Spam-Mails) einen Rücklauf. Die Rechnung: Aus 10.000 verschickten Mails muss ein Geschäft zustande kommen. Was die virtuellen Welt pro Tag an Spams ins Netz pumpt, würde —  engmaschig ausgedruckt — einen Papierstapel von der Entfernung Moers-Mond ergeben. In Moers sitzt Charly. In Moers sitzt das krzn. Rechnen geht aufs Haus. Sicherheit geht auf Charly.

Drei bis vier Portscans pro Sekunde

Während die Spamer also nur lästige Fliegen auf dem virtuellen Kuchen sind, gibt es natürlich auch Einbrecher. Mit denen ist nicht zu spaßen. Sie putzen die Rechnerklinken, bis sie eine offene Tür finden. Und wenn sie einmal drin sind im virtuellen Haus, ist die Sache nicht mehr lustig. Das Prüfen auf eine offene Tür im Netz wird Portscan genannt. Drei- bis viermal pro Sekunde findet dergleichen beim krzn statt. Kein Grund zur Sorge, wenn der Türsteher seine Schlösser im Griff hat.

Charly ist nicht nur die ‚Wach- und Schließgesellschaft‘ in Sachen Daten — er sortiert nicht nur die Werbepost aus, er ist auch der, der die potentiellen Angriffe abzuwehren hat. Kann man bei dieser Vorstellung nachts noch in den Schlaf finden? Charly kann. Denn so viel ist mal klar: Sicherheit ist kein Zufall. Bei einem wie Charly erst recht nicht.

Wo der Durschnittscomputer-Nutzer (Neudeutsch: User) sich mit dem Einschalten seiner Firewall oftmals in (trügerischer) Sicherheit wähnt, weiß Charly: Die Firewall ist nichts anderes als ein Türensystem: Auf oder zu heißt es da. Aber was durch die offene Tür ins Haus geschneit kommt, sollte man sich verdammt genau ansehen.

Während du schläfst, benutzt jemand dein Auto für einen Banküberfall

Das Schlagwort: Würmer, Viren und Trojaner. Wenn die sich auf einem Rechner breit machen, wird es ernst. Charly: „Früher wollten Hacker fremde Rechner mittels Viren zerstören. Heute ist die Sacher ernster, denn es geht um die Fremdsteuerung.“ Ein Rechner wird, ohne dass der Benutzer es weiß, von anderen ferngesteuert. Vergleich: Während du schläfst, benutzt jemand dein Auto für einen Banküberfall.

Hat ein Pirat erst geschafft, einen Rechner zu kapern, hilft auch die beste Firewall nichts mehr, denn: Dann ist längst der GaU eingetreten.

Je besser einer sich auskennt im Gehirn des Feindes — umso besser ist das. Charly kennt sich aus. Eitel ist er dabei keineswegs, denn auch in der virtuellen Welt gilt: Hochmut kommt vor dem Fall. Den Fall will Charly nicht erleben müssen.

Noch ein Spruch ist wichtig: Wer rastet, der rostet. Wer in der virtuellen Welt glaubt, dass er ausgelernt hat, unterliegt einem gewaltigen Irrtum. Es gibt Sachen, die älter sind als die Zeitung von gestern. Zum Beispiel das Virenwissen von vor einer Stunde. Und noch eins: Auch bei den Computern ist es wie im wirklichen Leben. So lange alles klappt, gibt es kein Lob. Aber wenn’s nicht klappt, meckern alle.