Schreibkraft
Heiner Frost

Novemberleuchten oder: Poems on Linoleum

Foto: Rüdiger Dehnen

Man steht auf – nach dem Gespräch … und dann ist da dieses Schwarz im Kopf. Da ist aber auch ein Gegenteil-Wort: Novemberleuchten. Und schließlich der Gedanke: Es ist nicht zu beschreiben. Man trifft am Schreibtisch ein und schreibt es doch. Es muss ja gehen. Es muss in Worte passen. Es muss hingewiesen werden.
Klaus Franken: Ja, denkt man, das ist einer, der als Geigerzähler am Leben teilnimmt. Es geht nicht um Instrumente. Es geht um Schwingungen. Strahlungen. Verstrahlungen.

Eine Untergangserzählung

„Hinkepott“ heißt Frankens neues Mappenwerk – Folge Vier der „Poems on Linoleum“. Franken ist einer, der mit Bild und Text jongliert – einer, der auf zwei Ebenen unterwegs ist und dann eine Dritte schafft, die – auch wenn‘s ausgezehrt klingt – mehr ist als die Summe der Einzelteile. „Hinkepott“ ist irgendwie eine Untergangserzählung – das im wahrsten Sinne des Wortes atemraubende Protokoll eines drohenden Untergangs, der unser aller Untergang sein könnte.
„Hinkepott“ ist eine Sprengladung in vermeintlich anbrechender vorweihnachtlicher Rührungszeit. Frankens Erzählung handelt nicht vom hoffnungsfrohgefährlichen Fünfvorzwölf. Frankens optisch-literarischer Geigerzähler meldet fünf nach zwölf. Eigentlich ist längst alles zu spät. Wir sind Umzingelte. Kriege und Katastrophen versperren die Wege.

„Mach doch endlich was, Mensch Gott“

Alles beginnt in Schwarzweiß. Ein Strichmännchen auf einem Haus, dem ein Bagger mit Abrissbirne zu Leibe rückt. Ist das Gott? „Mach doch endlich was Mensch Gott“ – das ist der letzte Satz am dem ersten von sieben Blättern. Franken droht nicht – er verlagert den Schrecken in die Köpfe der Zuschauer und Mitleser. Gut, dass der Künstler sich nicht zum Moralapostel aufschwingt und doch mehr ist als nur Zuschauer. Die Welt ist aus den Fugen – irgendwie: „Pferde gackern, Katzen bellen, Frösche schlackern mit den Ohren, Füchse sieht man Bäume fällen, Löwen in der Nase bohren“, beginnt der Text auf einem Blatt, das den Titel „Bumerang“ führt, und er endet so: „Fliegen singen Seemannslieder, wer kann die Welt jetzt noch versteh‘n, mein Bumerang kommt nicht mehr wieder, er hat dies Gedicht gelesen, und ist nun hin und weg gewesen auf wieder Wiedersehen.“
In der „Mittagspause“ „spricht wer von der Zeitenwende, ganz nahe schon der Schlachtgesang“. Man muss nicht klarer sprechen. Wer lebt, mitdenkt und -fühlt, weiß, was gemeint ist und weiß auch, was gemein ist.
Franken ist kein Essayist – und irgendwie ist er es doch. „In den Häusern ist jetzt kein Zuhause mehr“ – das ist einer dieser Sätze, denen man nichts entgegensetzen kann, weil sie von einer finalen Größe sind; weil sie romantisch zu sein scheinen und doch die Welt mit einem Federstrich entkleiden. Man denkt an Nietzsche: „Weh dem, der keine Heimat hat.“ Und: „Die Welt – ein Tor. Zu tausend Wüsten stumm und kalt.“

Das ganz große Weltentheater

Was Franken abliefert, ist nur vordergründig klein. Im Hintergrund von „Hinkepott“ kreist das ganz große Weltentheater. „Eine kleine Biene flog in die Ukraine mit einer Schreibmaschine …“ Da ist er wieder: Franken, der Geigerzähler, der über sich selber sagt: „Für das, was uns täglich an Nachrichten über fast unfassbare Ereignisse und Prozesse erreicht und zu schaffen macht, versuche ich Sprachbilder zu finden, die den Gedanken und Gefühle Räume mit besonderen Ein- und Ausblicken öffnen.“ Und was ist eigentlich „Hinkepott“? Ein Rückblick. Franken: „Das ist das Kreuz mit den sieben Feldern – ein Spiel, in engen Grenzen mit vorhersehbaren Schwierigkeiten und scheinbaren Unmöglichkeiten, das wir als Kinder so oft und gern gespielt haben.“

Zermahlen

Vieles, denkt man, wird von der Zeit zermahlen und dann zu Sand im Getriebe der Gegenwart. Frankens Hinkepott ist – zurück zum Anfang – ein Novemberleuchten in dunklen Zeiten. Bei aller Schwärze bleibt der Trost, dass da einer ist, der eine exakte Beschreibung zu liefern imstande ist: Es ist die poetische Beschreibung einer Umständlichkeit (das kommt von Umstand).Da hat einer kein Blatt vor den Mund genommen und aus der Welt einen Zustand extrahiert – und mit dem Zustand entsteht eine Zuständigkeit. Jeder tut, was er kann. Franken kann das: „Poems on Linoleum“.
„Hinkepott, 7 + 2 handabgezogene Blätter von mehrfarbigen Linolschnitten, Auflage: 22 nummerierte und signierte Exemplare“ ist zum Preis von 85 Euro in der Buchhandlung Hintzen in Kleve zu haben.
Lassen wir dem Künstler das letzte Wort: „Alle Wahrheiten sind auf der Flucht misshandelt.“