Schreibkraft
Heiner Frost

Mit Rummel ist zu rechnen

Ein Huhn ist verstorben. Keine große Sache, möchte man meinen. Hühner sterben zu Abertausenden. Sie werden zu Suppen, Ragout und was sich sonst noch essen und denken lässt. Dass der Tod eines Huhnes ein Landgericht beschäftigt – kaum zu glauben. Aber wahr. Das hier in Rede stehende Tier war – wie soll man sagen – kein Huhn von der Stange. Gerda (Name von der Redaktion geändert) war ein filmerprobter H-Promi. H steht für Huhn.

Die Mitteilung

22.11.2019 um 10:15 Uhr findet in Saal A 102 des Landgerichts Kleve zu Az. 5 S 25/19 eine Berufungsverhandlung statt.
 Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von rund 4.000 Euro. Der Beklagte ist Eigentümer und Halter eines Hundes, der am 04.06.2017 in Weeze anlässlich eines Sparzierganges ein Huhn gejagt und schließlich getötet hat. Hierbei soll es sich um ein speziell für Fernsehproduktionen ausgebildetes Huhn gehandelt haben. Das Huhn […] soll an Produktionen wie Wendy I, Drei Schwestern, Stern TV und Terra X mitgewirkt haben.
 Am 4.12.2018 hatte das Amtsgericht Geldern (Az. 17 C 148/18) der Klägerin lediglich einen Teilbetrag in Höhe von rund 300 Euro zugesprochen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung, der Beklagte sogenannte Anschlussberufung eingelegt.

Niedrige Beweggründe

Darum also geht es. Lassen wir die Menschen kurz außen vor. Was bleibt? Vielleicht eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Huhns? Oder hat der Hund das Huhn aus niedrigen Beweggründen zuerst gejagt und dann getötet? Der Pressesprecher des Landgerichts Kleve, Alexander Lembke, sieht alle Mordmerkmale erfüllt. Das wäre dann unter anderem auch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit?

Gerda hätte doch wissen müssen …. Lebenslänglich also für den Hund, dessen Name der Redaktion nicht bekannt ist. Klappe zu – Huhn tot. Wäre Gerda nicht prominent – die Geschichte hätte nun ihr Ende erreicht.  Jetzt aber geht es nicht mehr um Huhn gegen Hund. Die Halterin des Huhnes und der Hundehalter treten an und auf.

Eindeutig uneindeutig

Das Gesetz ist irgendwie eindeutig uneindeutig. Bürgerliches Gesetzbuch, Paragraph 90 a – Tiere: Tiere sind keine Sachen. [Hurra!] Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. [So weit, so gut, aber …]: Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Gerda und der Täter sind keine Sachen, aber auf sie anzuwenden sind die für Sachen geltenden Vorschriften.

Hühnerpreise

Www.huehner-hof.com setzt den Preis eines Huhnes bei zwischen 10 und 15 Euro an. Hier aber geht es um das 266-fache des Betrages an der Hühnergrundpreisoberkante. Natürlich – das Opfer scheint ein bekanntes, ein besonderes Huhn gewesen zu sein; kein anonymes Wesen aus Käfig- oder Freilandhaltung. Kein Küken, das man, weil es leider Hahn ist und nicht Huhn, mal eben zum Selbstkostenpreis schreddern oder vergasen kann. Gerda war anders. Gerda war kein Allerweltshuhn. Vielleicht hätte sie Karriere machen können. So richtig …

Mehr muss her

Wer würde schon Hunde essen oder Katzen? Die Beißhemmung menschlicherseits ist dem intimen Verhältnis zu danken, das wir Schweinen, Kühen und erst recht Fischen gegenüber nicht haben. Aber das ist eine andere Baustelle. Gerda ist tot. Der Täter wird, man muss kein Prophet sein, nicht wegen Mordes verurteilt und lebenslänglich in ein Tierheim verfrachtet werden. Man behilft sich anders. Der Hund wird gewissermaßen zum Kind und der Besitzer zu einem, der die Aufsichtspflicht verletzt hat. Jetzt lässt sich um Geld streiten. Auf 300 Euro war das Huhn in erster Instanz taxiert worden. Das, so scheint es, entspricht nicht dem Verkehrswert eines TV-Promis. Mehr muss her. Das „mehr“ bringt die zweite Instanz ins Spiel.

Tellertiere

Die Geschichte von Gerda lässt sich vermarkten. Sie ist absurd, irgendwie verrückt. Sie vereint das Tragische mit dem Komischen und macht am Ende die Entscheidung um die Höhe der Entschädigung zur Nebensache. Das Fernsehen rückt an. Quote ist in Sicht. Mit Rummel ist zu rechnen. Die Sache hat Unterhaltungswert. Und ja – auch dieser Text hat etwas mit Gerda und dem Rummel zu tun.

Mit den Tieren ist es wie mit den Menschen. Kennt man sie nicht persönlich, verlieren sie an Bedeutung und bleiben Tiere, die nach dem Gesetz zwar keine Sachen sind aber wie solche behandelt werden. Ihr Tod verkommt zur Nachricht. Wenn überhaupt. Tiere, die ohne Nachricht sterben, sind Tellertiere, Rohstofflieferanten oder ihre Leichen liegen einfach auf der Straße. Tot gefahren.

Gerda war kein Tellertier. Sie trat im Fernsehen auf, spielte aber – anders als Lassie, Fury, Black Beauty, Skippy, Flipper, Clarence oder Rex (der Kommissar) – keine Hauptrolle. Gerda scheint „in zweiter Reihe“ im Bild gewesen zu sein und war doch eine „Person“ des öffentliches Interesses. Man möchte gar nicht wissen, wozu der Halter eines Lassie-Mörders verurteilt werden würde.

Aus einem anderen Hühnerleben.

Ganz großer Bahnhof

Man hat schon einiges erlebt am Klever Landgericht. Skurriles, Tragisches, Unfassbares – das Ausmaß des Hühnerzirkus‘  allerdings stellt alles Gesehene locker in Schatten.

Berufungsverhandlung um den Tod des B-Promi-Huhns Gerda (Name von der Redaktion geändert). Landgericht Kleve, Freitag, 22. November, 10.15 Uhr. Es mögen über 20 Kollegen sein, die Interesse am Hühnertod haben. Warum auch nicht? So was schreibt sich flockig. Was interessiert uns die Welt, wenn ein Filmhuhn zu beklagen ist? 15 Meter weiter, im großen Saal des Landgerichts, wird wegen Gruppenvergewaltigung verhandelt. Was ist das schon, wenn um ein totes Huhn verhandelt wird?

Susi

Hühnerbesitzerin und Rechtsbeiständin ziehen die Register. Tatsächlich: In einem Tragekäfig haben sie ein anderes Huhn dabei. Es ist ein Seidenhuhn und heißt Susi (Name von der Redaktion geändert). Susi hockt anfangs medienunwirksam im Käfig – wird dann aber herausgeholt. Leider ist das Tier schwarz. (Da hat es also basal-medialer Beratung gemangelt, denn: Schwarz fotografiert sich schwer. Das hätte frau wissen sollen.)

Posing

Huhn, Besitzerin und Rechtsbeiständin posieren ab jetzt abwechselnd für die Kamera. Mal sind sie Trio, mal sind es Frauchen und Hühnchen. Die Kameraverschlüsse klicken. „Kollege, du stehst im Bild.“ Gibt es Steigerungen? Ja: Manche der Kollegen bitten darum, ein Selfie mit sich und den drei Damen machen zu dürfen.

Funktionen

In welcher Funktion ist die seidige Susi eigentlich erschienen? Opfer kann sie nicht sein – obwohl, wenn man‘s genau bedenkt, wird das Tier gerade geopfert und jeder darf sich ein eigenes Bild machen (auch im wahrsten Sinne des Wortes), welchen Interessen Susi hier „geopfert“ wird. Vielleicht mag sie‘s und übt bereits für die Filmlaufbahn.

Keine Chance für Mae

Im juristischen Sinne jedenfalls ist Susi (noch) nicht Opfer. Zeugin ist sie auch nicht. Vielleicht ist sie Gerdas Ex und hat eine Nebenklage angestrebt. Vielleicht repräsentiert sie das öffentliche Interesse oder sie ist als Interessenvertreterin der  Gesellschaft für ethischen Umgang mit dem Federvieh vor Ort. Meinen Hund jedenfalls, erfahre ich vom Pressesprecher, dürfte ich nicht holen und mitbringen. Dabei ist Mae (Name nicht geändert) längst auf den Prozess aufmerksam geworden. Schließlich hat „ein Kollege“ den Mord am Filmhuhn Gerda begangen. Trotzdem: Der Hund bleibt draußen. Das Gericht hat eine Hausordnung und solange ich Mae nicht als Blindenhund mitführe, wird sie im Hof warten müssen. Gut, dass die Sache mit Mae nicht mehr ist als ein Gedankenexperiment.

Vier Fragen

Gibt es noch ein Eigentliches? Ja. Da wäre die Anhörung. Fast hätte man’s vergessen. Vier Fragen wären zu klären : 1. War das getötete Huhn identisch mit dem Filmhuhn? [Über einen DNA-Test wird nicht gesprochen.] 2. Sind die Schadensansprüche hinsichtlich der Höhe berechtigt? 3. Trifft die Halterin der toten Gerda eine Mitschuld? [Ihr Grundstück war nicht eingezäunt, aber: das Huhn ist nicht zum Hund gekommen sondern der Hund zum Huhn. Niedere Beweggründe, Tötungsabsicht, Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit. Das alles sagt natürlich niemand. Es spielt sich nur im Berichterstatterhirn ab.] 4. Wie alt war das Huhn? [Auch das ist eine wichtige Frage, denn Hühner, Autos, Fußballspieler und so weiter verlieren mit fortschreitendem Alter an Wert. War also Gerda ein junges Huhn oder eines, das dem Tod schon ins Auge sah?]
Dass Klägerin und Beklagter gegen das erste Urteil in Berufung gingen, sei, sagt der Vorsitzende, zunächst einmal ganz allgemein, häufig ein Indiz dafür, dass es sich um ein gutes Urteil handele. Wohl gemerkt: Er sagt das nicht auf den Fall bezogen. Einfachnurmalsoganzallgemeingesprochen.

Fünf Minuten Ruhm

Im Dezember wird das Gericht eine Entscheidung bekanntgeben. Vielleicht sollte man schon mal Platzkarten bestellen. Wer weiß, welches Tier dann dabei sein darf. Das alles mag ja irgendwie komisch sein und unterhaltsam, aber am Ende wirkt es so, als würden hier die „five minutes of fame“ das treibende Element sein. Dass ein Huhn tot ist – eines, das von seiner Halterin geliebt wurde –, ist hier nicht zu merken. Vielleicht liegt der Tod schon zu lange zurück. Jetzt geht’s – so scheint es – um Inszenatorisches. Das hier – so scheint es – ist die ganz große Bühne. Oder man muss es als Comedy verstehen? Sati(e)re? Unterhaltung im besten Sinne. Vielleicht. Dann allerdings ist der Ort falsch gewählt.

Posthum

Über das, was Medienzirkus genannt werden kann, hat man einiges gelernt. (Man ist ja selber Teil davon.) Irgendwie war‘s wie beim königlich bayerischen Amtsgericht. Aber irgendwann ist auch Gerdas Tod eine Nachricht von gestern. Immerhin: Susi ist bereits auf der Bildfläche erschienen – einen Tag nach der Bambi-Verleihung. Und wer weiß: Vielleicht darf Gerda im nächsten Jahr mit einer posthumen Ehrung rechnen. Für alle Beteiligten gilt: Win win win.

Susis großer Auftritt. Foto: Janusz Grünspek