Schreibkraft
Heiner Frost

Freiheit ist immer denkbar

Michael

Michael Krönke ist stolz. Zwei seiner Arbeiten haben es in die Ausstellung geschafft.
„Mehr als Brot und Wasser“ steht auf dem Begleitheft zur „Knastkulturwoche“. Michael Krönke sitzt. Er sitzt in Geldern. Er macht dort eine Ausbildung zum Schweißer. Draußen hatte er schon zwei andere Ausbildungen. Er ist KFZ-Mechaniker und Berufskraftfahrermeister. „Den Meister gibt es mittlerweile nicht mehr. Das haben die abgeschafft.“

Die zweite Dimension

Jetzt aber geht es um die Kunst. „Ich habe früher mal ein bisschen gemalt, aber irgendwie konnte ich nur eindimensional. Dann bin ich hier in die Kunstgruppe gegangen und Frau Linßen hat mir gezeigt, wie man das Räumliche in die Bilder bringt.“
Frau Linßen heißt vorne Ariane und ist – so steht es auf der Webseite der Vollzugsanstalt – „Oberlehrerin – zuständig für die schulische Ausbildung von Gefangenen, die Durchführung von Liftkursen und die Betreuung von Gefangenen der Fernuniversität“ (Letzteres steht da wirklich). Aber Frau Linßen kümmert sich eben auch um die Kunstgruppe. Man sieht ihr an, dass sie stolz ist auf das, was da in einer ehemaligen Dienstwohnung der JVA zu sehen ist: Bilder, Zeichnungen, Plastiken, Objekte. Auch der Staatssekretär ist gekommen und verleiht dem Anlass äußere Würde. Merke: Die eigentliche Würde wohnt in der Kunst.

Schwerkraft außer Vollzug

Kunst im Knast, das merkt man beim Betrachten, setzt Schwerkraft außer Vollzug. Im Bild ist Freiheit immer denkbar – und dann wieder doch nicht. Wer von Freiheit malt und spürt, dass er sie nicht hat …
Auf einem Plakat steht: „Die Kunst macht frei.“ Wie wichtig unwichtige Worte sein können, denkt man. Es gibt nur ein unwichtiges Wort in diesem Satz. Lässt man es weg, werden andere Assoziationen frei.

Michael Krönke.

Der Duft des Lebens

„Beim Blättern in dem Buch voller Bilder, die mein Leben ergeben, sehe ich manches nur noch verblassen, anderes wiederum in einer solchen Klarheit, als würde es in diesem Augenblick geschehen. Und mit jedem Ereignis ist ein Geruch verbunden.

Die stämmige Kiosk-Besitzerin, die sich neben dem Verkauf auch auf das Restaurieren alter Möbel verstand und immer irgendwie nach Tannennadeln roch. Sie drückte mir einmal aus ihrer Kasse Geld in die Hand, damit ich ihr Konzertkarten aus der Stadt mitbringen konnte. Wenn ich heute daran zurückdenke – was für ein Vertrauen.

Der Geruch, als ich meine erste eigene Wohnung aufschloss, staubig, aber gewürzt mit einer Note von Freiheit und Abenteuer.

Dieser Cocktail aus Sand, Meer, kalter Kamin-Asche, muffeligen Socken und Chlor, der einem entgegenwehte, wenn man ein schwedisches Ferienhaus betrat.

Das Bier, das aus der Flasche floss, die meine Mutter an dem Kopf meines Vater zerbrach, nachdem er ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen und ihr Auge getroffen hatt. Irgendwie süßlich und bitter zugleich.

Der Gestank der ätzenden Sterilität in dem Krankenhauszimmer, in dem meine Mutter an Krebs starb.

Die vom Regen durchnässte Erde am Grab meiner Frau und unserer Kinder, die gemeinsam tödliuch verunglückten. Modrig und sumpfig.

Aber es gibt einen Geruch, der mir mehr als jeder andere in Erinnerung ist. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee, der durch die Etagenwohnung säuselt, in die meine Mutter mit uns gezogen war, nachdem uns endlich die Flucht vor unserem gewalttätigen Vater geglückt war. Dieser Duft, der für mich mehr als alles andere für Freiheit steht.

Und auch heute noch lässt mich dieser Duft an Freiheit denken. Er lässt mich die Gitter meiner Zelle vergessen. Ich weiß, dort hinter der Mauer wartet mein neues Leben und wenn ich dann den Kaffee genieße, wird mir wieder klar: Es gibt ein Leben vor dem Tod.“

 

So steht es auf einem Blatt, das in einem Rahmen an der Wand hängt. Man findet das gezeichnete Portrait von Mutter und Kind – das Draußen hat Gestalt angenommen. Man findet eine Spinne im Netz – dahinter ein roboterhaftes Wesen, reduziert auf das Vorhandensein: Das Drinnen bricht sich Bahn. Man möchte mit den Menschen sprechen, die all das geschaffen haben. Man möchte ihre Geschichten hören und Ängste und Sehnsüchte teilen. Man möchte mehr Einblick, aber die Ausstellung ist, war nur zwei Tage zu sehen. Viel zu kurz. Viel zu schade. Es ändert nichts an Michaels Stolz. „Schicken Sie mir den Text?“ Gemacht.

Ein Gedicht

Vielleicht – zum Abschluss – ein Gedicht von der anderen Seite der Stäbe.

Ewig

Unendlich schleicht die Zeit

um die Welt in allem Leben so scheint sie mir unendlich weit

als hätt‘ sie nichts zu geben.

Wie die Zeit den Baum entlaubt

und ihm keine Blüte lässt

so hat sie mir die Welt geraubt

und hält mich ewig in sich fest.

Hält mich ewig an einem Ort

an dem das Leben nicht leben will

meines bleibt und kann nicht fort

ist taub und stumm, ist ewig still.

Der Text stammt aus der Ausstellung „Drinnen und draußen“, die kürzlich in Neuss zu sehen war und ebenfalls Kunst von Gefangenen zeigte. Autor ist Mekin Oynak.