Schreibkraft
Heiner Frost

Lampenfieber ist immer

Foto: Rüdiger Dehnen

Und das mal gleich vorneweg: Die Texthänger in der Bütt – kein Stilmittel. Nicht geplant. Nervensache. Das wollte sie mal gesagt haben. Jetzt ist es raus. Jetzt steht es da. Papier ist geduldig.
Ulla Lohmann schweigend? Das verursacht Denkschmerz. Auch ein Gottschalk wäre als Stillleben eher eine Trostlosigkeit. Der einzige Unterschied: Der Gottschalk hat aufgehört. Ulla nicht.

Muss man Ulla erklären? Nun ja – außerhalb von Kranenburg vielleicht. Kranenburg ist eine der Hauptsachen in ihrem Leben. Immer hier geblieben. Nie woanders hin gewollt. (Es hat was mit dem Zwischenmenschlichen zu tun.) Einziger Betriebsunfall: Ulla arbeitet bei der Stadt Kleve. Seit 36 Jahren. Aber allabendlich ist sie zurück. Das macht es aushaltbar.
Ulla ist Arbeitsbiene. Auch das gehört erklärt – freilich (wieder) nur für einige Nicht-Kranenburger und gegebenenfalls für Karnevalsunkundige. Die Arbeitsbienen sind eine Abteilung der Karnevalsgesellschaft Krune Kroane. Die Arbeitsbienen besorgen den Sitzungskarneval – das, was sie in Kranenburg bunte Abende nennen. Wer Termine möchte – bitte sehr: 10., 11. und 18. Februar im Bürgerhaus. Und jetzt am besten gleich wieder vergessen, denn es ist wie üblich ausverkauft.
Zurück zu Ulla. Ulla ist in der Bütt. Und singt. Als Ulla mit dem Karneval anfing, war sie nicht mal im Verein. Auch eine Möglichkeit, dem „ausverkauft“ zu begegnen. Sie kam rein in den Saal. Zuerst hat sie gesungen – Duett mit Heinz Peters, später und bis jetzt mit Nöppi (Norbert Cloosters.) Das Rezept: Die beiden suchen sich bekannte Lieder („Fetzig müssen die sein“) und texten sie dann um. Zum Beispiel: „Aber bitte mit Sahne.“ Was sich dann im Text abspielt, ist natürlich – wie soll man schreiben – lokal angebunden. Drei Lieder bereitet das „Kranenburger Gesangsduo“ für jede Session vor. Und – da haben wir‘s – auf nichts ist Verlass: Heuer sind es vier. Das hat mit dem „Fliegennotstand“ in einem Dorf mit ‚Z‘ zu tun, der irgendwie noch ins Programm solltemusste. Alles andere: „Besser nicht verraten.“ Wird gemacht.
Die Ulla singt aber nicht nur – sie geht auch in die Bütt. Im Duett. Jahrelang hat sie zusammen mit Elisabeth Schneiders zusammen gespielt. „Leider, leider hat die Elisabeth aufgehört.“ Die beiden waren, das darf man sagen, eine Landmarke des Kranenburger Sitzungskarnevals. Auf der Bühne hießen sie „Bät und Tres“. Das liest sich unauffällig. Aber wenn Ulla (sie war die Tres) – wenn Ulla „Bät“ sagt, dann fragt man sich, aus welcher Region des Hinterhalses sie das „ä“ abruft und zu einer Breite heraufveredelt, die an ein niederrheinischherbstnebeliges Kartoffel- oder Kappesfeld erinnert. Überhaupt: Karnevalssprech bedeutet für Tres: Mundart. Mit „Bät“ (da ist es wieder – das Feld) hat sie die Bühne unsicher gemacht. Ab und an kam es dann vor („Vielleicht drei oder vier Mal in all den Jahren und nicht pro Abend“), dass der Text nicht wollte, wie Tres. Daraus haben sich Mythen entwickelt. Die Sage will, das Ulla – also Tres – überall Zettel anbrachte, um den Kontakt zum Text zu garantieren. (Hat das nicht Monroe so gemacht?) Tres sagt: Das mit den Hängern … aber das hatten wir ja bereits.
In diesem Jahr wird sie allein auf die Bühne müssen. Bät ist nicht mehr dabei und Aufhören ist für Ulla/Tres keine ernst zu nehmende Option. Angst? „Und wie.“ Das Schlimme: „Es wird ja nicht besser nach dem ersten bunten Abend.“ Manchmal ist eher das Gegenteil der Fall. Was soll man sagen? Musse duirch.
Wo waren wir? Genau – in diesem Jahr wird Ulla es alleine machen. Gibt es eigentlich ein Mittel gegen das Lampenfieber? Ulla kommt mit zwei L um die Ecke: „Laufen. Labern.“ Klartext: Am bunten Abend gibt‘s Kilometergeld oder jede Menge reden mit jedem, der nicht bei drei woanders ist. Still sitzen ist nicht das Mittel der Wahl. Ulla ist allerdings keine von denen, die sich vom Lampenfieber in die karnevalistische Frührente treiben lassen. Im nächsten Jahr muss sie übrigens nicht mehr allein raus. Die Lösung: Wo sie schon mit Nöppi so gut zusammen singt, werden die beiden es auch in der Bütt als Duo versuchen.
Ulla ist eine, der man abnimmt, dass sie für den Karneval lebt … und vom Karneval. Nein – es geht nicht um Geld. Es geht um Seele. Vor ein paar Jahren gab es schlechte Nachrichten für Ulla. „Schreiben Sie das nicht“, sagt sie. Aber dann sage ich, dass genau das unverzichtbar ist, um sie zu erklären. „Dann schreiben Sie‘s“, sagt sie. „Weiß doch sowieso jeder hier.“ Also: Ulla erkrankte schwer. Das ist eine der Formeln, von denen man weiß, was sich hinter ihnen verbirgt. Krebs. Bei Ulla war`s ein Knoten in der Brust. Ulla erzählt davon und bleibt in ihrer Fröhlichkeit. Sie hatte da also diesen Knoten getastet, aber: Erst mal die Session. Dann die OP. Dann das Ergebnis: Bösartig. Ullas beste Medizin: In der nächsten Session stand sie wieder auf der Bühne. „Und sie glauben nicht, wie wichtig das für mich war.“ Doch. Das glaube ich. Es ist zu spüren. Ihre Perücke, die sie nach dem Haarausfall infolge der Chemo trug, nannte sie „Uschi“.
Während Ulla erzählt, kritzele ich einen Satz in meine Kladde: „Wenn du wissen möchtest, wie schön das Leben ist, ruf bei Ulla an. Sie hat‘s drauf.“ Natürlich läuft nicht immer alles rund, aber Ulla ist ein Stehauffrauchen (Darf man das schreiben? Ja.) Sie ist eine, die dir glaubhaft versichert: „Wenn bunter Abend ist und der Prinz einmaschiert, dann stehe ich da und hab‘ Gänsehaut.“ Und die Gänsehaut wird pantomimisch begleitet: Armhärchen stellen sich – so zeigt sie – zu Weizenhalmhöhe auf.
Und wenn Sie in diesem Jahr allein in die Bütt klettert, wird sie – wie in jedem Jahr – ihr Lampenfieber mitnehmen. Und so viel steht fest: Wenn‘s einen Hänger gibt, ist der nicht geplant. Das musste mal gesagt werden.