Schreibkraft
Heiner Frost

Kommentar zur Weltliteratur

Sjef van der Linden. Foto: Rüdiger Dehnen

Da war diese Idee: immer schon. Sie haustethrontespukte in Sjefs Kopf. Jahrzehntelang. Sie ließ keine Ruhe. Vielleicht ließ sie sich – zwischenzeitlich jedenfalls – ruhigstellen, aber immer nur, um zurückzukehren. „Du wirst mich nicht los“, das war die Botschaft.

Anfachung

Sjef van der Linden steht auf der Bühne. Am Deckenhimmel hängstschwebt ein kleines Flugzeug. Auf einem Tisch: eine Rose. Ahnungsingangsetzungen. Am Mischpult regiert Rinus Knobel: Licht, Töne, Bilder. Er und Sjef proben einen Kommentar zur Weltliteratur: Es ist ihr Kommentar zu einem der vielleicht berühmtesten Bücher des 20. Jahrhunderts: Der kleine Prinz.
Kunst ist Anfachung, Funkenflug. Sjef van der Linden wollte immer schon diesen kleinen Prinzen auf die Bühne bringen. Ein Monolog sollte es werden – was eigentlich nicht stimmt, denn van der Linden spielt zwar Einmanntheater – so viel ist richtig –, aber Monolog: Das wäre dann Auslegungssache. Er wolle, sagt der Mann auf der Bühne, der nicht Sjef ist, sondern diese andere Figur – eine Geschichte erzählen, die lange nicht erzählt wurde. Alles beginnt mit dieser Zeichnung eines Hutes. Fast beuysig kommt der Hut daher. Aber: Was der Mann auf der Bühne ins Publikum zeigt, ist, sagt er, kein Hut. Es ist die Zeichnung einer Riesenschlange, die einen Elefanten verspeist hat. Nichts ist wie es scheint.

Außerkraftsetzungsmanufaktur

Niemand ist, wer zu sein vorgibt. Das steht schnell fest. Theater ist Ahnung und: Theater kann zur Außerkraftsetzungsmanufaktur werden. Was Van der Linden und Knobel proben, ist ihr Extrakt des kleinen Prinzen – irgendwie eine Fußnote, die aus dem Kopf kommt. Es ist, sagen die beiden, schon die 28. Fassung. Literatur zu Theater umzubauen ist Übersetzung. Alles muss in die Verwirklichungszentrifuge. Dann wird geschleudert. Weichteile lösen sich auf – Strukturen setzen sich ab und durch.
Man kanndarf Theater nicht erklären. Das wäre Raubbau am Wunderbaren. Van der Linden und Knobel – und irgendwie auch Crischa Ohler, die nicht mitspielt, aber mitdenkt und mitstrukturiert – machen sich auf die Suche nach dem inneren Kind. Ein Pilot; eine Notlandung; eine Wüste; ein Prinz; eine Bitte: „Zeichne mir ein Schaf.“ Das Große im Kleinen ist das Kleine im Großen.

Keine Warnung

Man müsse, heißt es nach der Probe, vielleicht eine Warnung aussprechen. Das Stück: ein Monolog. 60 Minuten. Das müsse man Kindern vielleicht sagen. Nein. Muss man nicht. Das ist doch das Wesen des Theaters: All das spielt keine Rolle. Es ist die Rolle: die Theaterrolle. Wer sagt wann was zu wem? Unwichtig. Wichtig ist nur, dass auf der Bühne das Leben sich selbst in die Zange nimmt – infragestellt – neuerfindet.
Eben das passiert: Es braucht nur Kulisse, Licht, Töne und die Akteure – den Akteur. Niemand muss gewarnt werden. Hardcoreprinzenfans vielleicht. Was da auf der Bühne sich selbst zum Tragen bringt, ist nicht die Einzueinskopie eines Klassikers. Da sitzt nicht jemand und liest aus einem Buch. Da spielt jemand die Idee aus einem Buch. Da wird Auferstehung mit anderen Mitteln gefeiert. Da hat 1943 ein Mann ein Buch geschrieben und das hier ist jetzt das Ergebnis – ein Ergebnis des Funkenfluges. Der kleine Prinz zeigt eindrucksvoll, dass ein Buch nicht Buch bleiben muss – dass Gedanken sich fortsetzen in anderen Köpfen – dass aus einem Wunder der Buchstaben ein Wunder ded Handelns mit anderen Mitteln werden kann.

Theaterbeipackzettel

Und was stünde auf dem Theaterbeipackzettel? Nichts erwarten, alles bekommen. Wer auf der Suche nach der getreuen Bühnenwerdung eines Klassikers ist, könnte Schiffbruch erleiden und würde dem, was da auf der Bühne Theaterwirklichkeit wird, nicht gerecht werden. Der kleine Prinz – das ist eine sechzigminütige Erlebniseintauchfahrt für ein Publikum ab acht Jahren.

Termine:

Premieren finden am Samstag, 30. Okober (18 Uhr) und Sonntag, 31 Oktober (16 Uhr) im Theater mini-art, Brückenweg 5, in Bedburg-Hau statt. Weitere Vorstellungen: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag (2., 3., 4., und 5. November – jeweils um 10 Uhr).

mini-art im Internet