Schreibkraft
Heiner Frost

In Pakistan ist doch kein Krieg

Logo: Wolfgang Stenmans

Wäre man Fotograf für „Schöner Wohnen“ – man würde sich andere Objekte suchen als das Zuhause von Waqas Ahmed.

Die Luftlinie von der Rückwand der Wohnung zur Bahnlinie Krefeld-Kleve – es mögen acht Meter sein. Werktags bedeutet das: Züge im Halbstundentakt. Man darf nicht hellhörig sein oder feinfühlig – aber das ist eine andere Geschichte. Waqas Ahmed sitzt am Tisch in der Flüchtlingsunterkunft – vor sich ein Buch. Er muss lernen. Die schriftliche Prüfung findet am 8. Mai statt. Das Ziel: Lagerist. Aber das Lernen fällt Ahmed schwer. Es fehlt an Konzentration, und – so viel sei gesagt: Es liegt nicht an den vorbeiratternden Zügen. Es liegt an der Ungewissheit. Ahmed ist Pakistani. Er ist 25 Jahre alt. 2015 ist er nach Deutschland gekommen. Die „Reise“ führte vom Iran über die Türkei, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Reise – das muss man in Anführungszeichen setzen. Es könnte sonst nach Erholung klingen oder Bildungsurlaub.

Vermisst

Ahmed hat in Pakistan Journalismus studiert. Er hatte „Probleme mit der Politik“. Ahmed geht nicht auf Details ein. Er erzählt, dass es seinem großen Bruder ähnlich ging. „Der war irgenwann weg – wie vom Erdboden verschluckt. Wir wissen bis heute nicht, was mit ihm ist, wo er ist, ob er noch lebt.“ Nach so einem Satz fragt man nicht weiter. „Auch mir hat man mit dem Tod gedroht“, sagt er und er sagt auch, dass die Mutter ihm riet, die Heimat zu verlassen. Dass einer um sein Leben bangt, sollte, denkt man, Grund genug sein für das Verlassen der Heimat, der Familie, der Freunde. Trotzdem gibt es hier ein Problem. „In Syrien ist Krieg – das wissen hier alle. Aber in Pakistan? ‚In Pakistan ist doch kein Krieg‘, sagen sie“, sagt Ahmed. Das ist der Grund für die Konzentrationsprobleme. Das ist auch der Grund dafür, dass er zunächst einmal keinen Sprachunterricht bekam. „Ich habe dann eine deutsche Familie gefunden, die mir sehr geholfen hat. Die haben auch für meinen Sprachunterricht bezahlt.“ Wir schaffen das, denkt man und dann wird klar, dass kaum ein Satz in den letzten Jahren in der Wahrnehmung der Menschen einen drastischeren Absturz erfahren hat.

 

Vor dem Nichts

„Ich muss ständig daran denken, dass ich jederzeit abgeschoben werden kann“, sagt er. „Ich habe doch alles getan“, sagt er. „Ich habe Deutsch gelernt, habe die Prüfungen gemacht, habe mich um Arbeit bemüht und mache jetzt eine Lehre. Aber ich habe keine Papiere.“ Ahmed hat Angst vor der Abschiebung. „Was soll ich dann machen? Ich will nicht irgendwoanders wieder von vorne anfangen. Ich will nicht wieder eine andere Sprache lernen.“
Nicht wieder vor diesem Nichts stehen, denkt man. Es reicht doch, dass einer in Pakistan Journalismus studiert hat und hier Lagerist wird. Was wäre der Wunsch: „Ich würde gern Polizist werden. Aber ich habe keinen deutschen Pass und bin kein EU-Bürger.“ Immerhin: Zeit wäre noch. Ahmed ist 25 und in Nordrhein-Westfalen ist das Höchstalter für eine Bewerbung bei der Polizei 37. Das würde also reichen.

Airport Shuttle

Aber erst einmal kommt die Lageristenprüfung und dann muss es mit den Papieren klappen. Die schwärzeste Vorstellung: Sie holen ihn, um ihn abzuschieben. Die Nachbarn hat er kommen und gehen sehen. „Ich möchte bleiben“, sagt Ahmed. Den Führerschein möchte er machen, eine eigene Wohnung haben und irgendwann eine Freundin. Familie? „Darüber kann ich nicht nachdenken“, sagt er.
Was passiert eigentlich, wenn ein Pakistani auf einen Inder trifft? Die Länder sind wohl das, was man Erzfeinde nennen würde. „Kein Problem. Hier in Deutschland sind wir alle gleich. Da spielt die Politik in Indien und Pakistan keine Rolle.“
Draußen rauscht ein Zug vorbei. Am Bahnsteig ein Schild: Airport Shuttle. Ahmed will zu keinem Airport. Er möchte bleiben. Arbeiten. Ein Zuhause haben.