Schreibkraft
Heiner Frost

Herr Z. sieht es anders

Herr X. hat ein Video gepostet. Na und? Das tun andere doch auch. Jetzt steht er vor Gericht: Volksverhetzung wird ihm vorgeworfen. Herr X. ist Jahrgang 1957.

Zutiefst rassistisch

Und dann ist da Herr F. – ein junger Mann. Keine 30. Er hat das Video auf X.s Facebook Account gesehen und Anzeige erstattet. Das Video, daran besteht für F. kein Zweifel, spornt zum Hass an und ist zutiefst rassistisch. Seine Stimme bebt, als er das sagt.
Was ist zu sehen? Zuerst einmal die USA. Da breiten sich schwarze Spielfiguren aus, verdrängen weiße Spielfiguren. All das setzt sich in der Welt fort. Das Ganze mit Gutelaunemusik unterlegt – und dann wäre noch von einem Subtext zu reden. Eigentlich sind es zwei Subtexte. Der eine entsteht im Kopf, der andere ist quasi ein Generaluntertitel. Unter den Bildern liest man: „Diversity = White Genocide“. Diversität wird also mit Völkermord gleichgesetzt: Völkermord an „den Weißen“.

Gewaltszenen

Zurück zum Video: Nachdem die schwarzen Figuren das „Spielfeld übernommen“ haben, sind Gewaltszenen zu sehen: Menschen dunkler Hautfarbe (es sind meist immer Männer) schlagentretenprügeln auf Menschen mit weißer Hautfarbe (es sind meist Frauen) ein. „Diversity = White Genocide“.
Herr Z. – er sitzt laut eigener Aussage in verschiedenen Ausschüssen einer Stadt im Kreis Kleve – offenbart Bildungslücken. „White Genocide“ – er weiß gar nicht recht, was das bedeutet. Er sei, sagt er, aus der DDR. Aha. Gibt es dafür Gnadenpunkte? Haltstopp: Jetzt nicht sarkastisch werden. Herr Z. jedenfalls hat ein Video (es ist nicht von ihm erstellt) gepostet, ohne zu wissen, was der Text unter den Bildern bedeutet. Er hat den Begriff ‚White Genocide“, sagt er, erst nachschlagen müssen. Das wirkt ein bisschen wie in schlechten Western, wo mitunter erst einmal geschossen und erst nachher gefragt wird.

Grundrechte

Es geht bei der Anklage gegen ihren Mandanten – Z.s Anwältin lässt darin kaum Zweifel – um ein demokratisches Grundrecht. Es geht um die Freiheit von Meinung und – bitte jetzt mal kurz die Augen schließen: Kunst. Das Video hat wenig bis nichts Künstlerisches. Man darf das sagen und möchte diese Äußerung natürlich als rein subjektiv verstanden wissen. Es geht, sagt Z.s Verteidigerin, darum, dass einer seine Meinung kundtut und Meinungsäußerung wird doch wohl noch möglich sein. Meinungen, sagt sie, müssen nicht gefallen. Das kann man (natürlich!) unterschreiben. Immer wieder spricht die Verteidigerin davon, dass ihr Mandant nichts von der „ungezügelten Einwanderung“ nach Europa halte. Darum gehe es. Komisch: In dem Video ist davon irgendwie nicht die Rede.

Grundgesetz

Die Meiungsfreiheit – ein Blick ins Grundgesetz, Artikel 5: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Feind-selig

Das von Z. geteilte Video sei mitnichten ein Anreiz zu feindseligem Verhalten [was ist das eigentlich für eine Kombination: Feind selig?] gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe. Es handele sich, sagt die Verteidigerin, um ein überspitztes Video zur Einwanderungspolitik. Irgendwann fällt auch der Begriff Satire. Aha. Das also fällt in die Sparte „satirischer Kommentar“? Witzig ist all das eher nicht. Man verspürt eher Zynismus und – vor allem beim Zusammenschnitt der Gewaltexzesse – Menschenverachtung.
Niemand sollte – Hautfarben spielen keine Rolle – andere Menschen schlagentretenerniedrigen. Dieser zweite Teil des Videos kann nicht als überspitzter Kommentar zur ungezügelten Einwanderung gesehen werden, den man aushalten muss.

…aber die anderen

Im Fernsehen müsse man – so die Verteidigerin – auch Verletzendes anhörensehen: Da würden Menschen mit weißer Hautfarbe zur Zielscheibe. Sie zitiert aus einer Sendung von Markus Lanz. Man wusste noch gar nicht, dass vor deutschen Gerichten neuerdings so argumentiert wird: „Herr Richter, mein Mandant hat einen Fehler gemacht, aber andere machen auch Fehler.“ Diese Rede wurde – nur damit das klar ist – vom Schreiber dieser Zeilen frei erfunden. Niemand hat die Absicht, die Meinungsfreiheit einzumauern.

Aushalten

Klar: Jeder muss Meinungen aushalten, die nicht kongruent sind mit der eigenen. Aber es ist das alte Lied vom Wie.
Herr Z. wird verurteilt: 150 Tagessätze zu je 40 Euro wird er zu zahlen haben. Der Vorsitzende sieht die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten. „Da sind Gewaltexzesse einfach hintereinandermontiert – zusammenhanglos. Niemand wird über die Hintergründe der gezeigten Taten informiert.“ Im Hintergrund aller Bilder ständig die Untertitelung: „Diversity = White Genocide“.

Recht zur Kritik

Natürlich hat Herr Z. das Recht, die Einwanderungspolitik in seinem Land kritisch zu sehen, aber was da gepostet, respektive geteilt wurde, ist eben kein Kommentar zur Einwanderung. Nicht einmal das Wort Einwanderung taucht irgendwo auf. Dass Herr F. die Aktion von Z. als menschenverachtend und „zutiefst rassistisch“ sieht und deswegen Anzeige erstattet hat, spricht für eine Art der Aufrechtigkeit, die Respekt abnötigt.
Natürlich muss Meinung ausgehalten werden. Dass es auch Menschen gibt, die sich im Recht glauben und sich dann das Recht nehmen, andere zu diffamieren, ist schlimm genug, aber eben kein Argument. Dass einer angibt, die Untertitel eines Posts, den er geteilt hat, nicht verstanden zu haben, klingt – mit Verlaub – mindestens vorgeschoben.

Herausgepickt

Das Video, so der Richter in seiner Urteilsbegründung, sei dazu angetan, Hass zu schüren. Da habe sich jemand bewusst nur ganz bestimmte Gewalttaten herausgepickt und nichts zu deren Hintergrund erklärt. Bis zu fünf Jahre Haft hätte Z. sich einfangen können. Dass es bei einer Geldstrafe geblieben ist, liegt auch daran, dass Z. bisher nie in Erscheinung trat. Keinerlei Vorstrafen.
Zwei Stunden vorher: ein ähnlicher Fall im selben Saal: Auch Frau B. hat etwas gepostet, von dem sie nachher behauptet, gar nicht gewusst zu haben, worum es gegangen sei. Nein, sie leugne den Holocaust nicht, aber dass „der Jude Schuld sei an Corona“ – das war Teil des Posts. Sie habe, sagt sie, den Begriff Holocaust erst einmal googeln müssen. Wieder einmal ist zuerst geschossen und dann gefragt worden. Unwissenheit, gibt der Vorsitzende der Frau mit auf den Weg, schütze vor Strafe nicht. Auch sie wird wegen Volksverhetzung verurteilt.
Zurück zu Herrn Z.: Er sollte sich mehr Gedanken darüber machen, wie er seine Meinung kundtut. Die Würde, die man für sich beansprucht, muss man anderen entgegenbringen. Nur so kann es funktionieren.

Der Paragraf 130 StGB: Volksverhetzung