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Heiner Frost

Günther Zins: Die Überwindung der Schwerkraft

Foto: Rüdiger Dehnen

Vielleicht sollte das Museum Kurhaus eine Performance veranstalten: Einen Künstler einladen, der den Besuchern die Haare schneidet und dabei die Kunst erklärt. Kurhaus-Chef Harald Kunde setzt dann doch lieber auf die „Variante Hoffnung“.

Pandemie und Beuys

„Es gibt ja einiges, was wir uns in diesem Jahr vorgenommen haben“, sagt er. Zunächst aber soll die aktuelle Ausstellung „Freischwimmer“ bis zum 25. April verlängert werden. Die häufig gelesene Formulierung „Wegen des großen Interesses“ wird wohl unterbleiben. Andererseits: Interesse ist doch da. Es lässt sich nur nicht befriedigen, solange die Museumstüren geschlossen bleiben (müssen). Kunde: „Die Ausstellung war mit viel Aufwand verbunden. Bisher gab es aber nur drei Wochen lang die Möglichkeit, ‚Freischwimmer‘ überhaupt zu sehen. Für eine Ausstellung ist jeder Tag der Wahrnehmbarkeit sehr wichtig. Länger als bis zum 25. April können wir die Ausstellung allerdings nicht zeigen, denn im Mai steht Beuys‘ 100. Geburtstag an. Auch das ist natürlich ein Datum von großer Bedeutung. Der Geburtstag ist am 12. Mai. Da kann man wenig schieben und alle Projekte, die damit in Zusammenhang stehen, sind quasi an dieses Datum gekoppelt.“

Variante Hoffnung

Was gehört zur „Variante Hoffnung“? Harald Kunde: „Dazu gehört die Überlegung, dass wir ab Mitte März wieder öffnen dürfen – natürlich unter Beachtung all der Auflagen, die es ja schon gibt. Auch das Vermeiden sozialer Nähe ist eine der Bedingungen, die durch Corona erforderlich geworden sind. Eröffnungen im traditionellen Sinn wird es – fürchte ich – lange Zeit nicht mehr geben. Trotzdem wäre es für uns sehr, sehr wichtig, dass unser Haus wieder öffentlich zugänglich ist. Ein Museum, das über lange Zeit geschlossen bleibt, verliert seine Öffentlichkeitsfunktion.“ Und dann wären da die Time-Slots für Besucher. „Das ist ja im Prinzip nichts Neues in der Museumslandschaft. In großen Häusern gibt es das ja schon lange – allerdings hat der Ursprung nichts mit Corona zu tun, sondern mit der Überlegung, wie man größere Besuchermengen am besten handhaben kann. Wer ins Museum möchte, bekommt dann eben einen Zeitkorridor. In diesem Korridor bleiben dann – sagen wir beispielsweise – zwei Stunden, um sich im Haus umzusehen. Eine solche Regelung ist ja auch für uns denkbar.“

Planung zunehmend schwierig

So weit die Hoffnungsvariante. Es könnte aber auch sein, dass durch das Auftauchen weiterer Corona-Mutanten eine Öffnung der Museen auch weiterhin nicht in Frage kommt. „In einem solchen Fall wird es zunehmend schwierig, überhaupt noch das Wort Planung zu verwenden. Dann wird aus der eigentlichen Arbeit eine Art situatives Reagieren auf Umstände, die wir nicht in der Hand haben“, so Kunde. Momentan verschärft in Arbeit: Die Digitalisierung der Sammlung. Kunde: „Das läuft jetzt auf Hochtouren. Aber noch einmal zurück zur Variante des weiteren Geschlossen-Bleibens: Alles, was mit Wahrnehmung einerseits und dem Austausch – vor allem auch mit anderen Häusern – zu tun hat, rückt dann in weite Ferne. Das ist selbstverständlich nicht unser Ziel, aber eine solche Befürchtung muss mitgedacht werden. So lange es keine Entscheidungen gibt, sind wir in einer Warteschleife. Ich hoffe natürlich, dass bei der nächsten Ministerpräsidentenrunde mit der Kanzlerin die Öffnung der Museen beschlossen wird.“

Zins im Mai

Ein weiteres großes und wichtiges Projekt ist die große Ausstellung mit Günther Zins. Auch da hat sich schon jetzt das Zeitfenster verkleinert. „Ursprünglich wollten wir am 26. März eröffnen – momentan hoffen wir, dass es am 21. Mai losgehen kann.“ Zu sehen sein soll die Hommage an Zins bis zum 4. September. „Das ist noch immer eine ganz gute Spanne, aber geplant war das alles eben ganz anders.“
Das Kurhaus Kleve begleitet ja bereits seit vielen Jahren das künstlerische Werk von Günther Zins und der 70. Geburtstag des Künstlers ist ein schöner Anlass, sich einmal mehr ausführlich mit dem Werk beschäftigen. „Zins ist ein Künstler von überregionaler Bedeutung. Es kommen da also mehrere Aspekte zusammen. Aus meiner Sicht ist es immer wichtig, dass Werk eines Künstlers kontinuierlich neu zu befragen. Auch das soll diese Ausstellung bewerkstelligen.“
Wichtiger Aspekt der Ausstellung, die von Harald Kunde zusammen mit Günther Zins kuratiert wird, sei, so Kunde, die Darstellung der Entwicklung im Werk von Günther Zins. „Wir werden diese künstlerische Entwicklung über viele Jahre hinweg zeigen. Heute verbinden viele mit dem Namen Zins die Stahl-Skulpturen, die selbstverständlich eine zentrale Werkgruppe darstellen, aber da sind eben auch die bildnerischen Anfänge aus den 70-er Jahren. Ein hochspannender Werkkomplex.“

Der frühe Zins

Zins‘ frühe Arbeiten wurden bisher nur einmal gezeigt. Kunde: „Das war 1984 im Haus Koekkoek. Seitdem damals ist Zins‘ Frühwerk nie mehr gezeigt worden. Die erste große Ausstellung fand dann 2004 hier im Kurhaus statt. Das bisher umfassendste Projekt war eine Ausstellung der Museen Schloss Moyland und Goch vor zehn Jahren zum 60. Geburtstag von Günther Zins.“Das Frühwerk von Günther Zins wird im Rahmen der Ausstellung in den Räumen der 2. Etage zu sehen sein. Im Erdgeschoss werden dann die größeren Arbeiten zu sehen sein. „Was uns besonders freut, ist dass Günther Zins eigens für die Ausstellung zwei neue Arbeiten geschaffen hat. Eine davon wird in dem großen, zweigeschossigen Raum zu sehen sein – die andere im Außenbereich.“ Das Faszinierende an den Skulpturen von Günther Zins ist ja, dass vor allem die Stahlskulpturen quasi im Auge des Betrachters entstehen, was damit zu tun hat, dass Zins alles Räumliche scheinbar auf das Lineare zusammenstreicht. Dadurch allerdings ändern die Skulpturen ihr Erscheinungsbild in Korrespondenz mit dem Standpunkt des Betrachters. „Eben dieses Spiel mit der Perspektive beherrscht Zins geradezu virtuos. Es ist ein Spiel mit unseren Wahrnehmungsgewohnheiten. Ich habe bereits optische Simulationen der neuen Arbeiten gesehen und bin natürlich begeistert.“