Dass einer sein Atelier aufgibt, heißt ja nicht, dass Schluss ist mit der Kunst, oder? Manchmal verlagern sich die Schwerpunkte …
„… ist die Gabel weg, hat man den Salat!“, steht auf einem Filmplakat. Kleve, Tichelparkkino, Freitag, 30. August, 13.30. Der Chef hat eigens den Laden geöffnet: Foto-Termin mit … Janusz Grünspek. Der Eintritt in die Kino-Stratosphäre: Saal 1. Da steht Janusz. Er trägt Fliege und wie er so dasteht – mit Fliege – könnte er auch aus einem Tarantino Film stammen: Once upon a time in Kleve.
Doppelt belichtet
Mitten im Saal steht der Mann mit dem verschmitzten Lächeln und vorn, auf der Leinwand, sitzen zwei Herren bei einem Tässchen Tee. Einer von beiden: Janusz Grünspek. Ja, wie jetzt? Hat die Brille versagt? Sieht man schon doppelt? Getrunken hatte man doch nur einen Mokka. Man steht also wie geschüttelt – gerührt ist ja für die anderen. So also sieht der Typ aus, der für die kleinmusealen Kinoleckerbissen zwischen Magnum und dem Hauptfilm sorgt. 40-Sekunden-Universen als Appetithappen fürs Museum Kurhaus Kleve. Museum im Kino? Warum denn nicht! Versuch macht kluch.
Dass da einer für die Kultur trailert, gehört nicht unbedingt zum cineastischen Hauptmenu. Aber: In Kleve ist‘s möglich. Es gibt die richtigen Schrauben, an denen wohl zur rechten Zeit gedreht wurde. In das Making-Off des Vorfilms zum Vorfilm gehören drei Namen: Kunde, Professor Harald Kunde, Berens, Lichtspielhausintendant Reinhard Berens und Grünspek, Janusz Grünspek: Künstler.
Tun Sie was!
Hauptrollen sind nicht vergeben. Nein – anders: jeder der drei Herren ist ein Hauptdarsteller. Im Bond wäre Kunde wohl M.. Er hat den Plan. Falsch. Er hat den Auftrag. „Tun Sie was. Tun Sie was fürs Museale.“ Grünspek – der Mann mit der Lizenz zum Drehen. Früher 008. Schmalfilm. Heute wird in Frames gerechnet. Wie also wirbt man fürs Museale? Das Ganzseiteninserat im Kulturteil der Presse kann helfen, ist aber eine Botschaft, die sich gewissermaßen an gutealte Bekannte richtet. Also, dachte Kunde: Man könnte sich doch mal ins Kino schleichen – mit einem Trailer zur gerade laufenden Ausstellung. Dergleichen wird in der Republik eher selten gedacht. Warum denn eigentlich nicht? Man erreicht ein anderes Publikum. So weit zu M.. Der suchte also einen – wie soll man sagen – ausführenden Produzenten, der auch das Drehbuch schreibt, die Kamera bedient, sich um Musik und also quasi gute Töne kümmert, das Ganze schneidend (also schnittig – oder schnittfest) in Form bringt und dazu noch gute Ideen hat.
Perfect Understatement
„Irgendwie ist der dann auf mich gekommen“, sagt Grünspek. The perfect understatement.
„Mein Name ist Winston Wolfe. Ich löse Probleme.“ (Pulp Fiction)
Im letzten Jahr gab der Künstler Janusz Grünspek sein Atelier auf, aber eben nicht die Kunst. Mit kleinen Filmen hat Grünspek Erfahrungen und eben das wusste Kunde und hatte auch schon was gesehen. Und wie es dann so ist: Man fragt mal nach. Die Stadt ist klein und wer mit Kunst befasst ist, kennt sich. Kunde fragte Grünspek und der fand den Antrag irgendwie inspirierend.
„Sieh‘s mal so: Alles, was wir zu verlieren hatten, ist schon weg.“ (Thelma & Louise)
Der erste Kurhaus-Trailer entstand. Was aber nützt der schönste Trailer, wenn er es nicht ins Kino schafft? Für Experimente dieser Art heißt es in Kleve: Frag nach bei Reinhard. Reinhard Berens. Der stimmte (natürlich!) zu und seither laufen die Grünspek-Trailer im Klever Kino.
O-Ton oder: Museum, Kino, Kirche
Zeit für einen Grünspek-Originalton: „Vielleicht sollten einmal alle [Künstler] ein ganzes Jahr nichts abliefern. Vielleicht würden dann die Leute merken, wie es ist, wenn keine Kunst mehr da ist.“ Kunst, das strömt aus diesem Gedanken, ist vielerorts längst zur Tapete degeneriert. (Mit der Musik ist es nicht anders: Längst werden Cafés und manchmal auch Trendgeschäftsaußenbereiche tongeflutet – auch, wenn niemand da ist. Merke: Was überall ist, verliert schnell an Bedetung.)
Die Frage: Wo ist Kunst nicht selbstverständlich? Im Museum. Vielleicht. Das klingt jetzt paradox, denn Kunst im Museum ist natürlich selbstverständlich. Aber: Man muss sich auf den Weg machen. Das Publikum muss initiativ werden. Vielerorts teilen Kirchen und Museen ein ähnliches Schicksal: Kaum jemand sitzt in der ersten Reihe. (Wenn dann natürlich der Papst anreist – wenn also die Superausstellung läuft, stehen sie an den Eingängen Schlange.) Grünspeks Museumstrailer sind, unspektakulär wie sie daherkommen, kleine Appetithappen vom Feinsten: Lustmacher. Es geht nicht ums Kunsterklären – nicht ums Alleinseligmachen.
Normal im Kino?
Das geniale an der Idee mit den Trailern ist eben ihr Normalsein. Eine Treppenleiter zum vermeintlich Abgehobenen. Miesepeter werden sagen, dass keiner ins Museum kommt, weil er im Kino den neuesten Grünspek gesehen hat. Wer weiß das schon? Was die Trailer herstellen ist dieses Gefühl: Das Museum ist ein Teil des Lebens. Im Hintergrund lacht das Paradox. „Museum ist doch nicht real“, sagt das Paradox und antwortet sich gleich selbst: „Aber das Kino ist es doch auch nicht.“ Auf der Grünspek‘schen Leinwand, die ja die Tichelparkleinwand ist, treffen also Utopien aufeinander. Und vielleicht reden deshalb so wenig Leute darüber, weil es doch so normal ist, im Kino einen Film zu sehen. Das Realitätenparadox auf der Leinwand.
Grünspek, noch einmal sei‘s gesagt, nähert sich dem Museum nicht aus der Büßerperspektive, sondern schafft es – gute Werbung hat das drauf –, in sendeteurer Kurzzeit Geschichten zu erzählen und im Erzählen Motive zu liefern. Einer der witzigsten Trailer aus der Grünspek-Werkstatt: Die Aufmerksammachung zur Ausstellung „Als der Kaffeetisch zur Galerie wurde. Keramik um 1930.“ Was Buchstaben erschweren (wer ließe sich schon von einem solchen Titel zu einem spontanen Museumsbesuch hinreißen?), können „Bilder-Geschichten“ herstellen. Aus der Serie „Muss man unbedingt gesehen haben“ hier also Grünspeks Übersetzung eines Steifkragentitels ins Bildtonliche:
Ein Trailer, der irgendwie alles hat: Man denkt an das große Schräge der Coen-Brüder. Ein Gedanke entsteht – fast zufällig stellt er sich ein: Wenn‘s so was im Museum gibt, könnte man ja mal hingehen. Zugegeben: Der diese Zeilen verfasst, ist längst Museumsjunkie, aber das Schöne an Grünspeks Miniaturmuseumsausflug ist das schreiend Normale. Vielleicht stimmt es ja, dass Leichtigkeit zum Kompliziertesten gehört, was herzustellen ist. In diesem Fall hat M. den richtigen Agenten gefunden und man sollte das Trio Kunde-Grünspek-Berens (KGB) für den Weltheimat-Oscar vorschlagen.
Erfindungen
„Ich schau dir ins Museum, Kleines“, sagen die einen und die anderen sagen „ist die Gabel weg, hat man den Salat.“ Natürlich werden Künstler nicht gern verglichen. Vergleiche nehmen die Identität und verlagern sie – irgendwohin außerhalb des Markenkerns. Macht nix. Ausnahmweise. Grünspek als Museumscoen – das macht sich gut. Wen, bitte, würde es denn wundern, wenn künftig auch andere den Mann ohne Atelier nach Trailern fragten. Es braucht Querdenker. Alles andere hatte man schon gesehen.
Müsste man eine Janusz-Geschichte erfinden – es wäre diese: Da brennt einem Künstler das Atelier ab. Alles, was ihm bleibt, ist eine kleine Kamera. Der Mann beginnt, Filmfingerspitzenübungen zu machen und wird von einem Museumsdirektor entdeckt, der auf der Suche nach einer Idee ist, die das Museum ins Normale retten soll. Diese Geschichte könnte man erzählen, wenn Grünspek die Berlinale entert. Von einem Bild im Monat zu 24 in der Sekunde … Es war einmal …
„Ach ja: Guten Morgen … Oh, und falls wir uns nicht mehr sehen, guten Tag, guten Abend und gute Nacht.“ (The Truman Show.)