Karl-Heinz Sliwa ist Rentner im Unruhestand. Seit 1979 lebt der gebürtige Essener zusammen mit seiner Frau in Millingen. „Damals sollte das nur eine Art Test sein, wie das Leben auf dem Land ist.“ Die beiden blieben.
Sliwa ist Ingenieur und hat sich im Berufsleben mit Strömungsmaschinen befasst, aber das ist vorbei. Als er in den Ruhestand ging, stand für Sliwa von Anfang an fest, dass er sich engagieren wollte. „Ich bin kein Mann für die erste Reihe“, sagt er. Sliwa wurde Mitglied im Kirchenvorstand. „Das kam mir entgegen.“ Noch etwas – eigentlich jemand – kam ihm entgegen. Eigentlich kam jemand auf ihn zu: Es war der damalige Reeser Bürgermeister Dr. Bruno Ketteler. „Der hat mich damals gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könne, Schiedsmann zu werden.“ Schiedsmann? Sliwa hatte zunächst einmal keine Vorstellung von diesem Ehrenamt. Er informierte sich, sagte zu und wurde gewählt. Zehn Jahre ist das her.
Schlichter – kein Richter
Schiedsmann – ist das so eine Art Richter? Sliwa überlegt nicht lange. Die Antwort ist kurz: „Nein.“ Mehrere gravierende Unterschiede wären zu nennen: Richter sind Juristen – die meisten ihrer Verfahren sind öffentlich. Schiedsleute sind Laien. Was sie tun, findet abseits der Öffentlichkeit statt. Und: Richter fällen Urteile. Schiedsleute versuchen, Einigungen zwischen zwei Parteien zu erreichen. Wenn Schiedsleute erfolgreich sind, finden keine Prozesse statt. Schiedsleute sind auch keine Anwälte, denn Anwälte vertreten in der Regel eine Partei. Schiedsleute aber sind zur Neutralität verpflichtet, denn sie arbeiten mit beiden Parteien – dem Antragsteller und dem Antragsgegner.
Das Ideal: Beide im wahrsten Sinne des Wortes an einen Tisch und zur Kommunikation zu bringen. (Die findet oft genug längst nicht mehr statt.) Karl-Heinz Sliwa: „Es geht im Idealfall nicht darum, dass ich mir eine Lösung ausdenke. Es geht immer darum, die beiden Parteien in einen Dialog zu bringen und festzustellen: ‚Das haben Sie bereits erreicht. Vielleicht können wir ja darauf aufbauen?‘ Darum geht es.“
Zusammenleben
Reden dürfen Schiedsleute über ihre Fälle nicht. Aber natürlich kommt alles vor, was mit Zusammenleben zu tun hat. Das kann der Mensch sein, der sich über einen Nachbarn aufregt, weil der jeden Tag im Garten grillt. Es kann auch darum gehen, dass der Nachbar im Garten einen Springbrunnen baut und es Menschen gibt, die das dauernde Plätschern als Störung empfinden. „Meist liegt es daran, dass vorher nicht darüber gesprochen wurde“, sagt Sliwa und rät: „Über alles, was an Grundstücksgrenzen passiert, sollte man auf jeden Fall sprechen. Aber auch den Bau eines Springbgrunnens sollte man thematisieren.“ Merke: Nicht jeder findet alles toll.
Zurück zum Springbrunnen. Wie könnte da eine Lösung aussehen? Sliwa: „Nun ja, die Lösung könnte beispielsweise in einer Zeitschaltuhr bestehen. Der Brunnen plätschert dann nicht während der Mittagszeit und zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens.“ Dann nämlich herrscht in Deutschland Nachtruhe. Sliwa: „Das gilt bundesweit und ist im Bundesemissionsschutzgesetzt festgelegt.“
Bund, Land, Kommune
Demgegenüber stehen ländereigene Gesetze oder auch Ortssatzungen von Kommunen. „Da ist beispielsweise geregelt, was während der Mittagsruhe erlaubt ist und was nicht. Das kann von Stadt zu Stadt unterschiedlich sein.“ Eines der Bücher in Sliwas Regal: „Nachbarrecht in Nordrhein-Westfalen“. Das im Langenscheidtblaugelb gehaltene Büchlein gehört zu den „Fachbüchern für Schiedsämter.“
Schiedsleute sollten über Lebenserfahrung verfügen und sowohl zuhören als auch kommunizieren und vor allem vermitteln können. Sliwa ist – diesen Eindruck gewinnt man schnell – einer, den erst einmal nichts aus der Ruhe bringt. Eine gute Voraussetzung. Bei diesem Amt sind Selbstdarsteller eine Fehlbesetzung.
Missverständnis
„Ein häufiges Missverständnis ist übrigens, dass gerade bei Nachbarschaftsproblemen der Überbringer mit der Nachricht gleichgestellt ist. Da kommt also jemand und beschwert sich. Was häufig dabei herauskommt ist, dass der Beschwerdeführer als ‚schlechter Mensch‘ empfunden wird.“ Spielverderber. Pedant. Erbsenzähler. „Es mag Fälle geben, wo das zutrifft, aber in der Regel geht es um Dinge, durch die Menschen ihre Lebensqualität eingeschränkt sehen. Das muss man thematisieren und respektieren.“
Wie oft im Jahr wird Sliwa tätig? „Ich würde sagen, im Durchschnitt sechs Mal pro Jahr.“ Bei der „Erfolgsquote“ spricht Sliwa von circa 60 Prozent. „Natürlich können wir nicht jeden Fall positiv, also mit einem Vergleich abschließen.“ In einem solchen Fall stellen die Schiedsleute eine Erfolglosigkeitsbescheinigung aus. „Das ist dann quasi die Eintrittskarte zum Führen eines Prozesses.“ Und dann gibt es da noch das, was Sliwa Tür- und Angelfälle nennt. („Die erledigen sich dann mit einem Gespräch.“)
Die Zuständigkeit bei einem Fall richtet sich übrigens nach dem Wohnort der jeweiligen Gegenpartei. Sliwa: „Das ergibt Sinn, denn es kann ja beispielsweise den Fall eines Vermieters geben, der gar nicht dort wohnt, wo es um eine Beschwerde bezüglich eines Mieters geht.“ Das klingt logisch.
Erinnert man sich an den ersten Fall? Sliwa: „Natürlich tut man das. Aber auch hier gilt: Ich darf nichts darüber erzählen. Nur so viel: Später einmal habe ich jemanden von den Beteiligten auf der Straße getroffen und ein Dankeschön bekommen. Natürlich hat mich das gefreut.“
Fast schon ein Schnäppchen
Fallen eigentlich Kosten an, wenn jemand sich an einen Schiedsmann wendet? Sliwa: „Ja. Es ist ein Vorschuss von 50 bis 70 Euro zu zahlen.“ Damit werden dann Kosten gedeckt. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den Kosten, die bei einem Zivilprozess anfallen können. Schiedsleute bekommen also kein Honorar? Sliwa: „Das Schiedsamt ist ein Ehrenamt.“ Auslagen werden natürlich erstattet. Wird ein Schiedsverfahren erfolgreich abgeschlossen, ist eine Gebühr von 25 Euro zu zahlen. Konnte keine Einigung erzielt werden, fällt eine Gebühr von 10 Euro an. Im Fall einer Einigung wird am Schluss – natürlich in Absprache mit den Parteien – eine Urkunde erstellt, in der die Einigung schriftlich festgehalten wird. Sliwa: „Eine solche Einigung ist übrigens 30 Jahre gültig.“
Sliwa: „Mir ist es aber sehr wichtig, an dieser Stelle einmal ein Lob auszusprechen, denn es passiert – gemessen an dem, was möglich wäre – nur sehr wenig. Das liegt daran, dass die meisten Menschen vernünftig miteinander umgehen.“
In Rees gibt es zwei Schiedsamtsbezirke. Neben Karl-Heinz Sliwa ist Verena Baumann zuständig. Wer nach einer Schiedsstelle in seiner Stadt oder Gemeinde sucht, wird unter „https://streitschlichtung.nrw.de/JOLStreit/wicket/page?16#content“ fündig. Die Zuständigkeit der Schiedsleute ist dort wie folgt beschrieben: „Nachbarrechtsstreitigkeiten, Ehrverletzungen, Privatklagedelikte und Streitigkeiten über Ansprüche nach Abschnitt 3 des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).“
Sprechzeit ist immer
Albert Brall ist Schiedsmann in Kranenburg – seit über 20 Jahren ist er dabei. „Mein Vorgänger Hans Rühl hat mich damals gefragt, ob ich sein Stellvertreter sein will.“ So fing es an. Brall „verhandelt“ durchschnittlich 12 Fälle pro Jahr. Erfolgsquote: 60 Prozent. Haben Schiedsleute eigentlich Sprechstunden? „Ich weiß, dass es Kollegen gibt, die beispielsweise eine Stunde pro Woche in einem Büro in einem Rathaus sitzen.“ Brall arbeitet zuhause und Sprechstunde ist immer. „Wenn ich im Urlaub bin, sage ich meinem Vertreter Tjeerd Westerhoff Bescheid. Fragt man Albert Brall nach den wichtigsten Eigenschaften, die ein Schiedsmann mitbringen sollte, nennt er „zuhören können“ zuerst. „Außerdem sind Empathie und Sachlichkeit sehr wichtig.“ Wenn einer seit über 20 Jahren dabei ist, liegt die Frage nah, ob Dinge sich verändert haben. „Eigentlich nicht“, sagt Brall, überlegt kurz und sagt dann: „Heute kann es eher passieren, dass jemand mit einem Anwalt zu mir kommt. Das war früher nicht so. Heute haben viele eine Rechtsschutzversicherung. In manchen Angelegenheiten muss jemand, bevor er einen Prozess anstreben kann, erst eine Schiedsstelle aufsuchen. Erst wenn das keinen Erfolg hatte, ist eine Klage möglich. Und da kann es vorkommen, dass Menschen schon beim ersten Besuch durchblicken lassen, dass sie nicht kommen, weil sie möchten, sondern weil sie müssen. Das ist dann natürlich schwierig.“
Die lieben Nachbarn
Worum geht es am häufigsten? „Sehr oft haben wir mit Nachbarschaftsproblemen zu tun. Aber es geht auch um Beleidigung, Ehrverletzung. Natürlich gibt es da interessante Fälle, aber reden dürfen wir Schiedsleute darüber nicht.“ Ach ja – Albert Brall war im ersten Leben Hauptschullehrer. Er ist Pragmatiker – einer mit viel Übersicht. „Wenn du Lehrer bist, kennst du dich aus mit Vermittlung“, sagt er.
Infos
Schiedsamt: Die Aufgaben des Schiedsamts nehmen Schiedsfrauen und -männer (Schiedspersonen) wahr, die vom Rat der Gemeinde auf die Dauer von fünf Jahren gewählt werden. In Privatklagesachen, bei denen die Staatsanwaltschaft Anklage nur bei einem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung erhebt (Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, leichte Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung, Bedrohung sowie Sachbeschädigung), muss erst die Schiedsperson angerufen werden, bevor man sich an das Gericht wenden kann. Auch für eine Reihe von bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten ist ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren vorgeschrieben (obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung). Bei diesen Streitigkeiten ist eine Klage nur dann zulässig, wenn vorher versucht worden ist, in einem solchen Verfahren den Streit einvernehmlich beizulegen. Darüber hinaus stehen die Schiedsämter auch für andere als die vorgenannten bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten zur Verfügung, in denen ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren nicht vorgeschrieben ist Außergerichtliche Streitschlichtung: Es handelt sich bei der außergerichtlichen Streitschlichtung um Verfahren außerhalb der Gerichte, bei denen die Parteien versuchen, einen zwischen ihnen bestehenden Konflikt durch die Vermittlung eines unparteiischen Dritten zu bewältigen. Hierzu gehören die Schlichtungsverfahren oder die Mediation. Wesentlich für alle diese Verfahren ist, dass sie auf eine Einigung der Parteien und nicht auf eine Streitentscheidung durch den Dritten abzielen. In bestimmten Fällen ist eine Klage überhaupt erst zulässig, wenn vorher ein außergerichtliches Streitschlichtungsverfahren durchgeführt worden ist, die sog. obligatorische außergerichtliche Streitschlichtung. Schiedsfrauen und Schiedsmänner sind zuständig zum Beispiel zur Streitschlichtung in Nachbarrechsstreitigkeiten. Quelle: www.justiz.nrw.de