Schreibkraft
Heiner Frost

Wo brennt’s denn?

Als Moses auf dem Berg Sinai die 10 Gebote „ausgehändigt“ wurden, fehlten exakte Angaben zum Thema Brandstiftung.

Kann ja nicht sein, dass es da nichts gibt im Buch der Bücher. Na bitte: 2. Buch Mose, 22,6: Wenn Feuer auskommt und das Gestrüpp ergreift, hernach aber ein Getreidehaufen oder das in Halmen stehende Korn oder überhaupt Ackerfrüchte verbrennen, so muss der, welcher den Brand verursacht hat, vollen Ersatz leisten.

Paragraph 306

Im Strafgesetzbuch unserer Tage heißt es unter Paragraph 306: Wer fremde Gebäude oder Hütten, Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen, Warenlager- oder Vorräte, Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge, Wälder, Heiden oder Moore oder land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Zur Sache

Zur Sache. Der Angeklagte ist Jahrgang ‘90, aber sein Kerbholz ist aufwändig beritzt. Er wird sich nicht äußern. Nicht zur Person. Nicht zur Sache. Ach ja – die Sache: „Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft soll der Angeklagte am 26. November 2018 in seinem Haftraum in der JVA Kleve einen Brand gelegt haben. […] Aufgrund des Brandgeschehens soll es nicht nur zu einem Sachschaden, sondern auch zu einer Rauchgasintoxikation bei zwölf Justizvollzugsbediensteten gekommen sein.“

Register

Natürlich muss ein Angeklagter nichts sagen. Der Vorsitzende allerdings bemerkt: „Vielleicht möchten Sie sich das noch einmal überlegen. Wir können das alles ohne ihr Zutun rekonstruieren, aber wenn wir dann Dinge vorlesen, werden die eher negativ sein.“ Ja – das sind sie. Der Vorsitzende rezitiert Z.s Strafregister. Drei Urteile wurden allein 2007 gesprochen, dann 2010, 2012, 2013, 2014, 2015, 2017. Diebstähle, schwere Diebstähle, Computerbetrug, Einbruchsdiebstahl, räuberische Erpressung, Körperverletzung. Rein in den Knast. Raus aus dem Knast. Das Wort Betäubungsmittelabhängigkeit wird ausgesprochen.

Ein Signal?

Dann, am 26. November 2018, setzt Z. seine Zelle in Brand. Ist eine Zelle eine Art Hütte? Ja. Vielleicht. 2,75 Quadratmeter sind kein Königreich. Man würde sich wünschen, dass einer über die Motive der Tat spricht. Sollte, was da in der Klever Justizvollzugsanstalt passierte, ein Zeichen sein, ein Signal vielleicht? Zwei Monate vorZ.s Tat (am 17. September) hatte ein Brandfall in derselben Anstalt für Aufsehen gesorgt. Der Gefangene, ein Syrer, hat den Brand nicht überlebt. Er starb am 26. September an den Folgen. Z. kann also von Glück sagen. Sein Leben verdankt er dem beherzten Einsatz der Vollzugsbeamten. (Vielleicht, denkt man, ist die Anwesenheit von zwei Kamerteams zum Prozessbeginn auch im Zusammenhang mit dieser anderen Tat zu sehen. Wen interessiert es sonst schon, ob einer im Haftraum zündelt?)

Kein Wegweiser in die Tat

Z. jedenfalls hat einen Spind in der Zelle quergelegt, Textilien dazugelegt und angezündet. Er sagt nichts. Es gibt kein Warum, kein Wieso – keinen Wegweiser in die Tat. Alles ist Spekulation. Ein Vollzugsbeamter (fünf sind als Zeugen geladen), sagt aus, Z. sei schon bei der Essensausgabe gegen 12 Uhr „komisch“ gewesen. Auf Nachfragen habe er nicht geantwortet. Circa zehn Minuten später brennt es in Z.s Zelle.
Eine Vollzugsbeamtin beginnt unverzüglich mit dem Löschen. (Sie ist erst kurz zuvor ins Hafthaus gekommen und hat Brandgeruch wahrgenommen. „Wo brennt‘s denn?“, hat sie gefragt.) Sie spricht von einer Wand aus Flammen und Qualm. Der Z. – ein ruhiger Gefangener. Nicht auffällig. „Wir haben alle mal schlechte Tage. Manchmal hängt das ja auch vom Gegenüber ab“, sagt sie auf die Frage des Vorsitzenden, ob Z. sich anders verhalten habe als sonst. „Wenn ich mal schlecht drauf bin und nichts sagen möchte, will ich auch nicht ausgefragt werden“, sagt sie. Z. sei ein paar Tage vorher mal schlecht drauf gewesen. Am Tag der Tat? Normal.

Sympathisch

Zurück zum Brand. „Ich habe nicht aufgehört zu löschen. Für mich ist es wichtig, dass jemand, der da drin ist, wieder raus kommt.“ Und: „Ich mag den ganz gern und er weiß, was ich über ihn denke.“ „Manche Menschen sind einem sympathisch – andere nicht.“ Z. habe sie manchmal an den eigenen Sohn erinnert.
Zwei Wochen lang hat sie sich nach dem Geschehen körperlich schlecht gefühlt. „Das merken Sie beim Schmecken und beim Riechen. Und beim Atmen fühlt es sich an, als hätten Sie einen Backstein auf der Lunge.“ „Wie hoch schlugen die Flammen“, fragt der Brandsachverständige: „Hoch.“

Das reicht nicht

Das Geschehen wird technisch greifbar – das ist alles. Man denkt: das reicht nicht. Aber ohne Z.s Aussage wird es keine Erkenntnisse außerhalb des Gutchatens geben. Niemand wacht doch morgens einfach auf und denkt sich: „Heute steckst du einfach mal die Hütte an.“
Der Brandsachverständige wird am Ende des ersten Tages sagen: „Eine Selbstentzündung sei – ebenso wie ein technischer Defekt – als Ursache mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Gebrannt hätten am Ende nur der Spind und die Textilien.
Mit 5.000 Euro hatte die Staatsanwaltschaft in der Anklage den Sachschaden beziffert. Zu Beginn der Verhandlung war der Brangutachter noch nicht im Saal. Jetzt fragt der Vorsitzende ihn nach seiner Schätzung und man staunt nicht schlecht, als er sagt: „25.000 bis 30.000 Euro.“ Das ist eine stattliche „Dividende“, denkt man. Ob er Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Asbest anstellen könne, möchte der Vorsitzende abschließend wissen. Der Gutachter verneint. Er habe keine Hinweise auf Asbest gefunden. „Ich habe keine Ahnung, wo da Asbest verwendet worden sein sollte.“ In einer Mitteilung vom 7. Juni schreibt die Anstalt dem Gericht, es habe sich Asbest im Haftraum befunden. Bei der Sanierung müsse jetzt auch der Flur vor dem Haftraum teilweise abgesperrt werden. Wenn Asbest, denkt man, dann nicht nur in einem Raum, oder? Vielleicht muss ja demnächst kernsaniert werden? Ein letzter Blick in die Bibel. Unter 5 Mose, 19.21: „Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule.
Der erste Tag: Fünf Zeugen und ein Gutachter. Im 5. Buch Mose heißt es: Es soll kein einzelner Zeuge gegen jemand auftreten wegen irgendeiner Missetat oder Sünde, was für eine Sünde es auch sei, die man tun kann, sondern durch zweier oder dreier Zeugen Mund soll eine Sache gültig sein.

Der zweite Teil

Im Nebel

Manchmal wird ein Prozess zum Blindflug. Da sitzt ein Angeklagter, der nichts zu sagen bereit ist. Natürlich – da ist eine Tat. Die zumindest hat ja stattgefunden. Da gibt es nichts zu Deuteln. Der Angeklagte hat sie begangen. Vorsätzlich. Er war in Haft und hat seine Zelle angezündet. Das sind die Fakten. Danach hört es fast schon auf. Personen und Sachschäden hat es gegeben. Rauchintoxikationen – Rauchvergiftungen also – hat es gegeben. Zwölf Beamte des Wachpersonals wurden untersucht. Dazu: Der Sachschaden. erheblich. Nicht nur die Zelle des Angeklagten war hernach unbenutzbar, auch Nachbarzellen nahmen Schaden.

Schweigen

Der Angeklagte schweigt. Zu allem. Er hat nichts über sein Leben erzählt und schon gar nichts über Tat und Auslöser.
Ein Zeuge: der Anstaltsarzt. Er ist 76 Jahre. Das sagt etwas über die Schwierigkeit, ärztliches Personal für eine Justizvollzugsanstalt zu bekommen. Der Arzt – ist es sein Alter? – erinnert sich an nicht viel. „Waren Sie an diesem Tag überhaupt in der Anstalt?“ „Ich kann mich nicht erinnern.“ Auf Fachfragen gibt es Antworten, die man sich präziser gewünscht hätte. Einmal verdreht der Staatsanwalt nach einer Antwort die Augen.
Ein psychiatrischer Gutachter war bestellt. Der Angeklagte zog es vor, nicht mit ihm zu sprechen. Als Hilfskonstrukt bestellte die Kammer einen weiteren Gutachter als Zeugen, der – 2017 war es und also ein Jahr vor der hier angeklagten Tat – mit dem jungen Mann gesprochen hat. Viel Ergebnis gibt es nicht. Ein junger Mann mit Intelligenzminderungen und einer Drogenabbhängigkeit in Sachen Cannabis. Ein Mann – auffallend wenig berührt, ohne Bindungen, ohne Kinder. Ein junger Mann, der am Ende mehr im Knast war als draußen. Nein – eine Depression sieht der Gutachter nicht. Auch keine suizidale Gefährdung. Das ist nicht viel.

Live-Chat

Dann: zwei Psychiater im Live-Chat. Nein, sagt Nummer Zwo auf die Frage von Nummer eins: Keine Anzeichen für eine Psychose. Nach 14 Minuten ist die Sache beendet. Der, der als Gutachter bestellt war, erklärt, dass es nichts gibt, was er schlüssig sagen könne. „Man kann nur spekulieren.“ Aber Gutachten sollten keine Spekulationen sein. Der Satz des Tages: „Ich kann nur sagen, dass ich wenig sagen kann.“

Presto

Alles in diesem Prozess ist kurz gehalten. Auch der Staatsanwalt schafft es in weniger als 30 Minuten über die Ziellinie und fordert drei Jahre. Schwere Brandstiftung – in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Geht es noch schneller? Ja. Die Verteidigerin in braucht keine fünf Minuten. Es gibt nichts. Ein Angeklagter, der mit niemandem redet, eröffnet keine Möglichkeiten – selbst für die Verteidigung nicht. An den Fakten kann nicht gezweifelt werden – über die Motive weiß niemand etwas. Weiß der Angeklagte es selber?
In seinem Plädoyer hatte der Staatsanwalt gemutmaßt, dass der Angeklagte vielleicht verhindern wollte, zwei Monate später entlassen zu werden. Wenn es stimmt, wäre das eine Geschichte nach dem Geschmack eines Claas Relotius. Gefangener steckt Zelle an, um Entlassung zu verhindern? Wäre das nicht mit geringerem Aufwand auch geglückt? Intelligenzgemindert wird der Angeklagte genannt – trotzdem: Er könntemüsste wissen, gewusst haben, was passiert, wenn er die „Hütte“ in Brand setzt.
Die Verteidigung schlägt eine Strafe unterhalb dessen vor, was der Staatsanwalt forderte. Das Gericht kündigt an, in 45 Minuten ein Urteil zu sprechen. Der Angeklagte hat das letzte Wort … und … schweigt. Es ist nicht einmal ein lautes Schweigen. Es ist nur das Fernbleiben von Sprache.
Das Urteil – 45 Minuten später: Drei Jahre. Straf- und schuldangemessen – so sieht es die Kammer. Es war Vorsatz im Spiel. Der Angeklagte musste um die möglichen Folgen wissen. Strafschärfend: die beträchtlichen Vorstrafen. Strafmildernd: die Intelligenzminderung.

Mehr nicht

Niemand kann sagen, ob es ein Suizidversuch war oder der Versuch einer Haftverlängerung. Kurz bevor sie den Angeklagten abführen an einen Ort, von dem der Staatsanwalt mutmaßte, „dass er sich dort wohl fühlt“, äußert sich der Vorsitzende – außerhalb des Protokolls und irgendwie ganz persönlich „Herr Z., sie sollten sich Hilfe holen – am besten professionelle Hilfe. Sie müssen sich öffnen. Irgendjemandem.“
Vielleicht hat da jemand – der Angeklagte – ein Etappenziel erreicht. Aber in diesem Fall ist alles Nebel. Wär‘s die Wirklichkeit – man würde die Schlussleuchte einschalten, damit die Nachfolgenden nicht auffahren. Ja, es hat gebrannt. Das wissen wir. Nicht viel mehr.