Schreibkraft
Heiner Frost

Der Mann vom Sockel

Im Kurhaus ist – noch immer – Hausputz. Putzen – das verbindet sich in den meisten Fällen mit dem Gedanken an Reinigung. Aber: Jeder putzt anders. Es soll auch Menschen geben, die Dinge nur von einer Ecke in die andere räumen. Manchmal treten längst vergessene Schätze ihre spontane Rückreise ins Bewusstsein an – und manchmal … putzt man den Staub der Jahre weg und Poröses kommt zum Vorschein: Marode Stellen erfordern Sanierungsmaßnahmen. Oder nicht?

Vergangenheiten

Vergangenheiten verlangen nicht selten Entscheidungen im Gegenwärtigen. Wie beispielsweise soll man umgehen mit dem Unliebsamen? Wieso eigentlich Vergangenheiten? Ganz einfach: Es gibt bisweilen unterschiedliche Perspektiven auf das Gewesene: Johann Moritz zum Beispiel (er)fordert eine Positionsbestimmung und eben darum geht es in einem Theaterstück, das vom Theater mini-art aus Bedburg-Hau im Auftrag des Museums Kurhaus Kleve für den „Hausputz“ entwickelt wurde. Crischa Ohler und Sjef van der Linden haben sich unter der Regie von Rinus Knobel, der auch das Buch geschrieben hat, auf die Spuren einer Ikone begeben.

Angefressen

Das Stück bietet Gelegenheit, Johann Moritz zu begegnen. Er taucht auf der Bühne des Jetzt auf. Die Zeitmaschine spuckt ihn hymnensingend aus („Wilhelmus van Nassouwe ben ik, van Duitsen bloed, den vaterland getrouwe blijf ik tot in den dood“ …) und zeigt einen Angefressenen, der den Verlust seiner sicher geglaubten Bedeutung nur schwer verkraftet. In seinem Den Haager Stadtschloss haben sie seine Büste in den Keller verbannt. Aus dem säulenheiligen Mann vom Sockel ist eine Kellerassel geworden: Ein jähes Aus, das dem Zurückgekehrten die Laune gründlich verhagelt.

Schlüsselfrage

Schnell wird die Schlüsselfrage im Umgang mit Johann Moritz von Nassau-Siegen deutlich: Wie ist umzugehen mit einem Mann, der in den Sklavenhandel verwickelt war? Das Argument „Das war eben damals so“ scheint zu kurz zu greifen. Es geht um eine Stellungnahme im Heute.
Johann Moritz beschwert sich lautstark: Er möchte den sprechen, der im Kurhaus dafür zuständig ist, dass man ihn, den ehemaligen Gouverneur von Niederländisch-Brasilien und Statthalter Friedrich Wilhelms in Kleve in einen Seitengang abgeschoben hat. Wieder geht es um die Klärung der Frage, wie mit der Vergangenheit umzugehen ist – wie sich Geschichte ins Jetzt transplantieren lässt.
Vieles in Kleve ist geprägt von Johann Moritz. Immer wieder taucht sein Name auf: Nassauer Allee, Nassauer Straße, Moritz Park – auch fürs Museumscafé hat Moritz Pate gestanden.

Materialsammlung

Crischa Ohler, Sjef van der Linden und Rinus Knobel haben zunächst einmal viel gelesen – sehr viel: Materialsammlung. Aber: Was nützt alles Material, wenn es nicht in Ordnung gebracht wird. Es geht in erster Instanz um Auswertung, erst danach kann überhaupt Bewertung versucht werden. „Soweit der Erdkreis reicht?“ heißt das Stück, dessen Uraufführung am Samstag, 19. August, 18 Uhr im Museum Kurhaus stattfinden wird. Museum? Eine ungewohnte Umgebung für die Theaterleute, denn auf die Welt der Bühne, in der alles regulierbar und kontrollierbar ist, muss verzichtet werden. Alles findet im Tageslicht statt. Eigentlich, denkt man, passt sich die Atmosphäre dem Auftrag an: Licht ins Dunkel bringen. Nicht, dass sie in Kleve so gar nichts über Johann Moritz wüssten, aber: Was das Ensemble vom mini-art-Theater im Kurhaus inszeniert, ist eine Assistenz zur Stellungnahme. Auf der Bühne: Mehrere Erdkugeln – all sind aufblasbar. Schon das ist eigentlich das perfekte Bild mit maximalem Symbolgehalt. Zu den Erdkugeln kommen ein Haufen Erde, Eimer und Steine: Allesamt Zutaten eines zu erschaffenden Kunstwerks, das vor den Augen des Publikums entsteht. „Am Anfang des Stück ist die Bühne leer“, erklärt Regisseur und Autor Rinus Knobel. Erst nach und nach werden Welten erschaffen und Vergangenheiten entstehen.

Zeitmaschine

Theater ist eine Zeitmaschine: Alles ist wiederbelebbar und kann nach seinem Auftauchen – mit einem Satz, einem Federstrich, einer Bewegung – zurück ins Vergangene gesenkt werden. Was allerdings einmal in den Gedankenkreislauf injiziert wurde, lässt sich nicht einfach entfernen: Es ist jetzt quasi fest installiert. Ab jetzt ist jedes Nichtwahrnehmen Verdrängung. Mit eben diesem Effekt spielt das Stück. Fragen entstehen und gutes Theater versteht sich nicht als Antwortmaschine. Das wäre viel zu einfach. Gutes Theater erzeugt Wellengang beim Denken. Die Steine auf der Bühne kann man in Gedanken ins Wasser werfen: Wellen entstehen. Die Brandung im Hirn. Wer die Arbeit von mini-art kennt, weiß: Da wird ohne Netz und doppelte Böden gearbeitet. Alles ist direkt an der Oberfläche, aber die Oberfläche des Theaters ist poetisch, „Qua patet orbis“ ist die theatrale Präsentation einer Forschungsarbeit im Herz der Geschichte. Das Stück wird im Schatten des Schriftzuges an der großen Museumsregalwand gespielt und der Satz schafft es zwischendurch auch auf die Leinwand, wo er sich mit einem Portrait von Johann Moritz abwechselt. Es wundert nicht, dass der Untertitel des Stückes „eine theatrale Performance mit einem Blick auf Klever Geschichte“ lautet. Die Vergangenheit steht! Es geht darum, aus welcher Perpektive sie betrachtet wird.
Wer es nicht zur Uraufführung schafft, hat am Sonntag, 3. September (16 Uhr) und am Samstag, 16. September (18 Uhr) Gelegenheit, das Stück zu sehen. Der Eintritt kostet 7 Euro und für alle unter 12 Jahren 5 Euro.

Crischa Ohler, Rinus Knobel und Sjef van der Linden.