Schreibkraft
Heiner Frost

„… dann habt ihr ein Grab in den Wolken“

Szene aus: Der Kaiser von Atlantis. Foto: Hans Jörg Michel

Auf der Bühne sitzt der Sensenmann bei Wein und Popcorn. Wenn der Tod streikt, muss das Sterben warten …

Am Ende der Rampe

Dass zwei, die im KZ leben, eine Oper schreiben (im Programmheft heißt es nicht Oper sondern Spiel) – dass sie quasi am Rand der Rampe, an deren Ende sich alles in Rauch verwandelt („… dann habt ihr ein Grab in den Wolken …“ Paul Celan) Töne und Texte finden, um im Kopf dem Grauen ein Schnippchen zu schlagen, mag man kaum glauben. Ist aber so.

„Ich bin der Tod, der Gärtner Tod und säe Schlaf in schmerzgepflügten Spuren. (Peter Kien)

Theresienstadt

Entstanden ist „Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung“ in Theresienstadt. Viktor Ullmann komponierte die Musik, Peter Kien schrieb den Text. Ullmann starb am 18. Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau und auch Kien wurde dort Ende 1944 ermordet. Man muss das vielleicht nicht wissen, denn es macht das Stück weder besser noch schlechter, aber trotzdem stellt all das eine Grundfarbe zur Verfügung. Die Uraufführung – ein viel zu spätes Echo – fand erst 1975 in Amsterdam statt.

Der Kaiser von Atlantis. Foto: Hans Jörg Michel

Die Deutsche Oper am Rhein setzte das Stück auf den Spielplan. Fast traut man sich nicht, eine Rezension zu schreiben. Worte können nicht nur im Hals stecken bleiben …

„Ich bin  der Tod, der Gärtner Tod, und jäte welkes Unkraut müder Kreaturen.“ (Peter Kien)

Kein Entkommen

Es ist einer dieser Abende, denen alles gelingt: berauschende Traurigkeit. Ein famoses Ensemble: auf der Bühne – im Graben. Eine famose Inszenierung – beginnend in einer Art von Spinnwebe, die alles und jeden einfängt und kein Entkommen duldet. Man mag nicht mehr verraten – nicht mehr erzählen von Handlungen, Bildern.

Mit dem Stück lebt man sich hinein in diese Situation, in der selbst der Tod seinen Einsatz verweigert und die Menschen nicht ins Sterben finden können. Da ist dieser Herrscher, dessen Reich Atlantis heißt: ausgerechnet. Alles, denkt man, wird untergehen.

„Ich bin der Tod, der Gärtner Tod, und mähe reifes Korn des Leidens auf den Fluren.“  (Peter Kien)

Die Inszenierung – behutsam irgendwie – spart, wie auch die Musik, Effekte aus: alles wirkt schlüssig: auch das zurückgenommene Spiel der Akteure. Die Bilder: eindringlich – eindringend – ruhig. Irgendwie ist alles auf eine stille Art perfekt. Es ist, denkt man, kaum besser zu machen. Man wird hineingezogen in dieses Labyrinth der tongewordener Ausweglosigkeiten.

Schrecksekunde

Dass da zwei Menschen am Rande des eigenen Todes ein Stück schreiben, in dem der Tod zur Kapitulation ansetzt, wird erst im Nachgang, der auch ein Nachklang ist, zu einer Spinne, die das eigene Hirn einwebt. Dass im Schlusschor plötzlich Luthers feste Burg als Klangschwade durchs Haus zieht, löst den Boden unterm eigenen Denkenfühlen auf. Man versinkt im selbstgedachten Atlantis und wird zu einem Kontinent ohne Heimat. Dass der Tod am Schluss wieder zur Arbeit antritt, wird – man mag es kaum wahrhaben wollen – zu einer Art finalen Erlösung. Zuletzt brennt nur noch eine Kerze im Bühnenzentrum und wenn sie ausgeblasen wird, zieht finaler Horror in die Seele ein: tausend Jahre Irrtum werden zur Schrecksekunde. Heute schon gestorben?

„… dann habt ihr ein Grab in den Wolken“ (Paul Celan, aus: Todesfuge)

Termine im Opernhaus Düsseldorf

Montag, 9. November, 19.30 / Donnerstag, 12. November, 19.30 Uhr / Donnerstag 19. November, 19.30 Uhr.

 

Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung