Schreibkraft
Heiner Frost

„Hol mir mal den Clooney her.“

Gestatten: George Clooney (links) und Martin Polotzek. Der linke Herr wohnt schon länger in Kleve, der Rechte kam kürzlich aus Wien und wird wohl länger bleiben. Foto: Rüdiger Dehnen

Vielleicht doch besser kurz anrufen. Nicht, dass es nachher heißt, Mann hätte nichts gesagt …

Ein Hahn

„Hallo Verena. Ich bin mit Rüdi im Tiergarten und wir machen gleich ein Foto mit George Clooney. Ich dachte, ich sag‘s dir noch schnell.“ Vielleicht dann erst später sagen, dass Clooney ein Hahn ist. Aber eigentlich geht es doch um jemand ganz anderen. Der Mann heißt Martin Polotzek und ist seit Januar der neue Leiter des Klever Tiergartens. Zum Fototermin hat er sich George Clooney als „Bystander“ gewünscht. Der Reihe nach.

Lokführer, Astronaut

Man kennt das ja: Manche wissen, seit sie denken können, dass sie Lokführer werden wollen oder Astronaut. Wir lassen die Mädchenwünsche an dieser Stelle außen vor – es geht ja um einen Herrn. Dieser hier wusste ziemlich früh, dass er mal Zoodirektor werden wollte und … so schnell kann‘s gehen: Martin Polotzek ist 26 Jahre jung und hat sein Ziel erreicht. Gab‘s denn eigentlich familiäre Tendenzen? „Das kann man nicht sagen. Mein Vater ist Maschinenbauingenieur und meine Mutter Steuerfachangestellte.“ Der Martin aber hatte es schon für mit den Tieren. „Ich habe zuhause eine Art Privatzoo gehabt. Da hieß es dann bald: Der Martin muss Zoodirektor werden.“

Plutarch

Ziele fordern Opfer: Da arbeitet einer im Tiergraten Schönbrunn und geht … nach Kleve. Man reibt sich die Augen. Dann denkt man an Plutarch. Nein, der arbeitete nicht in Schönbrunn. Plutarch, seinen Zeichens griechischer Schriftsteller, schrieb einst im ‚Leben des Caesar‘: „Lieber hier der Erste als der Zweite in Rom.“ Das also soll Gajus Julius gesagt haben und vielleicht sieht es Martin Polotzek ähnlich. Lieber Chef in Kleve als „Zoopädagogischer Mitarbeiter für Führungen in Deutsch und Englisch“ in Wien. Vielleicht kann man auch sagen: Tausche Weltstadt gegen Königreich. Apropos Königreich: Googelt man bei Tripadvisor die zehn besten Sehenswürdigkeiten in Kleve, findet sich der Tiergarten auf Rang Drei. Der Tiergarten Schönbrunn belegt in Wien den 4. Rang unter den Top 10 der Sehenswürdigkeiten.

Es ist Liebe

Trotzdem – die Frage muss erlaubt sein: Warum geht einer von Wien nach Kleve. Polotzek, geboren 1994 in der Marx-Stadt Trier, zitiert weder Plutarch noch Caesar: „Es hat etwas mit der Liebe zu tun.“ Aha: eine Frau, denkt man und täuscht sich: „Es ist die Liebe zu meinem Beruf, sagt Polotzek“, und man spürt – trotz Corona-Maske – ein Strahlen.
Nun ist es ja nicht unbedingt so, dass man in Wien anruft, wenn in Kleve nach einem Tiergarten-Chef gesucht wird. Das Schicksal macht Umwege. Manches spricht sich herum – zumindest bis Köln. Die im Kölner Zoo wussten von der Klever Suche und hatten einen Tipp: „Da gibt es einen Typen in Wien. Das könnte was für euch sein.“ In Köln war Polotzek kein Unbekannter. Der junge Mann hatte eben dort ein Veterinärmedizinisches Praktikum absolviert (2018) und muss einen guten Eindruck hinterlassen haben. Weitere Praktikumsstationen: Zoologischer Stadtgarten Karlsruhe, Tiergarten Nürnberg, Kruger Nationalpark (Südafrika) – um nur einige zu nennen.

Lama und Funkenflug

Die Klever jedenfalls meldeten sich in Wien und der Polotzek reiste zur Inaugenscheinnahme des Klever Zoos an den Niederrhein. Es muss wohl gefunkt haben. „Ich habe, als ich damals hier war, einen kleinen Jungen beobachtet, der ein Lama füttern wollte. Der Junge war ziemlich nervös. Er hatte wohl ein bisschen Angst. Als aber schließlich das Lama ihm aus der Hand fraß, da habe ich dieses Strahlen im Gesicht des Jungen gesehen.“ So finden Initialzündungen statt. „Unsere Aufgabe ist es ja, Menschen für die Tiere zu begeistern und das geht an einem Ort wie Kleve ganz wunderbar, weil der Kontakt zu den Gästen viel unmittelbarer ist als in einem großen Betrieb wie dem Tiergarten Schönbrunn.“

Mäuse und Elefanten

Polotzek ist diplomierter Tierarzt. „Promoviert habe ich nicht“, sagt er. Und was war das Thema der Diplomarbeit: „Ich habe mich mit dem Sexualverhalten des Rüsselspringers beschäftigt.“ Na bitte. Das ist doch mal was, denkt man und fragt bescheiden nach, was man sich unter einem Rüsselspringer vorzustellen hat und lernt, dass es sich um ein mausartiges Säugetier handelt, dass – Quizfreunde aufgepasst – mit dem Elefanten näher verwandt ist als mit der Maus. Na bitte: man soll trotzdem aus der Maus keinen Elefanten machen.
Zurück zum Polotzek. Wo wohnt denn der Neue? „Ich wohne in Kleve – gleich am Hauptbahnhof.“ (Man grinst.) „Meine Eltern haben sich um die Wohnung hier gekümmert, denn ich konnte wegen Corona nicht nach Kleve reisen.“ Die Eltern also erklärten dem Sohn, er werde demnächst in der Nähe des Hauptbahnhofs wohnen.

Die zweite Leidenschaft

Und jetzt mal ehrlich: Gab es schon einen Reuemoment? „Nein.“ Das kommt prompt. Aber es gäbe da schon Sachen, die Polotzek vermisst. „Das soziale Umfeld ist mal das Erste, was einem fehlt.“ Wien ist anstrengende 1.000 Kilometer entfernt. Da setzt man sich nicht mal eben ins Auto oder in den Zug und besucht alte Freunde zum Kaffeetrinken.
Polotzek hofft aber, im Frühjahr wieder nach Wien zu reisen. Das hat etwas mit seiner Leidenschaft zu tun: Musicals. „Das ist meine zweite große Leidenschaft“, sagt er und man erinnert: Nummer Eins ist der Beruf. „Ich habe Karten für ‚Disney in Concert‘. Die Veranstaltung ist wegen Corona ausgefallen und ich hoffe sehr, dass ich es zum Ersatztermin schaffen werde.“

Mitnehmen

Was fragt man noch? Vielleicht das: Mit 26 ist Polotzek einer der Jüngsten im Tiergarten-Team. Ist es schwer, sich da als Chef durchzusetzen? „Nein. Wir haben hier ein hochmotiviertes Team. Alle haben Spaß an ihrer Arbeit. Da schaut keiner auf die Uhr und lässt bei Dienstschluss das Werkzeug fallen.“ Eines dieser Wörter: gemeinsam. Polotzek spricht davon, dass man das Team mitnehmen müsse. Er sagt auch, dass er keiner sei, der alles Gewesene ignoriere und stattdessen alles neu machen will. Ach ja – auch das sei gesagt: Polotzek ist „noch zu haben“. Könnte allerdings sein, dass der neue Chef ziemlich viel Zeit bei den Tieren verbringt.

Bring doch mal den Clooney her

Dann der Anruf: „Könnt ihr mal den George Clooney bringen?“ (Letzte Chance, die Chefin zu informieren. Aber: die könnte ohnehin nicht rechtzeitig da sein und … Clooney ist ja ‚nur‘ ein Gockel.) Den Clooney-George haben sie vor der Schlachtung gerettet. Jetzt gehört er zum Tiergarten-Inventar.
Foto mit Polotzek und Clooney. „Schreib drunter, dass der Clooney links im Bild ist“, sagt der Fotograf. Und damit ein bisschen Auswahl ist, geht‘s anschließend noch zum Trampeltier und zum Poitou-Esel. Aber wer würde sich, bitte schön, das Clooney-Bild entgehen lassen? Man müsste bescheuert sein. Demnächst, wenn Polotzeks 100 Tage um sind, wird wieder nachgefragt, wie‘s denn so ist in Kleve. Glücklichsein geht halt auch ohne Prater.

Ein Chef und ein Trampeltier. Küss die Hand, Herr Hofrat. Foto: Rüdiger Dehnen