Schreibkraft
Heiner Frost

b. 38 – zwischen den Polen

Foto: Gert Weigelt – b.38 Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg „Ulenspiegeltänze“ ch.: Martin Schläpfer

Der Abend ist schnell erzählt. B. 38 – ein Tryptichon: Zwei Tableaus an den Seiten, eine Explosion im Zentrum – zwischen den Polen.


Remus Suechanas „Sinfonie Nr. 1“ – ein Erzählstück. Der Soundtrack: Rachmaninovs Erste. Noten schlängeln sich durchs Parkett. Alles istbleibt irgendwie dunkel. Alles ist irgendwie gut gemacht, irgendwie schön, irgendwie aufgeladen mit großem Gestus, aber es gibt keine Ecken, keine Kanten – kein Nagel, der ein Loch in den Gehrock der Gedanken risse. Sucheanas Choreographie – eine Kriegserzählung – schafft keine Betroffenheit, keine Bedrohung. Tanz und Musik schmieden keinen Gegensatz. Am Ende bleibt „Sinfonie Nr. 1“ großes Tanztheater für den Samstag. Man lehnt sich zurück. Nirgends ein Problem.
Am anderen Ende des Abends Martin Schläpfers „Ulenspiegeltänze“. Der Meister traut sich was. Er inszeniert seine Truppe pointenreich in einem Nebelwald vor schwarzer Sonne und Eulenaugen. Dazu: Prokofjef – die cis-moll Sinfonie op. 131 Nr. 7. Zwischen den Sätzen dehnt Schläpfer die tonlose Zeit. Es entstehen die für ihn so typischen Momente des Ausreizens der Spannung, die immer dann entsteht, wenn Tänzer ohne Töne auf der Bühne sind. Schläpfers Choreographie, Kostüme, Bühne und Video (Keso Dekker) und Volker Weinharts Licht – das alles wird zu einer irgendwie märchenhaften Erzählung. Einmal, fast hätte man es übersehen, taucht aus der schwarzen Sonne Stalins Gesicht auf und verschwindet wieder. (Prokofjew und Stalin teilten zwar nicht ihre Ansichten über die Kunst, am Ende aber ihr Todesdatum.) Das Stück schiebt sein Ende über das der Sinfonie hinaus in die Stille zurück, aus der es entstanden ist. Es bleiben Splitter von Ironie und Drama. Schläpfers Truppe – virtuos wie immer.

Foto: Gert Weigelt – b.38 Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg „One flat thing reproduced“ ch.: William Forsythe

Zeit für die Mitte: Ein Stück, das sich dem Rest des Abends entgegenwirft. Eine Eruption der Bewegung – zusammengehalten von synthetischen Klängen, mehr Geräusch als Musik – so, wie „One flat thing, reproduced“ mehr Bewegung ist als Tanz. Man kann scheitern an diesem Gegensatz, der keiner ist. Aber Forsythe scheitert nicht. Seine Choreographie: Ein Donnergrollen, eine Abrechnung, eine Abbrechung, ein Schauplatz, ein Bauplatz – eine Zentrifuge, die alles zum Rand schleudert, wo es herabsinkt, sich festsetzt und wieder ins Großeganze eingespeist wird. „One flat thing, reproduced“ ist wie ein Magen, der sich selbst verdaut, ein Chaos, das sich selbst verwaltet. Da zerrt dich jemand aus dem Plüschsessel, lässt nicht locker, mischt sich immer wieder ein. Ein Tanz wird zur Frage und der Zuseher muss antworten oder ungetröstet heimgehen. Dass da 20 Männer und Frauen in Kostümen, die keine sind, zwischen, auf und unter 20 Tischen tanzen, stellt eine denkbargroße Entfernung zum Wohlsein her.
Natürlich – jeder sucht anderes bei einem Abend im Ballett. Die einen kommen der Schönheit wegen, genießen den Abend und die Musik – andere können es aushalten, wenn einer ihr Fell gegen den Strich ausbürstet. Eine Stück wie „One flat thing, reproduced“ schafft es durch die Nacht. Man steht auf am anderen Tag und es ist noch immer da – baut sich auf, lässt nicht locker. Drei solcher Stücke an einem Abend wären kaum erträglich und so denkt man am nächsten Morgen, dass es um Mischungen geht. Das Eine macht das Andere erst denkbar. Vielleicht …

Foto: Gert Weigelt – b.38 Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg „One flat thing reproduced“ ch.: William Forsythe

 

 

Sinfonie Nr. 1

 

One flat thing, reproduced